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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Sophie ist vor ihm auf die Kniee gesunken und ringt die Hände.

„Philipp! Philipp! Ich bin ja doch nur ein Weib – Sieh her – er hat mich mißhandelt, er hat mir weh gethan – er hat mich gezwungen, sage ich Dir! O Philipp, ich habe mich ja auch in’s Verderben gestürzt! Sie wollen mich in ein Gefängniß bringen. Flieh! flieh!“

„Fliehn!“ ruft Philipp verzweifelnd. „Fliehn! Und Sie sind es, die mich zu Grunde richtet – Sie, die ich anbete – O, es ist schändlich!“

„Philipp, Philipp, verzeihe mir! verzeihe mir!“ ruft Sophie, indem sie ihn mit beiden Armen umfaßt. „Denn Dein Tod ist auch der meinige!“

Er erbebt unter der Berührung ihrer Arme und ihres wogenden Busens – eine jähe Flamme zuckt durch sein Herz, und er preßt sie an seine Brust. „Du Freude meines Herzens, Geliebte meiner Seele, was sprichst Du von Tod und Verderben?

Dein Herz schlägt an dem meinigen, Dein Antlitz ruht an dem meinigen. Was ist der Tod gegen dieses Glück? Sophie, Sophie, Du weinst um mich?“

„Flieh!“ ruft sie, indem sie wie aus einem Traume auffährt. „Flieh, um Gottes Barmherzigkeit willen – rette Dein Leben – rette meine Ehre! – Ah!“ schreit sie, indem sie ihn wie wahnsinnig umfaßt – „zu spät! Hörst Du sie kommen? Sie nahen schon durch den Gang; Philipp, Philipp, das ist der Tod, das ist der Tod! Philipp, ich liebe Dich!“

Er stößt einen Schrei der Seligkeit aus und stürzt, umschlungen von ihren Armen, auf die Kniee. „Du liebst mich? Du liebst mich? O, nun mögen sie kommen – ich will sterben, um diese Worte mit mir in’s Grab zu nehmen! Noch einen Kuß, den ersten und den letzten. Leb’ wohl, mein Alles, leb’ wohl! Ah!“

Und wie er die Ohnmächtige auf den Boden gleiten läßt, stürzt er mit gezogenem Degen nach der Thüre des Vorsaals, in welchen soeben ein halbes Dutzend Cavaliere des Hofes stürmen, die ihn mit ihren Degenspitzen empfangen. Das Vorzimmer wird nur durch den Wiederschein erleuchtet, der aus Sophiens Schlafzimmer dringt. Aber mit dem Blicke eines Falken hat Philipp im Halbdunkel das glänzende Gewand des Kurprinzen Georg entdeckt, welcher der Ersten Einer hereindringt. In einem Nu hat er mit ihm den Degen gekreuzt und kämpft. Aber vier, fünf andere Degenspitzen dringen auf ihn ein – er ficht wie ein Verzweifelter und blutet schon aus vielen Wunden. Jetzt springt er hinter einen breiten Tisch und will Athem holen, als sich einer der Cavaliere auf den Tisch schwingt und dem Halbtodten seinen Degen in’s Herz stößt, daß das Blut hoch aufspritzt bis auf das Gewand des Prinzen, welches von oben bis unten davon befleckt wird. Da wird es nach dem Lärmen und Schreien mit einem Male todtenstill im Zimmer. Man hört nur das keuchende, schwere Athmen der Männer und das Röcheln des Sterbenden.

Georg beugt sich über den Tisch. „Ist er todt?“ fragt er, indem er das Blut von seinem Gewande wischt.

Der schöne Hurtig neigt sich über den Grafen herab und legt die Hand auf sein Herz. „Todt.“

Bien!“ sagt Georg, indem er sich wendet. „Jetzt wollen wir nach Dörthe sehen.“


Die Schatten der Nacht weichen widerstrebend dem Tageslichte, und die Strahlen der Sonne dringen lustig durch die Scheiben des Fensters in das Zimmer und umspielen fröhlich den Leichnam, der da am Boden lag von Mitternacht bis zum Morgen, mitten in das Herz getroffen. Und dieselben Strahlen derselben Sonne umspielen noch lange, lange Jahre darnach die Mauern des öden Schlosses, in dessen gefängnißartigen Mauern ein einsames Weib dahinwelkt, auf dessen gramdurchfurchtem Gesichte noch immer ein Schatten jener längstvergangenen Nacht zu ruhen scheint.





Heinrich Karl Ludolph v. Sybel

(Mit Portrait.)

