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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

– und was sollte er auch beginnen, wenn sich die Vorhersagungen seines neuen Freundes in Bezug auf die Erlangung einer Lehrerstellung bethätigten? In einem Zwiespalt seines Innern, wie er ihn noch nie so peinigend empfunden, erreichte er sein letztes Nachtquartier und ordnete das Wegschaffen des Gepäcks an. Für den Tischler, welcher das Hotel mit ihm zugleich verlassen gehabt, hinterließ er die Angabe seines jetzigen Aufenthaltes und trat sodann den Rückweg an.

Mit einem stillen Nicken empfing ihn der Wirth und ließ ihn nach einem kleinen, aber freundlichen Zimmer im zweiten Stock geleiten; Hugo achtete indessen kaum auf seine neuen Umgebungen; er fühlte sich in seinen Entschlüssen und seinem Urtheile so unsicher, daß vor der Unruhe in ihm die äußeren Eindrücke nur halb zu seinem Bewußtsein gelangten, und kaum schloß sich hinter dem heraufgeschafften Gepäck die Thür, als er sich auf den Stuhl am Fenster warf und sich frei seinen innern Regungen überließ. Er wollte erst Mangold’s Rückkehr erwarten, dessen gesunder Verstand oft Alles ersetzte, was dem Handwerker an feinerem Gefühle abgehen mochte, ehe er irgend einen weitern Schritt that; aber es währte wohl noch eine Stunde, welche der Wartende, bald in Träumereien versinkend, bald ungeduldig das Zimmer durchmessend, verbrachte, ehe das aufgeweckte Gesicht des Gefährten in der geöffneten Thür erschien.

„Richtig schon Standquartier genommen – nun, ich bin auch nicht faul gewesen!“ rief dieser eintretend. „Zweierlei Neues, Hugo! Zuerst also habe ich Arbeit und darf mich ohne Schande wieder im Spiegel besehen – es ist zwar in der Tischlerei eine sonderbare Manier hier zu Lande, vor der ein Meister in Deutschland die Krämpfe bekommen würde, aber ein richtiger Soldat muß sich in Alles finden, wie unser Unterofficier sagte, und ich wünsche nur, daß Du einen so schnellen Treffer hast, als ich!“

„Hab’ ihn gehabt, Heinrich,“ erwiderte der Andere mit einem leichten Zucken um den Mund, „hatte schon vor länger als einer Stunde eine Stellung.“

„Du?! wo denn um Gotteswillen in der Geschwindigkeit?“

„Unten im Gastzimmer hinter dem Schenktische!“

Heinrich sah den Freund einen Augenblick mit großen Augen an. „Barkeeper?“ fragte er dann, und eine Mischung des verschiedensten Ausdrucks klang in dem Worte.

„Barkeeper, Heinrich, und wenn Du zum Biere kommst, darfst Du mich herunterputzen, wenn ich Dir nicht schnell genug aufwarte!“

Der Tischler begann seine Nase zu streichen. „Wenn das Spaß war, Hugo, so war es unrecht,“ sagte er langsam, „als Ernst aber noch viel mehr. Ich weiß, daß der Barkeeper die Hauptperson in einem Hause ist, wenn er nur den Mann dazu vorstellt, und habe in New-York einen preußischen Officier hinter der Bar gesehen, vor dem ich mehr Respect bekam, als wenn er in der Uniform gesteckt hätte. Dir hätte ich freilich den Anfang nicht vorschlagen mögen, und nun sage mir nur, was davon wahr ist!“

„So viel, daß es wahrscheinlich meine erste und letzte Ressource ist, wenn der Wirth die hiesigen Verhältnisse kennt!“ rief Hugo unruhig aufspringend und von Neuem das Zimmer durchmessend.

„Und warum kann es nicht irgendwo mit einer Lehrerstelle etwas sein?“ fragte der Tischler, mit den Augen den Bewegungen des Gefährten folgend.

„Weil ich unter den Amerikanern nirgends ohne Empfehlung ankomme – einfach, und gerade wie anderswo auch!“

„Und warum läßt Du Dich denn nicht empfehlen?“ erwiderte der Andere trocken. Hugo blieb stehen und sah den Frager mit ernstem Blicke an. „Nun ja,“ fuhr dieser gleichmüthig fort, „so ist es, wenn man die Leute nicht ausreden läßt. Zum Zweiten also hatte ich Dir zu berichten, daß selbiger John Winter, welcher auf der bewußten Karte steht, ein Kaufmannsgeschäft hier in der Stadt hat, daß ich das Schild selbst gelesen habe, und ich meine nun, daß eine Empfehlung wohl das Wenigste ist, was der Mann zu thun verbunden wäre. Du hast seine Tochter halb vom Tode gerettet, hast mit einem Grafen um sie schlimmen Spectakel gehabt und bist auf eine bestimmte Einladung hierher gekommen –“

