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Capital ersetzen? – Verspielt!“ fuhr er sich langsam gerade aufsetzend fort, „das ist der rechte Ausdruck für das, wozu sich dieser alte Kopf hat verlocken lassen, für das, was ein ganzes Leben voll Grundsatztreue zu nichte macht, was den strengen Vater seinen Kindern gegenüber auf die Armsünderbank bringt. Wie soll ich jemals diesen Ausfall decken?“

Sein Kopf fiel von Neuem schwer in die Hand zurück; nach einer Weile aber erhob er sich matt und griff nach einem vielgebrauchten Notizbuche auf seinem Pulte, langsam die beschriebenen Seiten durchblätternd. „Den 6. Januar!“ murmelte er innehaltend, „das ist der Tag, an welchem ich mit dem mir anvertrauten Gelde meinen leichtfertig gegebenen Namen einlösen, mit einer Sünde die andere decken muß – und was soll Meßner sagen,“ unterbrach er sich, während eine verdoppelte Sorge sich auf seine Stirn zu lagern schien, „den ich nicht zurückgehalten, den mein Vorgehen erst ermuthigt und dem jetzt sein gesammtes kleines Vermögen verloren ist?“ Er warf, wie von seiner Erregung übermannt, das Buch auf das Pult zurück und griff nach der Klingel.

„Den Brief von Ihrem Sohne!“ rief er dem eintretenden Mangold zu, sich nach seinem frühern Platze wendend; aber erst nach einem langen stillen Blicke auf das veränderte Gesicht des Chefs verließ Jener das Zimmer wieder.

Es währte eine geraume Weile, eine Weile, in welcher nur ein zeitweiliges Zucken in den Zügen des Dasitzenden verrieth, daß Leben in ihm war, ehe sich die Thür von Neuem öffnete; das rasch aufschauende Auge des Geheimraths aber traf auf die Großmutter, welche mit einem eigenthümlich glänzenden Blicke auf ihn zuschritt.

„Ich denke, ich bringe Ihnen Trost, lieber Sohn, wenn Sie ihn in der gegebenen Weise annehmen wollen!“ sagte sie in hörbarer Bewegung. „Unter allen Umständen aber ist Ihnen durch des jungen Mangold Brief jede besondere Mittheilung an uns erspart. Lesen Sie!“ Sie reichte ihm mit leise bebender Hand ein geöffnetes Couvert und nahm dann einen im Schatten zurückstehenden Sitz ein.

Zedwitz ließ den befremdeten Blick zwei Secunden lang auf der Adresse ruhen, als nehme er nach den gehörten Worten Anstand, sich von dem Inhalte zu unterrichten; dann aber ging es auf’s Neue wie ein nervöses Zucken durch seine Mienen, und langsam entfaltete er den von seinem Umschlage befreiten Bogen. Er las in Heinrich‘s kräftigen Schriftzügen:

„Herzlieber Vater!

Ob uns Dein lieber Brief nicht einen teufelmäßigen Schrecken eingejagt hat! dem Hugo natürlich am allermeisten, denn Du weißt ja, wie er trotz aller erlittenen Ungerechtigkeit an seinem Vater hängt. Die Papiere nämlich, welche in Deinem Briefe bezeichnet sind, wären wohl ganz gut, wenn nur nicht hier beim Ausstellen derselben ein ungeheurer Schwindel damit getrieben worden wäre, der ihnen wohl für eine lange Zeit, bis nämlich die deshalb angestellte Untersuchung zu Ende ist, allen Werth nehmen muß. Und wie es nachher werden wird, weiß auch noch Niemand, wenn auch Viele sagen, daß die Stadt doch zuletzt für alle durch ihre rechtmäßigen Beamten ausgestellten Schuldscheine aufkommen müsse. Der eine von diesen Beamten hat sich schon im Gefängnisse erhängt.

Nun glaubt aber Hugo bestimmt, daß er durch die besondere Kenntniß, die er von den ganzen Verhältnissen hat, seinen Vater schadlos halten könne, wenn dieser nur einen solchen Dienst von ihm annehmen wolle – da sitzt aber eben der Haken. Wir meinen hier vielleicht einen ganz gescheidten Streich auszuführen, wenn wir das Geld retten, und verdienen uns zuletzt noch Teufels Dank damit; denn Hugo, obgleich er sich heute noch für seinen Vater in Stücke schneiden ließe, meint dennoch, daß der alte Herr wohl lieber das letzte Hemde opferte, als sich von seinem verstoßenen Sohne einen Gefallen thun lasse. Gott weiß es, Vater, Du bist nur Büreaudiener, aber ich möchte Dich doch nicht tauschen gegen einen noch zehnmal größern Geheimrath mit einem so eiskalten Herzen.

