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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)


Ein russisches Dichterleben.

Die Meister in Kunst und Wissenschaft haben zwar ein specielles Vaterland, aber ihre Werke gehören der Welt und schaffen ihnen gewissermaßen eine zweite Heimath überall, wo in den Herzen Liebe für Hohes und Edles wohnt. Wer vermöchte dem Zauber des Liedes sich zu entziehen, wer gefühllos zu bleiben vor der Schöne des Kunstwerks, wer unergriffen von der Tiefe des Gedankens? Ein kleinrussischer Dichter, Schewtschenko, der im vorigen Jahre starb, hat in den letzten Jahrzehnten nicht blos in seiner Heimath, der Ukraine, sondern im ganzen großen Rußland vielfache Anerkennung gefunden, die ebenso durch seine Bedeutung als volksthümlicher Dichter, Künstler und Mensch, wie durch seine Erlebnisse hervorgerufen wurde. Dennoch geht dem Auslande mit unserer Mittheilung vielleicht die erste Kunde über Schewtschenko zu.

Die Ukraine, jene Gegend Rußlands, die der Dniepr durchfluthet, von dessen hohen Ufern die alte Czarenstadt Kiew stolz hinabschaut, den Reisenden ebenso mit Ehrfurcht für die Vergangenheit als mit Entzücken über die herrliche vor ihm ausgebreitete Natur erfüllend, war von je an Dichtern aus dem Volke reich. Ihre Namen sind vergessen, vielleicht auch viele ihrer Lieder, aber in dem Volke lebt der Sinn für Poesie fort und wird immer neu belebt durch die schöne Natur, mit der sich das unverdorbene Menschengemüth so gerne im Einklange befindet. Aus ihrer innigen Wechselwirkung gehen jene bevorzugten Menschen hervor, die, vom Genius geweiht, segenbringend durch das Leben wandeln, die in keiner Lebenslage ihren höhern Adel verleugnen und die kein Hemmniß ihrer Bestimmung zu entfremden vermag. Wie dunkel und mehr geahnt als bewußt auch anfänglich die Aufgabe ihres Lebens in ihrer Brust lebt, sie bricht sich durch zum vollen Bewußtsein und erfüllt sich mit Nothwendigkeit. Zu diesen Naturen gehörte Schewtschenko.

Taras Grigorjewitsch Schewtschenko.

