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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

das Feldgeschrei wiederholend, stürzen sich auf die Reihen der Oesterreicher. – „Sancta Maria, kein Quartier!“ schallt’s ihnen von dort entgegen, und die Schlacht entbrennt in ungezügelter Wuth. Auf beiden Seiten führt wilde Todesverachtung die Eisenwaffe. Das tapfere Regiment Alt-Rosca, von rechts und links in fürchterlicher Bedrängniß, wird vom Oberst Müller auf’s wackerste erlöst und stürzt sich mit neuem Muth in die Schaaren des Feindes. Avanciren und Postofassen wechseln ab mit tapferm Rückzug – auf jeder Seite verliert und gewinnt man. Aber wie lange wird’s dauern, dann ist das muthige Häuflein des französischen Obersten aufgerieben, wenn auch jetzt noch der Sieg des Oesterreichers zweifelhaft ist! Und dennoch soll er verspielen. Muhly’s Falkenauge späht hinüber nach den wehenden Helmbüschen der Officiere. Längst hat er gefunden, was er sucht, aber noch ist er sammt seinen Brüdern in einen zu heftigen Kampf verwickelt; erst muß er sich Bahn schaffen, ehe seine Kugel zum Ziele gelangen kann. Die Kugeln sausen ihm um’s Haupt, mancher treue Camerad fällt neben ihm nieder, aber furchtlos und kühn geht es vorwärts, bis ihm der rechte Moment gekommen scheint. – Weit, sehr weit für die Tragweite seines Geschosses, auf einer kleinen Anhöhe, das Hauroth genannt, sieht er den großen Breda auf stattlichem Rosse, umgeben von seinen ritterlichen Adjutanten. Nun legt er sein Standrohr an und zielt. Fruchtloses Wagestück! Wird wohl die Kugel von Blei den Panzer von Stahl durchdringen, der von Kopf bis zu Fuß den feindlichen Feldherrn deckt? Es flimmert ihm vor den Augen, dem Schützen von Ziegenhain, seine Hand sinkt wie tief trauernd mit dem Standrohr herab. – Doch still! was ist das? Hebt nicht der stolze Breda die Rechte empor, den Kämpfern die Bahn zu weisen, zeigen die Schienen des Panzers dabei nicht eine Oeffnung, gerade so groß, daß eine Kugel hindurch kann? – Was bedarf das klare, sichere Auge, die feste, unerschütterliche Hand des Schützen Muhly mehr? „Jetzt ist es vorüber mit Dir!“ blitzt’s jubelnd in seiner Seele, das Standrohr hebt sich, das Auge schweift klar über die eiserne Linie, und – „Feuer!“ der stolze Breda sinkt klirrend vom Pferde. – „Nun vorwärts, Brüder!“ ruft Muhly den Schützen zu, „das Kleinod der Schlacht muß unser werden.“ Und vorwärts stürmen sie mit stolzer, siegesbewußter Begeisterung, fallen todesverachtend die ritterliche Bedeckung des Gefallenen an und treiben sie in Flucht und Verwirrung. Mit rascher Bewegung stürzt sich Muhly auf den Leichnam des Feldmarschalls, den so heldenmüthig errungenen Kampfpreis mit seinem Leben zu wahren. – „Der General ist todt!“ murmelt es dumpf durch die Reihen des Feindes; Rosen und Müller rücken vor mit erneuter Hoffnung auf endlichen Sieg; wacker arbeiten die Bürger in den gelichteten Schaaren der Kaiserlichen; die französischen und schwedischen Regimenter fahren mit siegestrunkenem Muthe in den sich immer mehr verwirrenden Haufen der Feinde – und der Tag von Riebelsdorf ist entschieden!

In rasender Eile verlassen die Oesterreicher das Schlachtfeld und fliehen nach Schrecksbach zu, um sich dort mit Mercy d’Argenteau zu vereinen. Aber die Grenf, „das heit’re Kind der Schwalm,“ grollt ihnen, ihre Wasser sind während der Nacht weit über die Ufer getreten; zu Hunderten ertrinken die Kaiserlichen, zu Hunderten werden sie gefangen durch die verfolgende Reiterei Reinhold’s von Rosen. Auf dem Schlachtfelde des Oesterreichers liegen 550 todte Soldaten, drei Rittmeister, zwei Obristlieutenants, zwei Majors, viele andere Officiere – und der Feldmarschall! – Jubelnd begrüßten die abgematteten Schaaren des französischen Obersten dieses Ereigniß; jubelnd hoben die Bürger von Ziegenhain ihren Heldenbruder auf ihre Schultern, ihn im Triumphe nach Hause zu tragen. Er aber sprang bescheidenen Muthes herab, half den erlegten Feind auf das Pferd emporheben, schnallte ihn der Länge nach fest, griff das Roß am Zügel und zog so im Triumphe, geleitet von den frohlockenden Vertheidigern der Festung, in ihre gestern noch so schwer bedrohte Vorstadt ein. – Hier vor dem Brauhaus der Stadt stand vor Zeiten eine 7 Fuß lange Steinbank, da legte man den furchtbaren Gegner nieder. Seine kolossale Figur, gestreckt noch in dem Momente des Todes, bedeckte der Länge nach den ganzen Stein. Sein großes Schlachtschwert – Verfasser hat es selbst in Händen gehabt – mißt 5 hessische Fuß; es wird verwahrt als ein Angedenken an Muhly auf dem Rathhaus der Vorstadt, an derselben Stelle, wo einst das Brauhaus gestanden. Breda hatte erlangt, was er wünschte:

„Heute in Bornemann’s Haus – morgen in Weichhaus!“

aber – todt, das war der Unterschied!

