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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Dr. W. will mich wenigstens noch 8–10 Tage hier haben, um mich genau zu beobachten und meinen sehr complicirten Zustand kennen zu lernen, Nun wißt Ihr wohl am besten, Ihr Lieben, daß ich mir gar wenig mehr aus dem Leben mache und mit dem Gedanken zu sterben in letzter Zeit sehr vertraut geworden bin; aber ich möchte ein Geschäft auf Erden noch vollbringen, damit meine Spur nicht gar zu schnell verweht ist. Ich will wirklich mein wunderbares Leben noch aufzeichnen.“

Schon im December 1858 war Wilhelmine mit Ernst Keil, dem Herausgeber und Verleger der Gartenlaube, ihrer Memoiren wegen in Unterhandlungen getreten. Auf Keil’s wiederholte Aufforderungen, ihm den Anfang ihrer Lebensgeschichte für sein Blatt zu überlassen, antwortete sie am 5. Januar 1859, daß sie im Augenblick noch nicht an die Veröffentlichung ihrer Memoiren denken könne. „Glauben Sie mir,“ schreibt sie an Keil weiter, „daß ich überhaupt nur mit schwerem Herzen daran gegangen bin, die Geschichte meines Lebens zu erzählen, denn es ist eben jene alte Geschichte, bei welcher einem das Herz im Leibe bricht. Die Welt hat nur die Rosen auf meinem Lebenspfade gesehen, aber nicht gewußt, wie wund ich mich an ihren Domen geritzt habe. Indessen es ist mir daran gelegen, daß mein deutsches Vaterland erfahre, aus welchen Schmerzen die Künstlerin sich entwickelt hat, die es so oft durch sein Zujauchzen diese Dornen hat vergessen machen. Ich werde im Laufe dieses Monats nach Leipzig kommen, das Fertiggeschriebene mitbringen und Ihnen daraus vorlesen, damit Sie Sich überzeugen, wie unmöglich es ist, damit jetzt schon in die Oeffentlichkeit zu treten … Aber ich werde fleißig fortfahren an diesen Lebenskizzen zu schreiben, und wenn ich sterbe, so werde ich dieselben als ein Vermächtniß der deutschen Nation hinterlassen, und die Gartenlaube soll meine Testamentsvollstreckerin sein.“

In den ersten Märztagen hatte Wilhelmine bei Keil den Anfang ihrer Lebensgeschichte vorgelesen – es sind die Aufzeichnungen, die ich im Auszuge zu Anfang dieser Erinnerungen eingeschaltet habe. Wilhelmine hat leider nicht mehr daran fortarbeiten können, aber die Absicht es zu thun hat sie noch lange gehabt. In ihrem Briefe vom 10. März fährt sie fort:

„Keil hat mir wieder einen sehr freundlichen, aber auch sehr dringenden Brief geschrieben, den ich noch nicht beantwortet habe, weil mir der Entschluß immer noch sehr schwer wird, aber endlich muß es doch sein! ich will heute noch antworten. Nur will ich nichts überstürzen und mir wenigstens bis zum Herbst noch Zeit lassen.“

„Dresden, 23. März 1859.

„Mit welcher Zuversicht habe ich heute früh beim Erwachen auf Nachrichten von Euch gehofft! Vergebens! seid Ihr nur böse? O, seid es nicht, lieben Kinder! wüßtet Ihr, daß es nur das furchtbare Müdesein ist, was mich so unbeweglich macht. Und dann bin ich auch körperlich so herunter, daß ich kaum durch die Stube gehen kann. O, seid nicht böse, quält mich nicht. Auch drücken zu allem Andern die ernstesten Sorgen. Alle Opfer, die ich diesen Winter gebracht habe, sind umsonst gebracht, denn ich fühle es, ich kann den Kampf mit dem Leben nicht noch einmal aufnehmen. Ich bedarf der Ruhe, der Pflege. Mit Ungeduld erwarte ich den Ausspruch des Arztes, was im Lauf des Sommers mit mir geschehen soll. Am liebsten setzte ich mich für die Dauer der schönen Jahreszeit mit Euch an einen schönen Schweizer oder Tyroler See. Nur Ruhe um mich, den Anblick einer schönen Natur und ein mildes, sanftes, geduldiges Freundeswort! Ich bin nur in einem gar zu jämmerlichen körperlichen Zustande, so daß ich nicht werde reisen können. O Gott, meine geliebten Freundinnen, wie bin ich müde von alle dem!“

Am Morgen des 2. April schrieb sie uns die wenigen Worte: „Ich bin morgen Abend um 7 Uhr bei Euch.“ Aber noch vor dem Briefe erhielten wir eine telegraphische Depesche mit der Nachricht, daß sie nicht kommen könnte, und am folgenden Tage die mit zitternder Hand geschriebenen Zeilen:

„Den 2. Mittags 12 Uhr. So eben habe ich mich einer strengen ärztlichen Prüfung unterworfen gehabt, und aus den unbestimmten, ausweichenden Antworten geht es mir mit Gewißheit hervor, daß ich verloren bin! Ich fürchte den Tod nicht, aber es hat mich doch gepackt, so ein jämmerliches Ende vor mir zu sehen. Ich kann nicht reisen, darum kommt Ihr, ich muß Euch sprechen. Bis in den nahen Tod