Taras Grigorjewitsch Schewtschenko wurde 1814 in einem Dorfe Kirilowko im Kreise Swenigorod des Gouvernements Kiew geboren. Seine Eltern waren Leibeigene, starben frühe und ließen ihn im 8. Jahre als Waise zurück. Der dem Trunke ergebene Kirchner des Dorfs nahm ihn zu sich in die Schule, zugleich aber auch in der Absicht, um einen Diener zu haben. Schewtschenko’s Lage wurde bei seinem Herrn und Lehrer, dessen grausame Laune er täglich ertragen mußte, bald unerträglich; er entwich in ein nahes Dorf. Hier wurde ein Maler von Heiligenbildern sein Lehrer, aber auch hier war seines Bleibens nicht lange. Der neue Lehrer glich dem verlassenen in vielen Stücken, ja übertraf ihn sogar in einigen. Die roheste Behandlung und über alle Kräfte gehende Arbeit zwangen Schewtschenko, auch diesen Lehrer zu verlassen und in einem andern Dorfe bei einem Maler von Heiligenbildern in die Lehre zu gehen. Seine Lage war dadurch keineswegs gebessert, und als nun gar sein Meister ihm jedes Talent zum Malen absprach, kehrte Schewtschenko traurig in sein Heimathsdorf zurück, entschlossen Hirt zu werden. Doch ihn erwartete eine andere Bestimmung. Der bisherige Gutsherr hatte inzwischen das Zeitliche gesegnet, der Sohn hatte das Gut übernommen und dieser machte Schewtschenko zu seinem Zimmerkosaken. Als solcher mußte er im Vorzimmer sitzen, die Pfeife des Herrn stopfen, ein Glas Wasser reichen und jedes andern Befehls gewärtig sein, ein elendes Leben, das Schewtschenko durch Copiren von Bildern mit gestohlenem Bleistift und durch Lesen und Auswendiglernen alter Lieder für sich nützlich machte. Auf den Reisen seines Herrn benutzte er die Gelegenheit, aus jeder Herberge ein Bild auf Lindenbast, womit die Wände gewöhnlich geschmückt sind, mit sich zu nehmen, um es zu Hause in Muße zu copiren. – Indessen seine Sehnsucht nach Petersburg zu kommen, um bei einem ordentlichen Meister seinem Hange Genüge zu thun, wuchs mit jedem Tage. Sein Herr, der mit Schewtschenko’s Diensten nicht sehr zufrieden war, wurde der unaufhörlichen Bitten müde und gab endlich seinen Zimmerkosaken auf 4 Jahre in die Lehre zum Maler Shirajew in St. Petersburg. Unterschied sich auch dieser von den früheren Lehrern nicht allzu sehr, so lebte doch Schewtschenko jetzt in einer andern Welt, in der Hauptstadt, die nicht unterließ ihre Wirkungen auf den fähigen Jüngling zu äußern. Er konnte in seiner freien Zeit mit der schönen Kaiserstadt und mit Menschen bekannt werden, im Sommergarten sich ergehen und die Statuen studiren, in den wunderbaren Frühlingsnächten sich ganz dem über die Newa ausgebreiteten Zauber und seinen Träumen hingeben. Sein Geist fand Nahrung, wie elend auch seine sonstige Stellung war. Einst überraschte ihn beim Copiren der Statuen im Sommergarten der Akademiker Soschenko. Erstaunt über die Arbeiten, die keine gewöhnliche Anlage verriethen, gab er Schewtschenko den Rath, nach der Natur Aquarellportraits zu versuchen, und legte, als Schewtschenko es mit Erfolg that, diese Arbeiten dem damaligen Secretair der Akademie der Künste, Grigorowitsch, vor, dessen Interesse er für den jungen Mann rege machte. Grigorowitsch sprach mit dem Dichter Shukowski, dieser mit Brulow, dem berühmten russischen Maler, und Dank diesem erhielt Schewtschenko seine Freiheit und den Eintritt in die Akademie der Künste (1837). Brulow malte nämlich das Portrait von Shukow, sie verloosten es, und mit dem Ertrage dieser Lotterie wurden die Ansprüche von Schewtschenko’s Herrn befriedigt. – Der Unterricht in der Akademie, das Zusammenleben mit gleichem Ziele nachstrebenden Jünglingen, das Vorbild edler Lehrer, am meisten aber das beglückende Gefühl der Freiheit, das den Jüngling belebte und seitdem immer der Grundton seines tiefsten Denkens und Handelns blieb, ließen Schewtschenko reißende Fortschritte machen, ja riefen in ihm jene erhöhte glückliche Stimmung wach, der er die Entfaltung seines schönen Dichtertalents dankte. Dieses, sowie seine künstlerischen Arbeiten, machten ihn bald



    beweisen läßt, da im Fahrwasser der Amazone kein Felsen zu finden ist, der eine ähnliche Wirkung hervorbringen konnte. Wenn in der Nordsee ein Fahrzeug sinkt, so bettet es sich in den Sand und zwar langsam, so daß Lasten, welche sich im Raum befinden, nie wieder oder doch erst nach langen Monaten ans Tageslicht kommen. Man kann dies in der Nähe jeden Herbst auf den berüchtigten Godwin-Sands und den noch gefährlicheren Galloper vor der Themsemündung beobachten. Wäre die Katastrophe nicht plötzlich eingetreten, so hätten sich wohl Einer oder Einige von der Bemannung gerettet. – Zu diesen eben angeführten Gründen kommt noch, daß die Lootsen von Deal und Margate sich ganz unbefangen über den Vorfall ausgesprochen haben, da sie zur entsprechenden Zeit einen großen Yankeeklipper mit zerbrochenem Bugspriet und beschädigtem Bug in See sprachen, der ihren Beistand auf ganz ungewohnte schroffe Weise abwies. Wer im letzten Winter in New-York lebte, wird weiter wissen, daß man in allen Kaffeehäusern der Bowery und anderwärts ganz offen erzählte, die Amazone sei in der Nordsee von einem Amerikaner, den man in Kopenhagen zu diesem Zwecke bestochen habe, übersegelt worden. Ein jetzt bei Fort Monroe auf der Unionsflotte stationirter Seemann hat den dortigen deutschen Soldaten die Katastrophe ebenfalls erzählt. Auch die nordamerikanische Presse hat davon Notiz genommen, und man wird bei näheren Nachforschungen in der Shippers news des Herald oder der Times leicht die betreffenden Mittheilungen auffinden. Da aber die transatlantische Presse gegenwärtig mit den eigenen Angelegenheiten ausschließlich beschäftigt ist, so darf man sich nicht wundern, daß dieser Gegenstand nicht weiter beleuchtet wurde. Vielleicht giebt unser heutiger Artikel Veranlassung zu weitern und gewissenhaften Untersuchungen, die hoffentlich sehr rasch herausstellen werden, wie weit diese Darstellung ein Werk der Phantasie ist.

    Die Redaction.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_437.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)