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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

indem er ihr krampfhaft ein Tuch auf den Mund preßte. Außer sich stürzte Douglas auf den Arzt, ihm Dolorida zu entringen.

„Hinweg!“ stöhnte Oliver und knirschte mit den Zahnen.

„Sie ist mein Eigenthum! Sie ist mein Weib! Ellen, her zu mir, in meine Arme!“ So rief der junge Lord, der plötzlich alle Fassung wiedergefunden hatte. Er stand Olivern gegenüber, kühn den Kopf erhebend, gebietend wie ein Gott. „Sie ist mein Weib, so wahr mir Gott helfe!“ Und er ergriff Dolorida’s herabhängende Hand. Aber Oliver schleuderte ihn fort, trat mit der Ohnmächtigen an den Rand der Terrasse, unten brauste der Baradâ vorbei, und hoch in beiden Armen hielt er Dolorida über der schwindelnden Tiefe empor – „Noch einen Schritt, noch ein Wort, einen Blick – und sie liegt drunten in der Fluth!“

Vernichtet wankte Douglas zurück, schwindelnd that er einige Schritte gegen den Ausgang; doch die Füße trugen ihn nicht, er fiel zu Boden. Wie der Geier die Fittiche über seine Beute zusammenschlägt, so schlug Oliver den Mantel um die Unglückliche und verschwand mit ihr hinter dem Vorhang der Balconthür.



4.

Jählings bricht im Süden die Finsterniß herein; keine allmählich zunehmende Dämmerung geht der Nacht vorauf, heftig und rasch sind die Uebergänge. So plötzlich, in nachtschwarzes Dunkel getaucht, lagen vor Oliver Gegenwart und Zukunft, ebenso wie die Vergangenheit. Schob er auch triumphirend den Riegel vor Dolorida’s Gemach, nur zu bald verlor sich seine ohnmächtige Siegesgewißheit, sie wich der nagendsten Eifersucht und Gewissenspein. „Ein Blick auf ihn genügte, sie mir in Ewigkeit zu entreißen!“ so brannte es in der Seele des Mannes, der aus Liebe zum Verbrecher geworden war. Schaudernd trieb es ihn von Dolorida hinweg; entsetzt vernahm er, wie sie nach dem Gatten rief, wie ihre ganze Vergangenheit plötzlich aus dem Chaos langer Verworrenheit hellglänzend emporstieg. Er mußte hören, wie sie ihr erstes Begegnen mit Douglas beschrieb, ihre beiderseitige Liebe unter den Tropenblumen von Ceylon – – – Und rief Oliver verzweifelt „Dolorida!“ dazwischen, so entgegnete sie mit Abscheu:

„O nicht diesen Namen mehr! Wohl konntest Du mich Dolorida, die Schmerzensreiche, nennen, er aber nennt mich Ellen! Diesen Namen hat ein Seraph an meiner Wiege gesungen! Ellen heiß’ ich! Gieb ihn, gieb mir meinen Gatten wieder!“ flehte sie zu seinen Füßen und umschlang seine Kniee.

„Dolorida, ich kann Dich nicht lassen!“

„Nicht Mann – nicht? Nun denn, so fluch’ ich Dir!“

Von diesem Fluch bis in’s Innerste durchzuckt, stürzte Oliver auf die Terrasse zurück, um Douglas zu suchen. Die Terrasse war leer ... Eine Blutspur schimmerte auf den Porcellanfliesen ... Es überlief Oliver eiskalt ... Da regte sich’s hinter ihm ... eine schwarze Hand ließ einen Brief in seinen Schooß fallen. Oliver las: „Sir! Hier liegt ein entsetzliches Geheimniß, ein Verbrechen vor; doch vielleicht sind Sie ebenso unschuldig wie ich! Im Namen der göttlichen Barmherzigkeit beschwöre ich Sie, mir zu antworten. Ich bin kein Ehrloser, kein Wahnsinniger, der mit dem ersten Blick auf seines Nächsten Weib in eine sinnlose Leidenschaft verfällt.

Hören Sie meine Geschichte und dann richten Sie. In meinen, zwanzigsten Jahre verheiratete ich mich mit Ellen, Miß Dudley, einem Wunder von Schönheit, o mein Herr, und zum Verwechseln mit jener Dame, die Sie Ihre Gattin nennen. Diese gleicht der Verstorbenen Zug für Zug; nur blühender, voller war Lady Douglas, als ich mich vor zwei Jahren von ihr trennte. Das Klima von Ceylon – ihr Vater war daselbst Gouverneur – wirkte nachteilig auf ihre Gesundheit; ich mußte sie in Begleitung meiner Schwester und eines treuergebenen Dieners nach England schicken; niemals hätte ich sie allein ziehen lassen, wenn meine persönliche Gegenwart in Ceylon eines wichtigen Processes wegen nicht unerläßlich, und wenn es nicht bestimmt gewesen wäre, daß ich ihr in drei Wochen folgen sollte. So geschah es; bereits nach vierzehn Tagen zog mich die Sehnsucht ihr nach. Doch trieb ich während eines Monates auf der See umher, – in London fand ich nur – ihr Grab. Sinnlos warf ich mich auf den Rasenhügel und riß Blumen und Gras aus der frischen Erde; man trug mich für todt aus dem Friedhof. In wilder Verzweiflung habe ich seitdem – Linderung meiner Schmerzen suchend – die Länder durchirrt; so bin ich hierhergekommen. Und hier erblickte ich Ellen, denn es ist ihr Auge, ihr Haar, es sind ihre Lippen! Einmal dieses süße Wesen geschaut, und man muß sterben vor Sehnsucht oder es besitzen. – Mich warf die Allgewalt dieser Aehnlichkeit, der Umstand, die Todte lebend zu finden, zu Boden. Sie retteten, pflegten mich! Gott weiß, ob ich gerührt davon bin! Vergeben Sie, daß ich nicht widerstand, als ich die Klänge der Cither hörte, die meinem Liede antworteten. Ich folgte der Melodie, ich fand Ellen, mein Weib, meine Todtgeglaubte! Sie selbst wissen, daß sie entseelt vor Entzücken mir um den Hals gesunken ist – – –

