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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

noch eine kurze Strecke trennte ihn von der feindlichen Heerde, die plötzlich ihre Richtung geändert hatte und vor uns vorüber einem Gehölz im Thale des Flusses zueilen wollte.

Es war ein prachtvoller Anblick, den stolzen Hengst zu beobachten, wie er im Vollgenuß seiner Freiheit ähnlich einem Vogel dahinschoß, wie eine Anzahl seiner erfahrensten Untergebenen, eine lange Reihe bildend, ihm auf dem Fuße nachfolgte, und an diese sich erst die Hauptheerde, die aus mehreren Hundert Mitgliedern bestand, anschloß. Doch der Eindruck, den diese Scene hervorrief, wurde durch den Gedanken geschwächt, daß wir Gefahr liefen, den unersetzlichen Theil unserer Bagage in zertrümmertem Zustande wiederzufinden.

„Ich setze den Fall, wir retten den Wagen,“ sagte Biber, sobald der Schimmelhengst in der Entfernung von ungefähr hundert und funfzig Schritten vor uns vorübersauste, und als er das letzte Wort gesprochen hatte, da stand er auch schon auf der Erde und folgte mit der angelegten Büchse den Bewegungen des stattlichen Thieres. Im nächsten Augenblick krachte der Schuß, der Schimmelhengst überschlug sich und blieb regungslos auf dem Rasen liegen, der schwarze Biber aber saß wieder zu Pferde und galoppirte mit wildem Geheul auf die Heerde los, welchem Beispiel wir natürlich, so weit es in der Kraft unserer Lungen lag, folgten.

Der Wagen war gerettet; die Thiere, zahme wie wilde, stutzten, und als die Leute wieder Herr über die Flüchtlinge geworden waren, da stoben die erschreckten und ihres Führers beraubten Mustangs auseinander und jagten in kleinen Gruppen nach verschiedenen Richtungen davon. Eine Heerde von etwa zwanzig Mitgliedern verschiedenen Alters und Geschlechts hatte die ursprüngliche Richtung beibehalten und näherte sich vollen Laufs dem Strome, und zwar an einer Stelle, wo nicht weit von dem kleinen Pappelgehölz im Laufe der Zeit durch die wandernden Bisonheerden eine verhältnißig bequeme Fuhrt hergestellt worden war.

Diese Fuhrt nun mußten die Comanches beständig im Auge behalten und zu ihren Zwecken auserkoren haben, denn die fliehenden Mustangs befanden sich kaum dem Gehölz gegenüber, da brachen fünf oder sechs nackte braune Reiter aus demselben hervor und gelangten, nach einigen mächtigen Sätzen ihrer kraftvollen Renner, mitten unter sie. Die Verwirrung, die das plötzliche Erscheinen der Reiter in der kleinen Heerde hervorrief, und die wilden Bewegungen, mit welchen die geängstigten Thiere zu entkommen suchten, ließen sich kaum mit den Augen verfolgen. Ich sah nur über der dichten Gruppe zottiger, langbemähnter Steppenpferde die nackten Oberkörper der kühnen Jäger und die hoch emporgehobenen Fäuste mit den regelrecht geschwungenen Lasso’s, und im nächsten Augenblicke schon stürzten sich die bäumenden Rosse, unbekümmert, ob ihre scharfen Hufe die Gefährten mit verderblicher Gewalt trafen, blindlings in die sandigen Fluthen des Canadian.

Nur die Reiter waren auf dem Ufer zurückgeblieben, und zwei Mustangs, die ohnmächtig, aber mit wilder Wuth gegen die unzerreißbaren, aus geschmeidigem Leder geflochtenen Lasso’s kämpften und die ihre Luftröhren umschließenden Schlingen immer fester zugezogen. Wir ritten hinüber, um das fernere Verfahren der wilden Jäger genauer in Augenschein zu nehmen, und kamen gerade an, als die schwer röchelnden Gefangenen niederstürzten und ihre Glieder wie zum letzten Todeskampf ausstreckten. So lange hatten sich die beiden Reiter, die mittelst des um den Sattelknopf geschlungenen Lasso’s ihre Opfer hielten, nicht gerührt. Kaum aber lagen dieselben auf der Erde, so überließen sie es ihren wohlgeschulten Pferden, die Leinen straff zu halten, sprangen zu den Mustangs hin und fesselten ihnen mit unglaublicher Gewandtheit die Vorderhufe zusammen, worauf sie ihnen die Schlingen anderer bereit gehaltener Lasso’s um die Unterkiefer schnürten.

