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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

die deutsche Nation gehalten, zitterte merklich vor innerer Bewegung. Es mußte etwas Großes sein, das den Mann der Wissenschaft, den besonnenen Denker, so mächtig ergriffen und umgewandelt hatte. Ganz Berlin, oder vielmehr das gesammte Vaterland befand sich in einer eigenthümlichen Lage, am Ausgangspunkte einer neuen, großen Zeit. Nachdem Napoleon auf den Eisfeldern Rußlands sein Heer begraben und die Hand des Schicksals den Welteroberer gedemüthigt, erwachte auch das deutsche Volk aus seiner Betäubung und rüttelte, wenn auch nur zaghaft, an seinen Ketten. Vor Allen war es Preußen, das sich zum Kampfe rüstete, aber noch lastete das Joch des Feindes schwer auf seinen Schultern, seine Festungen waren in des Unterdrückers Hand und selbst die Residenz von französischen Truppen besetzt.

Fichte als Landwehrmann
Nach einer Originalzeichnung von Albrecht Schadow.


Auch geschlagen und halb vernichtet blieb Napoleon furchtbar und gefährlich. Die Regierung wagte nicht, ihn offen anzugreifen; der kühne York, welcher durch seinen Abfall dem Könige ein Heer gerettet, mußte verleugnet, die Rüstung heimlich betrieben, die kaum mehr zu zügelnde Kriegslust der Nation durch allerhand diplomatische Künste verborgen und bemäntelt werden. Da der König sich in seiner Hauptstadt nicht mehr sicher fühlte, hatte er Berlin verlassen und sich nach Breslau begeben. Von hier aus erließ er jenen denkwürdigen Aufruf „an mein Volk“, dessen Wirkung eine so bedeutende war, daß Jung und Alt zu den Waffen griff.

Auch die studirende Jugend und sie vor Allen wurde von dem mächtigen Sturm erfaßt; die Hörsäle der neu gegründeten Berliner Universität hallten von kühnen und begeisterten Reden wieder, aber noch hatte keiner der Lehrer das letzte entscheidende Wort gesprochen, da sich die Hauptstadt noch immer in des Feindes Hand befand und Vorsicht in mehr als einer Beziehung geboten war. Nur Fichte fürchtete nicht die drohende Gefahr, unerschrocken entfaltete er die Fahne der Begeisterung, forderte er seine Schüler auf, für das Vaterland in den heiligen Kampf zu ziehen. „In einer solchen Lage,“ sprach er muthvoll zu der Jugend, „was können die Freunde der Geistesbildung thun? Ich habe schon früher meine Ueberzeugung ausgesprochen, daß, wenn die Gesellschaft, der Inhaber der materiellen Kräfte, dies sich gefallen läßt, sie selbst dagegen durchaus nichts thun können, als was sie ohnedies thun würden, sich und Andere mit allem Eifer bilden. Sie sind ein höchst unbedeutender Theil der vorhandenen Körperkraft, wohl aber sind alle bis auf ihre Zeit entwickelte Geisteskraft, und in ihnen ist niedergelegt das Unterpfand eines dereinstigen besseren Zustandes. Sie müssen darum sich selbst, ihre äußere Ruhe und Sicherheit, und, was sie eigentlich schützt, ihre scheinbare Unbedeutsamkeit erhalten, so gut sie können, und durch nichts die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen. Wir haben ein leuchtendes Beispiel dieses Betragens an denen, die wir als die Fortpflanzer der höchsten auf uns herabgekornmenen geistigen Bildung betrachten müssen, an den ersten Christen. – Wenn nun aber in dieser Lage eine Veränderung einträte, daß die Gesellschaft die Unterjochung ihrer Kräfte für fremde Zwecke nicht mehr dulden, sondern sich freimachen wollte für selbst zu wählende Zwecke: was könnten und sollten die Freunde der Geistesbildung sodann thun?