So weit mein offenes Geständniß. Sein Sie eben so wahr und offen! War Ellen scheintodt und wurde sie durch Ihre Kunst in’s Leben zurückgerufen? Lockten Sie sie durch Magnetismus an sich? Spielte eine höllische Intrigue, eine dämonische Macht diese Frau in Ihre Hände? Reden Sie, ich komme nicht zu richten.

Reden Sie, wo nicht, hab’ ich keinen andern Ausweg aus diesem Labyrinth, als den Selbstmord.

Ich harre Ihrer Antwort in dem Hause an der Fontaine.

Percy Douglas.“

„Will das Schicksal mich mit mir selbst versöhnen, indem es mir das Mittel bietet, meine Schuld zu sühnen? – Werden die Beiden, die ich getrennt, mich segnen, wenn ich ihre Hände von Neuem ineinander lege?“ Bittere Thränen rangen sich aus Oliver’s fieberheißen Augen. Er trat an die offene Thür; die ersten schweren Tropfen eines Gewitterregens fielen auf die Terrasse; balsamisch dufteten Blumen und Pflanzen zu ihm empor; – er breitete beide Arme nach dem Garten aus, als wolle er noch einmal alle seligen Stunden, die er dort genossen, an sein Herz ziehen; der Todesschmerz eines furchtbaren Abschieds zerwühlte seine Brust. Einem übermenschlichen Kampf zum Raube biß er sich auf die Lippen, daß das helle Blut heraussprang; – convulsivisch griff er nach einem seidnen Gürtel der Geliebten, der am Boden lag, er preßte das goldene Band an den Mund, und dann, wie der sterbende Gladiator sich noch einmal emporrichtet, riß er sich in die Höhe, eine stolze Gestalt, hochaufgerichtet, wie in Erz gegossen.

Aber wie hoch sie sich auch emporraffen, wie erhaben sie auch scheinbar überwinden, die Sieger des blutigen oder des geistigen Kampfes, glaubt ihnen nicht, die ihr sie so unerschüttert stehen seht; – der tödtliche Stoß hat getroffen; – der Fechter verblutet an seiner Wunde, der Andere an seinem Opfer. – Langsam zog Oliver eine kleine krystallene Phiole aus der Brusttasche, ähnlich den platten Rosenölflacons. Er hielt die Flüssigkeit, die durch das Glas schimmerte, gegen das Licht. Ein schmerzlicher Hohn zuckte in scharfer Linie um seinen Mund.

Darum also wäre ich bis auf die höchste Staffel meiner Wissenschaft gestiegen? Darum hätte ich geschaut, was Andern verborgen blieb, um hiermit zu enden?“ Er steckte das Gift wieder zu sich und ging dem Hause zu, wo Douglas auf ihn wartete.

„Junges Blut,“ sprach er unterwegs vor sich hin, „wie schwer Du auch leidest bei Deinen vierundzwanzig Jahren, glaube mir, der Vierzigjährige ist doch elender als Du!“

So kam er, eine Hölle von Schmerz im Busen, bis an das Haus neben dem Brunnen, ein dunkles, einsam stehendes Gebäude, welches der Lord seit dem Tage, da er Dolorida von weitem erblickte, gemiethet, und wo er oft die Nacht zugebracht hatte. Wenige Schritte vor diesem Hause trat Lord Douglas Oliver entgegen.

„Sir,“ begann Percy Douglas, den Arzt am Arme fassend, „nehmen Sie mein Leben, nur noch einmal lassen Sie mich sie sehen – von weitem – wie es sei –“ Die Stimme versagte dem Flehenden; er fiel Oliver zu Füßen mitten auf dem Wege.

„Sie werden sie sehen!“ sprach Oliver und zog ihn empor; Hand in Hand kehrten Beide in die Villa zurück. Sie traten in des Arztes Arbeitszimmer. Die Lampe, mit duftendem Oel genährt, beleuchtete hell die geisterbleichen Gesichter der beiden Männer.

„Mylord,“ begann Oliver nach einer Pause, „vor zwei Jahren lebte ich in London. Mir wurde zur Nachtzeit – wie öfters von bestochenen Todtengräbern – eine Leiche zum Seciren in’s Haus gebracht. – Diese Leiche lebte auf. – Dieselbe Leidenschaft, die Sie für Lady Douglas fühlten, ergriff mich; – ich ward zum Leichenräuber; – ich entfloh mit ihr. Dolorida ist Ellen!“

Dem ersten Impulse folgend, stürzte Douglas auf Oliver und packte ihn, als wolle er ihn zerreißen, als gäbe es keine andere Erwiderung auf das Geständniß des Arztes. Doch Oliver hielt mit herculischer Kraft Percy von sich zurück, und der Lord stöhnte,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_335.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)