Nach diesen Vorkehrungen erst gestatteten sie es mit Hülfe ihrer Cameraden den Thieren, so viel Luft zu schöpfen, wie nöthig war, das Leben nicht ganz entfliehen zu lassen, und da dieselben sehr bald wieder Symptome von ungebrochener Wuth zeigten, so hauchten sie ihnen mehrere Male in die geöffneten Nüstern, wanden die an den Unterkiefern festgeschnürten Leinen mit einem Knoten zaumähnlich um die Nasen und stellten sich dann so über sie hin, daß sie beim Auffpringen auf deren Rücken zu sitzen kommen mußten.

Vorsichtig wurden sodann die Schlingen von den Beinen und vom Halse gelöst, und empor schnellten die beiden Mustangs, als ob sich in jedem einzelnen ihrer Glieder eine stählerne Sprungfeder befunden hätte. Das ungewohnte Gewicht der Reiter schien die entsetzten Thiere förmlich zu betäuben, denn fast eine Minute lang standen sie steif und unbeweglich wie Statuen da, dann aber begannen die von den buschigen Stirnhaaren verschleierten Augen wild und unheimlich zu funkeln; die mittelst der scharfen Schlingen an die Brust gepreßten Köpfe und die gekrümmten Hälse verschwanden fast in den dichten flatternden Mähnen, die langen Schweife peitschten die schlagenden, mit weißem Schaum bedeckten Seiten, die zierlichen Hufe bohrten sich tiefer in den Rasen, und die ungewöhnlich stark behaarten Beine zitterten krampfhaft und knickten mehrfach in den Gelenken. Die schlanken Reiter aber, nur bewaffnet mit schweren Geißeln, saßen so fest, als wenn sie mit den kurzen gedrungenen Körpern der Mustangs aus einem Stück gegossen gewesen wären; ihre sonst so finstern Physiognomien leuchteten vor Entzücken und innerer Erregung, und wie eiserne Drähte drängten sich die angespannten Sehnen ihrer hageren Glieder hervor.

Jetzt fielen die Geißeln klatschend auf die in Schweiß gebadeten Seiten. Die Mustangs versuchten es, sich zu bäumen, woran sie aber durch den schmerzhaften Druck über ihren Nasen gehindert wurden; sie warfen sich auf den Boden und schnellten wieder empor, aber eher hätten sie einen blutdürstigen Panther von ihrem Rücken zu entfernen vermocht, als diese umsichtigsten und gewandtesten aller Steppenreiter. Hieb auf Hieb sauste auf die kämpfenden Thiere nieder, und wildes, durchdringendes Jauchzen und Gellen aller Comanches erfüllte die Luft. Da bemächtigten sich die Furien der Angst und des Entsetzens der Mustangs; nur noch einen einzigen mächtigen Sprung führten sie aus, und dann stürmten sie unaufhaltsam und mit einer solchen Eile davon, daß man sie mit einem Pfeil hätte vergleichen mögen, der eben die straffe Sehne des Bogens verlassen. Die kühnen Reiter wie deren zurückgebliebene Gefährten setzten aber noch lange ihr ohrzerreißendes Jauchzen fort. –

Der schwarze Biber hatte die grausame Scene so lange schweigend und mit strahlendem Gesicht beobachtet. Sobald aber die beiden Reiter hinter einer wogenförmigen Erhebung des Bodens verschwunden waren, forderte er uns auf, den vorangezogenen Wagen nachzueilen. Als dann Einer unserer Gesellschaft den Wunsch äußerte, die Rückkehr der Pferdebändiger abzuwarten, da entgegnete er lachend: „Ihr mögt warten, zwei Stunden, oder bis Mittag, oder bis Abend; sie nicht heimkehren, bis die Mustangs zahm oder todt. Oft die Mustangs auch nur dumm werden, und dann ihr Fleisch der einzige Lohn für die Mühe. Comanches aber sehr klug, sie lieber die Mustangs todt reiten, als ihren Geist brechen. Dummer Mustang nicht zu gebrauchen.“

So sprach der große Delaware, und den Comanches zum Abschied mit der Hand winkend, lenkte er sein Pferd gegen Westen. Noch einen letzten bedauernden Scheideblick warf ich auf den stolzen Schimmelhengst, der durch des schwarzen Bibers mörderische Kugel geopfert worden war, und trabte dann meinen vorangeeilten Gefährten nach.


Zwei Welten.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

Hugo’s erster Weg am nächsten Morgen war es, sich nach einem anständigen deutschen Gasthause zu erkundigen. Einestheils vermuthete er dort billigere Zeche und andererseits wollte er sich lieber einem Landsmanne, als einem der kalten Gesichter, wie sie ihm in der „Office“ des amerikanischen Hotels entgegenstarrten, anvertrauen. Schnell genug war er auch nach einem leidlich aussehenden Hause gewiesen, und die behäbige Gestalt des Wirths, welche ihm in der düstern, aber reinlichen Schenkstube entgegenkam,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_429.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)