„Zuvörderst wird der Kampf begonnen im letzten Grunde für ihr Interesse; ob auch nicht Jeder es so meint und versteht, sie können es also verstehen. – Es kann gar nicht fehlen, daß nach dieser Befreiung der Geist, wenn er neu seine Zeit erwarten und nichts ungeduldig übereilen will, auf die neu zu gestaltende Zeit einfließen werde. – Sodann soll das Ganze von der Schmach, welche die Unterdrückung auf dasselbe warf, gereinigt werden. Diese ist auch auf sie mitgefallen, freilich unverdient, ja zu ihrer Ehre, weil sie um höherer Zwecke willen frei und entschlossen duldeten. – Jetzt möchte es scheinen, als ob der, welcher das Seinige thut, die Schmach abzuwälzen, gern geduldet hätte, nicht um höherer Zwecke, sondern aus Mangel an Muth. Doch so könnte es auch nur scheinen, und wer nur seines wahren Muthes sich bewußt wäre, könnte auch den haben, über den Schein sich hinwegzusetzen. – Um Muth zu zeigen, bedarf es nicht, daß man die Waffen ergreife: den weit höhern Muth, mit Verachtung des Urtheils der Menge treu zu bleiben seiner Ueberzeugung, muthet uns das Leben oft genug an.

„Aber wenn ihnen die Theilnahme an dem Widerstände nicht nur freigelassen wird, wenn sie sogar zu derselben aufgefordert werden, wie verhält es sich sodann? Die Masse der zum Widerstand nöthigen Kräfte können nur diejenigen beurtheilen, die jenen Entschluß faßten und die an der Spitze des Unternehmens stehen. Nehmen sie Kräfte in Anspruch, die in der Regel nicht dazu bestimmt sind, so müssen wir, nachdem wir Vertrauen zu ihnen haben können, ihnen auch darin glauben, daß diese nöthig sind. Und wer möchte bei ungünstigem Ausgang den Gedanken auf sich laden, daß durch sein Sichausschließen und durch das Beispiel, das er dadurch gegeben, das Mißlingen veranlaßt sein könne? Das Bewußtsein, meine Streitkraft ist nur klein, wenn es auch ganz gegründet wäre, könnte dabei nicht beruhigen. Denn wie, wenn nicht sowohl auf die Streitkraft, als auf den durch das Ganze zu verbreitenden Geist gerechnet wäre, der hoffentlich, aus den Schulen der Wissenschaft ausgehend, ein guter Geist sein wird? wie, wenn gerechnet wäre auf das große, den verbündeten deutschen Stämmen zu gebende Beispiel eines Stammes, der in allen seinen Ständen sich erhebt, um sich zu befreien?“ – Mit solchen tiefen und zugleich ergreifenden Worten entzündete Fichte in der Brust der ihn umgebenden Jünglinge die heilige Flamme der Vaterlandsliebe und kriegerischer Thatenlust, und als sie den Hörsal verließen, meldeten sich die Meisten freiwillig zu den Waffen, darunter zwei Lieblingsschüler des großen Philosophen, welche im muthigen Freiheitskampfe auf dem Felde der Ehre blieben und mit ihrem Blute die Worte ihres hochgeehrten Lehrers besiegelten. Weit wichtiger jedoch als die bloße materielle Kraft war die geistige Unterstützung, welche Fichte in seinen Schülern dem Heere zuführte, jene moralische Macht und flammende Begeisterung, die sich unwillkürlich der schwerfälligeren Menge mittheilte und dieselbe in mächtigem Aufschwung fortriß.

Aber ein Charakter wie Fichte, dessen innerste Natur die That war, konnte und mochte es nicht bei den bloßen Worten bewenden lassen. Er bat um die Erlaubniß, das Heer begleiten zu dürfen, um als Feldredner „die Krieger in Gott einzutauchen und die in letzter Instanz Beschließenden und Handelnden durch Beredsamkeit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_396.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)