Seite:Die Gartenlaube (1862) 474.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

nicht wenigstens versucht zu haben, des Dichters persönliche Bekanntschaft zu machen, bestimmten mich endlich, zu ihm zu gehen.

Heine wohnte in einem von dem alten Paris, der Cité, sehr entlegenen Stadtviertel. Hat man sich durch den Strom der eleganten Equipagen und Reiter auf den von allen Völkern der Erde wimmelnden Boulevards glücklich durchgearbeitet, so gelangt man am äußersten Ende der noch sehr belebten Chaussée d’Antin, auf der das Gelärm der Boulevards noch immer in den Ohren nachklingt und die Augen noch geblendet sind von der Pracht und Großartigkeit der mannigfaltigen Gegenstände, durch eine kleine Seitenstraße in einen Stadttheil, in dem man nur noch durch die Höhe und Eleganz der Häuser erinnert wird, daß man in Paris ist. Hier schweigt das ewige Gerassel der Wagen, – höchstens sieht man einen Omnibus in gleichmäßigem Trabe dahinfahren – hier werden die Ohren nicht mehr verletzt durch die unerträglichen und unarticulirten Töne des nomadisirenden Kaufmannsstandes, hier hört man nur in der Ferne die monotone Musik der von Tagesanbruch arbeitenden Drehorgeln, auf denen Invaliden durch deutsche Melodien das musikalisch so hoch gebildete Ohr der Pariser in Entzückung versetzen; hier glaubt man wirklich, wenn man sich statt der Häuser in modernem Baustyle Giebelhäuser denkt, man befände sich in dem stiller gewordenen Augsburg oder Lübeck. Wäre dieser Stadttheil erbaut worden zu der Zeit, als letztere Städte in commercieller Beziehung die Metropolen Deutschlands waren, dann würden sicherlich auch einige der Straßen dieses Stadttheils ihren Namen führen. So aber findet man hier wohl eine Rue de Constantinople, Milan, Naples, Berlin, Munich, Stockholm, Florence etc., aber man vermißt die Namen obiger Städte. In diesem Viertel, dessen Straßen nur die berühmtesten europäischen Städte zu Pathen haben, wohnte auch Heinrich Heine und zwar in der Rue d’Amsterdam No. 50. Die Dichter liebten von jeher die Einsamkeit. Wohin hätte also Heine sich besser zurückziehen können, als nach diesem Stadttheil, der, ohne den Schmutz und die unheimliche Diebesstille anderer Vorstädte zu besitzen, den Comfort und die Eleganz des übrigen Paris aufweist? Zwei Stiegen im Hinterhause des Gebäudes führten zu der Wohnung des Dichters. Eine junge Dame, deren Gesichte eine tiefe Trauer aufgeprägt war, öffnete mir die Thür. Ihr trug ich meine Bitte vor. Welche kaum gehoffte Freude für mich, als sie, nach wenigen Augenblicken zurückkehrend, mir Einlaß in das Zimmer des Dichters gewährte! Wegen der herabgelassenen Vorhänge herrschte in dem Gemache, das durch ein paar auf den innern Hofraum führende Fenster erhellt wird, ein abenddämmerliches Licht. In dem den Fenstern entgegengesetzten Theile des Zimmers steht des Dichters Bett, im Halbkreise von einem Ofenschirm umgeben, um so viel wie möglich allen Zug abzuhalten. Wie schlug mein Herz, als ich, um den Schirm mich wendend, nun endlich, in einer halb sitzenden, halb liegenden Stellung, den Dichter vor mir sah! Ich weiß nicht mehr, was ich gesprochen habe; ich stand einige Augenblicke stumm an seinem Lager. Alle Eindrücke, die ich jemals bei der Lectüre der Heine’schen Schriften empfangen hatte, schienen in meinem Geiste zu gleicher Zeit bei dem Anblicke des Dichters wieder aufzuleben. Von einer schrecklichen Krankheit bewältigt, lag er, ein Prometheus an den Felsen geschmiedet, schon seit drei Jahren an sein Bett gefesselt, mit den Qualen des Todes stets ringend, ohne die Freuden des Lebens, die von ihm so lieblich besungenen irdischen Götter, genießen zu können. War es wirklich derselbe Heine, in dessen Schriften die Gottheit und der Teufel wie Braut und Bräutigam die Ringe wechseln; der uns ein Paradies des menschlichen Herzens schildert und gleich darauf dasselbe in einen Sündenpfuhl verwandelt; dessen Gedichte bald Rosen und Veilchen sind, bald die verderblichsten Giftblumen; dessen Gefühle bald als ätherische Elfen durch Frühlingslüfte dahin schweben, um im nächsten Augenblicke als grinsende Kobolde unter der Aegide Mephisto’s in Holzschuhen aufzutreten; derselbe, der da gesungen: „Du bist wie eine Blume, so hold, so schön und rein,“ und gleich darauf singt: „Der König Wiswamitra, den treibt’s ohn’ Rast und Ruh’“; derselbe Dichter, in dessen Köcher die Pfeile der Satire von duftenden Blumen der Lyrik umwunden sind? Ja! dieses poetische psychologische Räthsel lag vor mir in einem Zustande, der auch das Herz seiner Feinde geschmolzen haben würde.

