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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Am nächstfolgenden 5. Januar Abends saßen in dem ersten Hotel der alten Stadt zwei junge Männer in einem Privatzimmer, die soeben geöffnete zweite Flasche Wein vor sich.

Zwei Stunden vorher war der Eine von ihnen erregt hereingestürzt und hatte sich mit einem: „Hugo! ist es denn möglich?“ dem bereits Anwesenden an die Brust geworfen. Nach den ersten stürmischen Begrüßungen aber hatte er lachend vor innerer Freude und mit immer wieder unterbrochenen Fragen, was den Freund nach Deutschland zurückgeführt, diesen bei beiden Schultern gefaßt und ihn betrachtet, als könne er noch kaum an die Wirklichkeit glauben. Und der Andere hatte endlich mit einem Lächeln voll Glück seinen Gast nach dem Sopha zu einem ruhigen Gespräch geführt.

„Was mich hierhergebracht hat, Fritz?“ begann er. „Zuerst einmal meine Frau, welche in dem großen Lande, wo der Dollar König und der Schwindel Minister ist, nicht mehr auszudauern vermochte –“

„Deine Frau? Deine – Hugo Zedwitz’s Frau?“ unterbrach ihn Römer mit weit aufgerissenen Augen; aber Jener winkte ihm hastig Ruhe.

„Um Gotteswillen, schrei’ meinen Namen nicht in die Welt hinaus,“ lachte er, „es darf vor morgen Niemand eine Ahnung davon erhalten. Ich bin hier als Bevollmächtigter eines Frankfurter Hauses, um von meinem Vater das Geld für eine Anzahl amerikanischer Papiere, die er gekauft, in Empfang zu nehmen, und bin auf morgen, den Verfalltag seines Wechsels, bei ihm angekündigt – natürlich ohne Namensnennung. Daß diese Papiere im Augenblicke aber keinen Pfennig werth sind, wirst Du wissen, und ich habe es zugleich ermöglicht, meinen Vater für seinen Verlust schadlos zu halten, was bei derselben Gelegenheit abgemacht werden soll. So werde ich also in geschäftlicher Eigenschaft vor ihn treten können, was mir unter meinem einfachen Namen kaum gelingen würde.“

Römer schüttelte aufgeregt den Kopf, lachte und rieb sich die Hände. „Ich verstehe, was Du sagst, und verstehe doch auch wieder kein Wort davon. Verheirathet – Bevollmächtigter – Schadloshalten, wo es hoch in die Tausende geht – hier in Deutschland, wo Dich jeder Gedanke über dem Meere sucht –“

„Sollst bald genug die Lösung mit Händen greifen können!“ lachte Hugo mit dem vollen Ausdrucke der Genugthuung, welche ihm die Scene bieten mochte. „Jetzt vor allen Dingen aber berichte, was hier vorgegangen ist und wie es in meines Vaters Hause steht!“

Und zwei Stunden waren mit gegenseitigem Erzählen, Fragen und Erklären verstrichen; oft waren die Gläser aneinander geklungen oder die Hände hatten sich in stillem Drucke vereinigt, als Hugo, der mit seinen Mittheilungen bis zu dem entscheidenden Morgen gelangt war, welcher die Geliebte an seine Brust gelegt, den abgerissenen Faden wieder aufnahm: „Ich hatte Jessy nach einem vorläufigen Asyl zu einer Familie ihrer Bekanntschaft in Philadelphia gebracht und war mit einer unbeschränkten Vollmacht von ihr zurückgegangen. Der Advocat, den ich mit Wahrung ihrer Interessen bei unserer Abreise betraut, hatte das ihr eigenthümlich gehörende Vermögen bereits von der ganzen Nachlaßmasse ihres sogenannten Mannes trennen und sicher stellen lassen; auf das Uebrige aber hatte vorläufig das Gericht Beschlag gelegt. Der Selbstmord Graham’s indessen, welcher durchaus nicht seiner Schuld, sondern seiner ruinirten Geschäftsehre zugeschrieben wurde, hatte auf die ganze Geschäftswelt einen gewaltigen Eindruck gemacht; dazu kamen die Nachrichten, daß in Folge des Untersuchungs-Spectakels der städtische wie Privat-Credit unserer Handelswelt in New-York einen gefährlichen Stoß erlitten habe, und in wenigen Tagen hatte sich die gesammte amerikanische besitzende Classe zu einer so mächtigen Reaction vereinigt, daß „aus Gründen der öffentlichen Wohlfahrt“ jede weitere Verfolgung des stattgefundenen Schwindels sistirt werden mußte. Selbst Marquart, den ich einmal traf, kratzte sich in den Haaren und sagte, so eine verfluchte Geschichte sei nur in Amerika möglich, er sehe aber ein, daß es nicht anders gehe. – Vor diesem Rückschlage indessen hatte ich an meinen frühern Prinzipal, mit dem ich eine mündliche Erörterung nur im äußersten Nothfalle hätte herbeiführen mögen, geschrieben, hatte ihm seine wissentliche Theilnahme an Graham’s Betrug durch Mittheilung der Nummern, unter welchen mein Vater seine Obligationen gekauft, Nummern, welche ich selbst als zum zweiten Male verkauft in das Copirbuch eingetragen hatte, nachgewiesen und forderte eine sofortige Schadloshaltung meines Vaters, wenn ich nicht die Angelegenheit dem Untersuchungs-Committee übergeben solle. Umgehend erhielt ich eine Anweisung an seinen Frankfurter Agenten, die Papiere, welche durch ein Versehen unter unrichtigen Nummern ausgegeben worden seien, zurückzunehmen und den Betrag wieder zu erstatten – aber nicht ein einziges Wort von ihm außerdem.