Der Referendar wandte den Blick nach dem Fenster, und ein leichtes Roth der Erregung trat langsam in sein Gesicht. Eine kurze Weile schien er mit sich selbst zu kämpfen. „In der Stadt – im Geschäfte, das läßt sich eher thun,“ sagte er endlich zögernd, „Gott mag nur wissen, ob der Mann überhaupt etwas von der Karte weiß oder jemals von mir gehört hat. Indessen sei bedankt, Heinrich,“ wandte er sich, wie in gewonnenem Entschlusse, nach dem Freunde zurück, „und da es wahrscheinlich der einzige Schritt ist, den mir das Schicksal als Wahl läßt, so sei er auch sogleich gethan! Sage mir, wo ich Dich später treffen soll!“

„Alle Wetter, ich warte hier auf die Entscheidung!“ erwiderte der Tischler; „werde aber dabei meinen Sehnsuchtsschmerz nach dem ersten Glase Bier seit acht Tagen stillen! “

Zehn Minuten später bog der Referendar in die ihm bezeichnete Straße ein und fand schon von Weitem unter der Zahl der übrigen Handlungsfirmen, welche die Häuser bedeckten, den gesuchten Namen. Es war eins der gewöhnlichen rohen Backsteingebäude, bereits von Alter schmutzig braun geworden, dem er sich zuwandte, und mit einem leisen Kopfschütteln stellte er damit den Rang, welchen die Familie in Berlin beansprucht, zusammen. Unwillkürlich hatte er indessen seine europäische Gesellschafts-Haltung angenommen und von Allem, was in diesem Augenblicke seine Seele bewegte, fühlte er am klarsten, daß ihn selbst die drängendste Lage nicht vermögen werde, sich hier einer Selbstdemüthigung zu unterziehen.

Der untere Raum des Hauses, welcher sich durch drei breite Thüren nach der Straße öffnete und nur durch diese sein Licht empfing, war zum Theil durch Ballen und Fässer eingenommen; im Hintergrunde desselben aber zeigte sich durch eine Glasthüre eine geräumige „Office“, welche durch die Rückseite des Gebäudes ihr Licht empfing, und der junge Mann zauderte nach einem kurzen Rundblick nicht, dorthin seinen Weg zu nehmen.

Von den drei Personen, welche an einzelnen Schreibepulten beschäftigt waren, hob sich bei dem ruhigen Oeffnen der Thür nur das Gesicht eines alten Graukopfs, der, sobald Hugo nach dem Geschäftsherrn fragte, lautlos nach einem sorgfältig gekleideten Manne wies, welcher neben einem großen eisernen Geldschranke mit der Durchsicht von Papieren beschäftigt zu sein schien, jetzt aber bei der Nennung seines Namens langsam den Kopf drehte.

Der Eingetretene erkannte sofort die schon einmal gesehenen Züge und trat mit einer leichten Verbeugung heran. „Ich hatte das Vergnügen, Mr. Winter, Ihnen auf einer Alpentour bei Ersteigung des Mont en Vert im Chamouny-Thale zu begegnen,“ sagte er; „keinenfalls werden Sie sich wohl meiner entsinnen; indessen führte mich das Schicksal an demselben Tage mit Miß Winter zusammen; ich hatte auch die Ehre, diese Bekanntschaft bei einer ministeriellen Soirée in Berlin zu erneuern, sowie später Ihre Karte zu erhalten, und so wollte ich nicht verfehlen, da mich eine eigenthümliche Verkettung der Umstände hierher führt, Ihnen wenigstens meine Aufwartung zu machen!“

Winter hatte einen kurzen forschenden Blick über das Aeußere seines Besuchs geworfen, griff sodann nach der Karte, welcher Hugo seine eigene beigefügt, und zog einen Stuhl im Bereiche seiner Hand heran. „Setzen Sie sich, Sir,“ sagte er, das kalte Auge nicht von dem Gesichte des jungen Mannes lassend; „sind Sie nur zufällig hier, oder gedenken Sie länger in der Stadt zu verweilen?“

„Ich mochte sagen Beides!“ lachte Jener, ohne sich einer leichten Befangenheit erwehren zu können, „ich habe den Plan, wie so viele Andere, mir in Ihrem Lande eine neue Existenz zu gründen; ich glaube auch die nöthige Befähigung dafür zu haben, und will nun sehen, wie sich die Verhältnisse für mich anlassen.“

Der Kaufmann verneigte sich leicht; sein Gesicht war um einige Schatten kälter und zurückhaltender geworden.

„Sie können mir vielleicht sagen, Mr. Winter,“ begann Hugo nach einer Pause, die wie Blei auf ihm gelastet, von Neuem, „ob eine Möglichkeit vorhanden ist, bei einer der hiesigen Lehranstalten anzukommen? Ich glaube den Anforderungen für verschiedene Fächer entsprechen zu können und würde darin einen ganz annehmbaren Anfang für mich sehen!“

„Ich bin leider außer Stande, Ihnen mit einer Auskunft zu dienen,“ war die Erwiderung, „ich habe nicht die geringste Verbindung mit diesen Instituten; indessen dürften wir hier kaum Mangel an Lehrern haben.“

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_431.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)