Im Jahre 1840 am 15. November hat man die beiden Orte, wo Muhly den Meisterschuß gethan und wo Breda gefallen, mit schönen Anlagen und steinernen Denkmälern geschmückt. Kommst Du, geneigter Leser, einstmals vielleicht in die Gegend von Ziegenhain, so frage Dir den Weg aus, der nach Neukirchen führt; dann wandere allein, denn Du brauchst keinen Führer, wandere immer der Straße nach, bis auf Deiner Uhr ein Stündchen vergangen ist – dann stehst Du vor dem Denkmal, das man Muhly geweiht hat, und hast Du gesunde Augen, so siehst Du wohl auch in der Ferne die Pyramide des Breda-Monuments aus dem Gebüsche hervorragen.

H. F. Bässer.


Blätter und Blüthen.

Wohlgemeinte Warnung für Auswanderer. Es ist eine wunderbare Thatsache, daß kein Mensch in der Welt weniger geneigt ist, einen guten Rath anzunehmen, als die gerade, die ihn am allernothwendigsten brauchen: die Auswanderer. Haben sie sich einmal erst auf ihren Plan zur Auswanderung verbissen, wozu sie theils die eigenen Verhältnisse, theils verlockend geschriebene Bücher trieben, so wissen sie auf einmal Alles, was das fremde Land betrifft, schon so genau, daß sich gefaßte Vorurtheile gar nicht mehr bei ihnen beseitigen lassen, und nur der noch Glauben bei ihnen findet, der ihnen das künftige Leben mit noch rosigeren Farben schildert, als sie es sich bis jetzt selber ausgemalt.

Man kann unserem deutschen Bauer gewiß nicht eine tüchtige Portion gesunden Menschenverstandes absprechen, vorzüglich soweit es sich um seine eigenen Interessen handelt und er in dem Geleis bleibt, das er von Jugend auf kennt, seinem eigenen Hofe und seinem Felde. So wie er aber aus diesen engen Schranken hinausgeschoben wird, sowie er sein eigenes Dorf nur auf wenige Meilen Entfernung verläßt und sich statt in seiner gewohnten Beschäftigung als Passagier außer jeder Verbindung mit seinem früheren Leben gebracht sieht, befindet und fühlt er sich genau so behaglich, wie ein Fisch auf dem Sande oder eine Katze im Wasser, und fällt dann nur zu leicht jenen Leuten in die Hände, die in solchem Geschäft schon außerordentlich viel Erfahrung haben und ihn, den sie für ihre Zwecke vollkommen brauchbar kennen, so lange quetschen und pressen, als noch ein Groschen aus ihm herauszubringen ist – den Auswanderungs-Agenten.

Ich beabsichtige hier nicht, dem Auswanderer einen bestimmten Rath zu geben, wohin er sich wenden soll, denn darüber kann man nichts Bestimmtes als wahr und unangreifbar aufstellen, da sich die Wahl eines solchen Ziels nur zu häufig nach dem eigenen Charakter des Auswandernden selber richtet. Nein, der Auswanderer mag gehen, wohin er eben Lust hat, aber nur um das Eine bitte ich ihn: seiner selbst wegen sich vor den Leuten besonders in Acht zu nehmen, die wirklich das einzige Interesse bei der Auswanderung selber haben, wenn sie auch immer und immer wieder versichern, daß es nicht der Fall wäre:

den Auswanderungs-Agenten! –

Die Leute sagen allerdings: „der eine oder die zwei Thaler oder die fünf Thaler auch, die ich per Kopf bekomme, machen mich nicht reich; weshalb sollte ich einen Menschen bereden?“

Das ist richtig, von dem Einzelnen haben sie nur geringen Nutzen, darum aber eben muß es die Menge bringen, und auf die Menge machen sie deshalb Jagd.

Sie verpflichten sich dem Rheder (Schiffseigenthümer) gegenüber, ein da oder dorthin bestimmtes Passagierschiff in einer bestimmten Zeit mit Passagieren zu füllen, und jeder Auswanderer, der ihnen in der Zeit in den Wurf kommt, wird nach diesem bestimmten Platz hindirigirt, wenn das irgend möglich ist. Ob es ihm dort nachher gut oder schlecht geht, kann natürlich dem Agenten vollkommen gleichgültig sein.

Die meisten der Herren gehen dabei – ich will es glauben – wenigstens ehrlich zu Werke, indem sie den Auswanderer nur erst zu dem Platz bereden, wohin sie ihn haben wollen, und ihn dann auch wirklich dahin befördern. Aber auch das Gegentheil fällt nur zu häufig vor. So habe ich in Brasilien eine Menge von Leuten gesprochen, die mündlich bestimmt ausgemacht hatten, nach Rio Grande geschafft zu werden, trotzdem aber nur nach Rio de Janeiro befördert waren und nun hülflos in dieser Stadt lagen, ohne Mittel, das Ziel zu erreichen, wo ihre Verwandten und Freunde lebten. Gerichtlich konnten sie ebenfalls nichts ausrichten, denn ihr Schiffscontract, den ich mir zeigen ließ, lautete allerdings auf Rio de Janeiro, und doch waren sie der festen Meinung gewesen, daß sie nach der viel weiter südlich gelegenen Provinz befördert werden müßten. Die Sache war so zugegangen:

Der Agent hatte ihnen gesagt, als ihnen das Wort Rio de Janeiro im Contract auffiel: „Das hat gar nichts zu bedeuten. Jedes Schiff, das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 479. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_479.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)