Graham’s Vermögen, welches nach dem Heiraths-Contracte an Jessy fallen sollte, sobald bei seinem Tode keine Kinder vorhanden seien, war nun freigeworden; ehe es aber völlig festgestellt werden konnte, rief mich Jessy zurück. Sie verlangte in ihrem Briefe fort aus Amerika mit mir und wollte von Graham’s ganzer Hinterlassenschaft nichts wissen. Bevor ich indessen wieder bei ihr eintraf, mochten ihre zeitweiligen Schützer, denen sie volles Vertrauen gegeben, sie andern Sinnes gemacht haben. Sie trat das ganze bedeutende Vermögen, „als Anerkennung der vielfachen Dienste, welche ich ihr geleistet“, an mich ab, und wollte ich es nicht aus einem übertriebenen Zartgefühle in fremde Hände gerathen lassen, so mußte ich es schon annehmen. Ich gönnte mir nur die Zeit, um die nöthigsten Dispositionen darüber zu treffen, dann wurde sie vor dem Altare mein Weib – mich, sagte sie, dürfe sie nicht durch einen nüchternen Friedensrichteract zum Gefährten erhalten – und am nächsten Tage traten wir die Reise nach Europa an.“

„Und von dem armen kleinen Mädchen, das Du so kalt von Dir gewiesen – Carry, wie Du sie nanntest – hast Du nichts wieder gehört?“ fragte Römer nach einer Pause sinnend.

Hugo blickte lächelnd in den rubinfarbigen Inhalt des Glases vor sich. „Sie ist nicht unglücklich geworden, wenn ihr auch anfänglich das Schwinden ihrer ersten Illusion einige Thränen gekostet haben mag,“ erwiderte er. „Jessy hatte von Philadelphia aus an sie wie an die Mutter geschrieben und mit Angabe dessen, was ihr für immer ihres Vaters Haus verschließen werde, Abschied von Beiden genommen; zugleich hatte sie ihr künftiges Verhältniß zu mir angedeutet. Nur von Carry war eine Antwort zurückgekommen, ein voller Ausdruck ihres warmen, leidenschaftlichen Herzens. Sie segnete Jessy, daß sie mich glücklich machen werde; sie wollte schon bei dem ersten Zusammentreffen, welches ich mit der damaligen Mrs. Graham auf der Farm gehabt, meine Gefühle für diese errathen haben, und bekannte der glücklichen Schwester, daß gerade diese vorausgesetzte unglückliche Liebe in ihr ein lebendigeres und wärmeres Interesse für mich erweckt habe, als es wohl ohne diesen Anlaß entstanden wäre, daß es ihr bei Winter’s geschäftlichen Plänen mit mir geworden sei, als müsse sie mir Ersatz leisten für das, was ich in Jessy verloren, und daß sie sich jetzt eben nur in dem Gedanken tröste, daß ich mein eigentliches und bestes Glück erlangt. Und getröstet hat sie sich jedenfalls ziemlich schnell, denn kurz vor unserer Abreise von Philadelphia erfuhren wir, daß Winter sein Geschäft geschlossen, mit der ganzen Familie sammt dem alten Henderson nach New-York gegangen sei, um sich dort niederzulassen, und daß Carry ihrem ganzen Auftreten nach verspreche, eine bedeutende Rolle in den Salons der „Upper tens“ zu spielen. – Diese Mittheilung erinnerte mich zugleich an meinen versäumten Abschied von Henderson; aber Jessy hatte Recht, es war besser so, der Friede seiner alten Tage mußte gestört werden, wenn sein mühsam festgehaltener Glaube au den langjährigen Brodherrn durch meine Erklärungen erschüttert worden wäre.“

„Und nun, Du tausendmal glücklicher Mensch, wo ist Deine Frau?“ rief der Freund aufblickend, „warum hast Du sie nicht hier, um sie zur rechten Zeit der Großmutter und Deinen Schwestern zuzuführen?“

Hugo schüttelte den Kopf, und ein Ausdruck von Sorge lagerte sich auf seiner Stirn. „Weiß ich denn schon, wie Alles hier gehen wird?“ erwiderte er. „Ich gestehe Dir, daß ich jetzt erst das gewagte Spiel erkenne, welches ich in Bezug auf meinen Vater unternommen habe. Wenn er das Gefühl, welches die Geldangelegenheit zum Vorwand genommen hat, um mir Zutritt in’s elterliche Haus zu verschaffen, mißversteht, sich wohl gar durch die Komödie, welche mich ihm als Inhaber seines Wechsels vorstellt, beleidigt fühlt und mich nach Beendigung des Geschäfts kalt zur Thür hinaus complimentirt – und er ist dessen fähig! so habe ich mehr verloren als jemals. Dazu kommt aber noch, Fritz, daß ich seine ausgeprägte Abneigung gegen Dich nur in Deiner Freundschaft für mich suchen kann – sie wäre sonst völlig unnatürlich! und daß,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_574.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)