Eure Wilhelmine.“

Es war ein trauriges Wiedersehen. Wilhelmine war von den Aerzten aufgegeben. “Anfangs schien es sogar, als ob es rasch zu Ende gehen würde. Die Aerzte gaben der Kranken nur noch vier bis sechs Wochen Frist, und wir konnten kaum hoffen, daß Herr von Bock, der von ihrem Zustande benachrichtigt worden war und dessen Ankunft wir Mitte Mai erwarteten, sie noch am Leben finden würde. Wilhelminen mußte natürlich die Gefahr verborgen bleiben, aber obwohl sich ihre ganze Umgebung bemühte, heiter und hoffnungsvoll zu scheinen, und obwohl die Kranke noch immer die weitausgreifendsten Pläne für die Zukunft machte, bin ich überzeugt, daß sie sich nie länger als auf Augenblicke über ihren Zustand getäuscht hat. Im Grunde war es ihr gar nicht Ernst mit dem Wunsch zu genesen. Die Sehnsucht nach Ruhe, die sie seit frühster Jugend in der Seele getragen hatte, war mit den Jahren, mit den Leiden gewachsen. Und doch – wunderbarer Widerspruch! – doch sträubte sich ihr ganzes Wesen gegen die herannahende Auflösung. Ihrem kräftigen, lebensvollen Organismus stand der Tod nicht nur als etwas Fremdes, Feindseliges, sondern als etwas Unfaßbares gegenüber. Wenn sie eben aus tiefster Seele aufgeseufzt hatte: „Wie wohl wird mir sein, wenn ich endlich daliege, wo mich nichts mehr stört!“ – kam plötzlich jener Schauder über sie, den gewöhnlich nur die Jugend vor dem Tode empfindet. Dann klammerte sie sich wieder mit aller Macht an das schwindende Leben; dann wollte sie getröstet, getäuscht, überredet sein – dann täuschte sie sich selbst und Andere. Es hat bis in die letzten Monate ihres langen Todeskampfes Tage und Wochen gegeben, wo wir trotz des Ausspruchs der Aerzte und trotz ihres sichtlichen Hinschwindens nicht glauben konnten, daß wir eine Sterbende vor uns sahen, bis ein neuer bedenklicher Anfall unsern Hoffnungen wieder ein Ende machte.

Aber während sich Wilhelmine einestheils in die Erinnerung an das Vergangene vertiefte, kehrten anderntheils ihre Gedanken wieder und wieder zu der Frage zurück: welche Lösung der Tod den Räthseln des Lebens bringen mag? Wilhelmine hatte sich viel mit den Schriften der Materialisten beschäftigt; sie war durch dieselben in der Zuversicht erschüttert, die sie früher beim Hinblick auf „das Ende der Dinge“ erfüllte. Die Tröstungen des „Kinderglaubens“, den sie jetzt belächelte und – zurückwünschte, hatte sie verloren, war aber nicht zu der Resignation gelangt, ohne welche das Aufgeben des Glaubens an persönliche Fortdauer kaum möglich ist. Wilhelminens ganzes Wesens widerstrebte dieser Resignation. Sie hätte eine Welt mit ihrem Ich erfüllen mögen und sollte sich nun darein ergeben „in’s Nichts zurück zu fließen“. Immer kam sie auf dies Thema zurück, und obwohl sie bei ihrer Ansicht verharrte, war es unverkennbar, daß ihr der Widerspruch wohl that, daß sie sich danach sehnte.

Was man im gewöhnlichen Sinne des Wortes fromm nennt, war Wilhelmine nicht, aber ein tief religiöser Zug geht durch ihr ganzes Wesen. Der höchste Ausdruck ihrer Freude, ihrer Begeisterung ist immer ein Ausblick zu Gott, und jeder Schmerz, jede Angst führt sie zu ihm. In ihren Tagebuchblättern schreibt sie: „Neujahrsnacht 1838. Nimm, hohes, unerforschliches Wesen, das wir Gott nennen, nimm die Gefühle der Seele, die Du mir eingehaucht, als Gebete auf. Laß sie zu Deinem Throne dringen, denn sie sind der köstlichste Weihrauch, den ich Dir zu spenden habe. Du bedarfst keiner Worte; ein Gefühl, wie sich eben viele in meiner Brust gelöst haben, ist für Dich die deutlichste Sprache. Mir ihr brauche ich auch nicht in die erbauten Tempel zu gehen, mein einsames Stübchen war eben der heiligste Tempel, in dem ich heiß und brünstig und mit begeisterten Thränen zu Dir gebetet habe. Nimm sie auf, die Gefühle, als Gebet. Sie steigen auf aus meiner Seele, die das Beste will und Dich um Kraft anfleht, es ausführen zu können.“

„Das war Religion, was eben in meiner Brust sich regte. Es ist die einzige, zu der ich mich bekenne. Dringt mir keine Meinungen von thörichten Menschen auf, noch legt mir den Zwang der Gebräuche und Formen auf. Meine Seele hat dem Schöpfer ein Halleluja gesungen, so gut wie in irgend einer Kirche – und dies Halleluja kam aus tiefer Brust.“

(Aus spätern Jahren.) „… Ich stehe mit meinem Gott so gut! das fühle ich bis in den Mittelpunkt meiner Seele, die sein eigen. Nicht sein verzogenes, aber sein ungezogenes Kind bin ich, dem er wie ein guter, aber strenger Vater jedes Vergehen rügt, der aber auch Nachsicht und Geduld hat. Ich quäle ihn ja auch

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