Zur Begleitung des Bildnisses, das unsere heutige Nummer von dem in letzter Zeit als Lehrer und Schriftsteller auf dem Felde der Geschichte, sowie als Abgeordneter zum preußischen Landtage vielgenannten Manne giebt, möge die folgende biographische Notiz dienen. Die Charakteristik Sybel’s, namentlich in Beziehung auf dessen politisches Wirken im Abgeordnetenhaus, wird in einer Reihe neuer Bilder aus demselben ihre Stelle finden.

Die öffentliche Wirksamkeit Sybel’s begann auf dem Lehrstuhle. Durch seine Verträge zog er zuerst die akademische Jugend an, das Neue und die Schärfe in seinen historischen Anschauungen und Urtheilen lenkte die Aufmerksamkeit größerer Kreise auf ihn, bis er sich durch seine „Geschichte des ersten Kreuzzugs“ den Fachgenossen in ganz Deutschland als eine besonders beachtenswerthe Erscheinung darstellte. Die Schrift veröffentlichte er 1841 als Privatdocent an der Universität zu Bonn. Hier blieb er bis zu seiner Berufung als Professor der Geschichte nach Marburg. Die nächste Veranlassung dazu bot die 1849 erschienene Schrift über „die Entstehung des deutschen Königthums“. – Ebenso war es wieder eins seiner Geschichtswerke, welches ihm den Weg zu einer noch glänzenderen Stellung bahnte. Seine „Geschichte der Revolution von 1789 bis 1795“ erwarb ihm nicht nur in den wissenschaftlichen Kreisen erhöhte Anerkennung, sondern fand auch in dem König Maximilian von Baiern einen so warmen Verehrer, daß Sybel 1856 die Stellung als ordentlicher Professor der Geschichte an der Universität zu München angetragen wurde. Er folgte dem Ruf und sah sich bald nicht nur von einem großen Kreise begeisterter Zuhörer umgeben, sondern auch von seinem König mit immer neuen Ehren bedacht. So ward er kurz nacheinander Mitglied der historischen Classe der königl. baierischen Akademie der Wissenschaften, Vorstand des historischen Seminars, Ritter des Maximilians-Ordens für Verdienste in Kunst und Wissenschaft und Mitglied des Capitels dieses Ordens. Sybel’s Wirksamkeit in München war eine ebenso einflußreiche als achtungswerthe; die vorherrschenden Elemente der herrschenden Gesellschaft in der Königsstadt an der Isar wußten jedoch seine Stellung nach und nach zu einer nichts weniger als beneidenswerthen zu machen.

Die berüchtigte preußische Demarcationslinie des Baseler Friedens vom 5. April 1795 brauchte zwischen dem Norden und Süden Deutschlands nicht erst mit dem diplomatischen Pinsel gezogen zu werden, die auseinanderlaufenden Geistesrichtungen der herrschenden Kreise und ihres Anhangs bezeichneten jene traurige Grenzscheidung schon damals deutlich genug, und wenn auch durch die bitteren Erfahrungen der nächsten Jahrzehnte diese Grenzen durch die Bestrebungen der deutschen Völkerschaften äußerlich bedeutend verrückt wurden, so sind sie in den Anschauungen und Wünschen der hohen kirchlichen und politischen Kreise doch so ziemlich dieselben geblieben. Und unter ihrem Einfluß steht dort auch die Pflege der Wissenschaft, und so wenig frei ist diese, daß selbst die Lehren aus der Geschichte andere im deutschen Süden sind, als im deutschen Norden. Kein Wunder, daß der freidenkende Sybel in seinen Vorträgen bald der herrschenden Richtung ein Anstoß ward; es bedurfte nur einer genügenden Veranlassung, um dem Anstoß den gewünschten Erfolg zu geben. – Und diese gab Sybel selbst durch seine Darstellung jener „Demarcationslinie“ in der Fortsetzung seiner „Geschichte der Revolutionszeit von 1789 bis 1795.“ Der in derselben enthaltene Versuch zur Entschuldigung der preußischen Politik bei jenem Friedensschluß, durch welchen Preußen das linke Rheinufer an Frankreich preisgab, um sich ein Stück Polen zu sichern, brachte den Professor in den Verdacht kleindeutscher Parteinahme. Er erfuhr scharfe Angriffe von verschiedenen Seiten und spürte bereits das Schwanken seines baierischen Lehrstuhls, als der Ruf nach Bonn ihn aus der unleidlichen Lage befreite. In den Herzen der akademischen Jugend Münchens behielt er seinen Ehrenplatz, und er schied, auch an Gesinnungsgenossen nicht arm, von


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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 614. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_614.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)