Seite:Die Gartenlaube (1862) 545.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 35.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Zwei Welten.

von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


„Gehen Sie, Ma’am!“ wiederholte Hugo jetzt unter dem vergeblichen Ringen des Comptrollers, seinen Arm zu befreien, „ich werde mit dem Gentleman hier fertig werden!“ die junge Frau indessen schien auf ihre Stelle gebannt zu sein. Vor der Zimmerthür klangen harte Tritte, aber Keines der im Zimmer Anwesenden hörte sie. Das glühende Auge in das seines Gegners gerichtet, der wachsam jeder seiner Bewegungen folgte, stand Graham, während die Armmuskeln Beider sich in immer stärkerer Anspannung zu begegnen schienen. Die Thür öffnete sich, aber Niemand bemerkte es, bis nach einem forschenden Blicke herein eine breitschultrige Gestalt in’s Zimmer trat und, ohne sich um die seltsame schweigende Gruppe zu kümmern, eine schwere Hand auf des Hausherrn Schultern fallen ließ. „Mr. Graham, Sie sind mein Gefangener!“ klang es zugleich, und Hugo fühlte den Widerstand seines Gegners wie in plötzlichem Schrecken schwinden. Mit einem raschen Griffe bemächtigte er sich des Revolvers und blickte dann erst auf, um sich von dem überraschenden Ereignisse zu unterrichten.

„Legen Sie Ihre Waffe beiseite, bis wir unserer Pflicht genügt haben, Sir!“ gebot ihm der Mann, unter dessen Hand der aschenbleich gewordene Comptroller niederzubrechen drohte, und der Angeredete, von der plötzlichen Erkenntniß der Wahrheit durchzuckt, reichte dem Eingetretenen den Kolben. „Sie ist am besten in Ihrer Hand, Sheriff,“ erwiderte er, „sie ist Mr. Graham’s Eigenthum!“

Mit einem leichten Nicken ließ der Beamte den Revolver in seiner Brusttasche verschwinden und wandte sich nach der jungen Frau, die mit halb vorgebogenem Oberkörper, wie zu Marmor geworden, dem neuen Ereignisse folgte. „Ich bin unglücklich genug, Ma’am, die Ruhe Ihrer Familie stören zu müssen, indessen kennt das Gesetz keine Rücksichten,“ sagte er höflich, „ich habe leider Mr. Graham mit mir zu nehmen!“

„Ich werde Bürgschaft leisten, welche Gründe auch diese sonderbare Verhaftung herbeigeführt haben mögen,“ rief jetzt der Gefangene, sichtlich nach Haltung ringend, „ich bitte Sie, mir Gelegenheit zu geben, die Sache schnell zu ordnen!“

„Ich glaube kaum, Sir, daß sich heute Abend etwas wird thun lassen, und es würde Ihnen unter den existirenden Umständen wohl auch schwer werden, die mögliche Höhe der geforderten Bürgschaft aufzubringen!“ erwiderte der Sheriff mit einem verdächtigen Lächeln. „Bitte, folgen Sie mir ruhig; was zu Ihren Bequemlichkeiten gehört, mögen Sie nachholen lassen, und morgen werden wir dann weiter sehen!“

Ein kräftiger Druck von des Beamten Hand, mit welchem er den Comptroller nach der Thür drehte, schien jede Fassung des Letzteren wieder zu vernichten, schweigend schritt er nach dem Ausgange, in welchem sich jetzt zwei andere Beamte, zu seinem Empfange bereit, zeigten; Hugo’s Augen aber wandten sich besorgt nach Jessy’s Gesicht, in welchem sich jetzt eine eigenthümliche, zuckende Bewegung geltend machte, und kaum war er ihr, nachdem sich die Thür hinter den Abgehenden geschlossen, nahe getreten, als sie sich in einem plötzlich ausbrechenden Weinkrampfe an seine Brust warf. Er fühlte, daß die Füße unter ihr brachen, die Gewaltsamkeit des Ausbruches, unter welchem ihr ganzer Körper flog, erschreckte ihn und ließ im Augenblicke nichts als das Gefühl der Angst für ihren Zustand in ihm aufkommen; er trug sie mehr, als er sie führte, nach dem seitwärts stehenden Divan und ließ sie dort nieder, während er ihr zuckendes Haupt an seine Brust bettete; er wußte, daß hier jedes beruhigende Wort ein vergebliches sein würde, und mit einem Gefühle von Erleichterung sah er jetzt die Thür sich öffnen und Henderson’s Gesicht in derselben erscheinen. „Rufen Sie das Kammermädchen!“ deutete er diesem halblaut an, „wir müssen der Leidenden vor allen Dingen Ruhe schaffen!“

„Es mußte ja kommen, wie es sollte,“ brummte der Alle, ehe er verschwand, mit einem hellen Blicke auf die Stellung Beider, „und das Uebrige wird auch nicht außenbleiben!“

Der Deutsche hielt die Schluchzende in seinen Armen wie ein anvertrautes Heiligthum; er wußte, daß nur Aufregung und Schwäche sie ihm überliefert, und er hätte nicht den leisesten Mißbrauch von ihrer augenblicklichen Lage machen mögen. Wohl rieselte es ihm durch alle Nerven, als er sich jetzt in der lautlosen Stille um sie her des Drucks ihrer weichen Formen bewußt ward, er hätte mit Inbrunst seinen Mund in das volle, duftende Haar der halb Bewußtlosen drücken mögen; aber er bezwang sich. Und als er jetzt die Schritte Kommender hörte, sprach er in ihr Ohr: „Richten Sie sich auf, Miß Jessy, und gehen Sie zur Ruhe! was aber auch noch geschehen möge, rechnen Sie auf mich als Ihren treuesten Freund!“ Bei seinem ersten Laute indessen schien sie sich plötzlich ihrer Lage bewußt zu werden; sie schnellte auf, und ihr Schluchzen erstarb unter dem bestürzten Blicke, mit welchem sie ihn anstarrte; wie kaum des Geschehenen sich bewußt, durchlief ihr Auge den Raum, und als in diesem Augenblicke die Mulattin hastig das Zimmer betrat, erhob sie sich wie ein scheues Reh, um der Eingetretenen entgegen zu eilen. Auf halbem Wege indessen blieb sie stehen und drückte eine Weile die flachen Finger gegen die Stirn. Dann wandte sie sich langsam nach dem jungen Manne zurück. „Ich entsinne mich wieder!“ sagte sie, mit einem Auge voll unendlicher Trübsal ihm die Hand entgegenstreckend, „lassen Sie mich

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 545. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_545.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)