Indessen meinte nun Hugo, daß sein Vater wohl nicht allein unter dem Schlage zu leiden haben würde, daß der Hauptverlust wohl auf seine Schwestern fallen müsse, und so könne es wohl möglich sein, daß er die Erlaubniß erhielte, für diese die nöthigen Schritte zu thun. Zu seiner eigenen Sicherheit aber werde er dennoch eine Vollmacht des alten Herrn haben müssen. Es ist also wohl das Beste, lieber Vater, Du gehst zu der Großmutter, die Gott mit ihrem lieben Herzen segnen möge, und sagst ihr Alles; sie wird am Besten wissen, was zu thun ist. Kann sie die Vollmacht erlangen, so verspricht Hugo, daß nicht ein Pfennig von dem Betrage der Papiere, die in Deinem letzten Briefe verzeichnet waren, verloren gehen soll; diese Vollmacht aber soll nach Frankfurt, an das untenbezeichnete Kaufmannshaus gesandt werden, von wo sie ihm richtig zugehen wird – er ist heute von hier abgereist, und ich selbst muß erst aus Nachricht warten, ehe ich weiß, wo er sich befindet.

Im Uebrigen, lieber Vater, bin ich wohl und habe mein gutes Auskommen, und ich will Dir nur noch sagen, daß, wenn ich Dir einmal unerwartet anzeigen sollte, daß ich mich verheirathet habe, Du nicht zu erschrecken brauchst.

Dein getreuer Sohn     
Heinrich Mangold.“

Lange saß der Geheimrath, den Blick auf das Schreiben gerichtet; seine Augen schienen an einzelne Stellen gebannt zu sein, die er wieder und immer wieder überlas; da legte sich endlich kaum fühlbar eine Hand auf seine Schulter.

„Nicht wahr, lieber Zedwitz,“ klang die milde Stimme der Großmutter, „Sie lassen den Sohn wieder gut machen, was er gegen den Vater durch sein unbesonnenes Davongehen gesündigt haben mag? Sind wir trotz unserer Gerechtigkeit nicht allzumal Sünder und bedürfen der Vergebung?“

Der Geheimrath preßte die Lippen wie im Unterdrücken einer gewaltigen Bewegung auf einander, erhob sich und machte einen raschen Gang durch das Zimmer. Dann blieb er vor der alten Dame stehen und blickte zwei Secunden lang in ihre bewegten Augen. „Ich habe hier nichts mehr zu entscheiden,“ sagte er mit hörbarer Anstrengung, „es handelt sich um die Mädchen und um Meßner; aber,“ setzte er hinzu, die Hand wie besiegt nach ihr ausstreckend, „– ich werde die Vollmacht abschicken!“ – –

Als die Großmutter ihr Zimmer verlassen gehabt, waren dort die beiden Schwestern und der Schuldirector zurückgeblieben; Helene aber hatte sich unmittelbar darauf erhoben, um in dem Nebenzimmer zu verschwinden.

„Sie mögen Ihrer Fräulein Schwester mittheilen, was ich unter dem Eindrucke von Mangold’s Brief nicht zu sagen vermochte,“ begann Meßner, der Entschwundenen einen Blick nachsendend, „daß meine Gegenwart sie nicht mehr beunruhigen darf, daß der Papa ihr die volle Freiheit mich zurückzuweisen giebt, wenn ich ihr jemals dazu Anlaß geben sollte, und daß er sich überhaupt um diese mißverstandene Werbung meinerseits nicht mehr kümmern wird. Er hat mich autorisirt, dies der Großmama mitzutheilen.“

Marie hatte langsam die großen Augen von ihrer Arbeit gehoben, und eine leichte Blässe breitete sich über ihr Gesicht aus. „Indessen,“ fuhr Jener fort, seinen Blick in den ihren senkend, „habe ich diese Zusage nur durch eine Hinterlist erhalten können, ich habe von meiner sichern Hoffnung gesprochen, trotz Helene’s Weigerung ein Sohn des Hauses zu werden – halt, Marie!“ unterbrach er sich und sprang, als das Mädchen, von einem glühenden Roth übergossen, sich von ihrem Sitze erhob, nach ihrer Hand fassend aus, „ich habe Ihre Bedingung erfüllt, jetzt halten Sie ehrliches Spiel!“

Sie stand mit zitterndem Blicke vor ihm, aber ihre Hand machte keinen Versuch sich der seinigen zu entziehen. „Denken Sie denn nicht daran, daß wir arm geworden sind? daß der Vater sich niemals zu Hugo’s Schuldner machen wird?“ fragte sie, während plötzlich die Thränen in ihre Augen schössen. Er aber umschloß ihre Hand nur fester.

„Und bin ich es nicht geworden?“ fragte er drängend. „Jetzt, gerade jetzt spreche ich zu Ihnen, damit nie wieder der Schatten einer Mißdeutung zwischen uns falle. Antworten Sie mir, Marie –“

„Jetzt nicht, jetzt nicht!“ unterbrach sie ihn fast ängstlich, während sich dennoch ihre Hand fest um die seinige schloß, „noch ist das hereingebrochene Unglück nicht einmal abzusehen; aber,“ setzte sie mit leichtem Stocken hinzu, während sich ein verklärendes Lächeln über ihre reinen Züge breitete, „ich denke, die Zeit der Mißdeutungen ist vorüber! Lassen Sie mich Helenen Ihre Nachricht bringen!“ Und wie erst jetzt von einer zurückgedrängten Befangenheit übermannt, befreite sie ihre Hand von der seinigen und eilte aus dem Zimmer. Meßner schaute ihr in stillem, glücklichem Sinnen nach. „Und ist es denn nicht wirklich so, daß das Weib das veredelnde Princip im Menschengeschlechte ist?“ murmelte er endlich; „wohin wäre ich vielleicht gerathen, ohne sie?“


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