„Nehmen Sie es mir nicht übel,“ hob er an, „daß ich mich in diesem Augenblicke nicht lange mit Ihnen unterhalten kann, weil ich gerade jetzt von den heftigsten Krämpfen gepeinigt werde, so daß ich alle meine Geisteskraft zusammen nehmen muß, um nur sprechen zu können.“ Darauf zog er mit den Händen, die er meistens über die Stirn geschlagen zu halten pflegt, die gelähmten Augenlider empor und schaute mich an mit einem Blicke, aus dem tiefes Leiden, stoischer Muth und ein verglimmendes Feuer zugleich zu athmen schienen. Obgleich seine Augenlider gelähmt waren und seine Sehkraft bedeutend abgenommen hatte, so hatte doch der Vesuv seines Blickes noch nicht aufgehört, feurige Blitze zu sprühen. Heine’s Physiognomie ist ungemein interessant; die hohe, freie Stirn zeugt von der Tiefe seiner Gedanken, die scharfgeschnittene Nase und die schmalen, eng zusammen gepreßten Lippen erwecken unwillkürlich den Gedanken in uns, daß jedes seiner Worte eine Satire sein müßte, und man ist nicht wenig überrascht, aus diesem Munde eine Stimme vom weichsten Klänge und Worte von der Milde der Frühlingslüfte des Wonnemonats ertönen zu hören. Daneben giebt der starke Schnurr- und Kinnbart dem abgemagerten und eingefallenen Gesichte etwas eigenthümlich Dämonisches. Trotz der heftigsten Krämpfe, die vom Rückenmark aus seine untern Extremitäten befallen hatten, konnte ich doch in seinen Mienen keine Spur von Schmerz lesen. Einen Menschen leiden sehen, erregt Mitleid; einen Menschen mit Seelenruhe, mit Stoicismus die furchtbarsten Qualen ertragen sehen, steigert das Mitleid zur Bewunderung.

Das Jahr 1848, durch das für die Völker Europa’s die Morgenröthe der Freiheit aufging, brachte Heine die Leiden hoffnungslosen Siechthums, das ihn seitdem beständig an’s Krankenzimmer fesselte. Sein Uebel bestand in einer Erweichung des Rückenmarks. Die untere Körperhälfte war bei ihm vollkommen gelähmt, ebenso die Augenlider. Nur die obern Extremitäten konnte er noch frei bewegen. Die Krämpfe beschränkten sich jedoch nicht blos auf die gelähmten Theile, sondern befielen auch die Athmungs- und Schlingorgane. Manchmal hatten sie solche Stärke, daß der ganze Körper wie eine Spirale sich krümmte. Die einzige Linderung verschafften dem Dichter große Gaben Opiums; doch scheiterte auch dessen Wirkung häufig an der Intensivität der Anfälle. Sehr charakteristisch für Heine ist, daß er auch in der Medicin Freigeist war. Heine machte in diesem Punkte eine Ausnahme von allen sogenannten Freigeistern, die ich bisher Gelegenheit hatte, kennen zu lernen. Sind diese auch in ihren politischen Ansichten Communisten oder rothe Republikaner, in der Religion Atheisten oder Pantheismen: in jeder Beziehung, die ihr körperliches Wohl betrifft, sind sie gläubig, schwören auf die Worte ihrer Aerzte und erblicken in jeder ihnen verordneten Pille ein untrügliches Wundermittel gegen ihre körperlichen Gebrechen. Sie, die allen Glauben als ein Unding verwerfen, fangen an gläubig zu werden, sobald nur ein Glied ihres Körpers erkrankt. Fast ohne Ausnahme sind die Atheisten stets Pietisten in der Medicin! Anders Heine. Diejenigen, die seine Inconsequenz so häufig zur Zielscheibe ihrer Angriffe gewählt haben, werden in dieser Hinsicht seine Consequenz anerkennen müssen. „Ich glaube nicht,“ sagte er eines Tages zu mir, „daß noch Hoffnung für mich vorhanden ist, meine Gesundheit je wieder zu erlangen, überdies habe ich kein Vertrauen zu den französischen Aerzten als Heilkünstlern; sie mögen ausgezeichnete Chirurgen sein und auch auf die Diagnose der innern Krankheiten sich gut verstehen, sie verstehen aber nicht dieselben zu heilen. Ich nehme übrigens keine Medicin, weil ich an ihre Wirkung nicht glaube.

Das einzige Medicament, welches ich in meiner ganzen Krankheit genommen habe, war Jodkali, ohne daß ich dadurch eine Verbesserung meines Zustandes verspürt hätte. Man hat mich gebrannt, ich habe verschiedenartige Bäder gebraucht – doch Alles ohne Erfolg!“ Als ich ihm darauf erwiderte, daß, da er noch frei sei von torpidem Fieber, man nicht alle Hoffnung aufgeben dürfe, eine Abnahme seiner Leiden zu bewirken, und daß, wenn auch dem Schatze unserer Arzneimittel ein unnützer Ballast beigemischt sei, man doch ohne dieselben nicht fertig werden könne, zumal die Wirkung mancher vollständig erwiesen sei, antwortete er: „Es mag sein, daß viele Arzneien trefflich wirken, doch dazu gehört ein eigener Glaube; das aber glaube ich, daß mancher Arzt auf irgend einem beliebigen Dorfe Deutschlands mich richtiger behandeln würde, als die Aerzte von Paris.“ Mag Heine’s Urtheil auch zu streng erscheinen, so enthält es doch auf jeden Fall viel Wahres und giebt Stoff zum Nachdenken über die verschiedene Entwicklung der Medicin bei zwei Nationen, deren einzige Aehnlichkeit mit einander vielleicht darin besteht, daß sie, die eine in rein wissenschaftlicher, die andere in politischer Beziehung, wie ein Gährstoff auf alle übrigen Völker Europa's

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_474.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)