Seite:Die Gartenlaube (1862) 633.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

des ganzen Verfahrens mitgetheilt wurde. Er erhielt dann eine kleine Karte, auf der ungefähr folgendes Schema stand:

A. Reich, tadellos sicher. 1) Er spielt.
B. Wohlhabend, sicher. 2) Er trinkt.
C. Schulden, aber reichliche Deckung. 3) Er liebt die Weiber.
D. Schulden und Deckung gleich. 4) Ist im Begriff, fein Eigenthum zu überschreiben.
E. Mehr Schulden als Deckung. 5) Er ist kränklich.

Bei Compagnongeschäften trat in diesen Bezeichnungen eine kleine Modification ein, außerdem wurden von Zeit zu Zeit die Zeichen gewechselt. Die Referenzen wurden nun von der Agentur auf folgende Weise mitgetheilt. Verlangte z. B. Peter Smith in Philadelphia Auskunft über John Brown in St. Louis, so erhielt er von der entsprechenden Agentur eine Karte, auf der einfach die fünf bezeichneten Buchstaben wie die fünf Ziffern standen, ohne die charakteristischen Zusätze. Diejenigen Buchstaben oder Zahlen, welche den Werth oder Unwerth des John Brown als Geschäftsmann und Bürger nach dem erstangeführten Schema markiren sollten, waren aber mit rother Tinte unterstrichen. Jedenfalls genügte diese Karte, um den Anfrager, falls der kurze Bericht correct und wahrheitsgetreu war, in seinen Handelsoperationen mehr oder weniger sicher zu stellen. War z. B. die Zahl 4 unterstrichen, so hatte derselbe nichts eiliger zu thun, als den etwaigen transfer of property, die Ueberschreibung des Eigenthums, auf legalem Wege zu sistiren, wenn er seine Schuldforderung decken wollte.

Wenn man nun das ganze Verfahren und die große Heimlichkeit des gefährlichen Institutes unbefangen betrachtet, so kann man bei dem ersten Blick nicht leugnen, daß dasselbe unter gewissenhafter Verwaltung der soliden Geschäftswelt eine anscheinende Garantie gegen den sich breitmachenden Schwindel bot, allein auf der andern Seite muß man wohl erwägen, daß gerade in dieser Heimlichkeit und Unverantwortlichkeit den Ansichten und den Privatleidenschaften mancher Agenten ein viel zu großer Spielraum gegeben wurde. Leute, die mit den Verhältnissen genau vertraut sind, wollen behaupten, daß der Impuls zu der ganzen Idee von einem New-Yorker Kaufmann ausgegangen sei, der früher in Deutschland als Beamter die geheimen Conduitenlisten, welche man noch heute in gewissen deutschen Staaten über die Angestellten zu führen pflegt, ausgearbeitet habe.

So verschieden nun auch die Urtheile der moralisirenden Geschäftswelt über Douglas und Co. sind, so kann man doch immerhin Einiges zur Entschuldigung anführen. Man denke sich den Fall, daß ein Haus in Boston mit einem Geschäftsmann in St. Paul ein vortheilhaftes Geschäft abschließen kann, aber darüber im Unklaren ist, ob derselbe seinen Verpflichtungen nachkommen kann oder will; das Haus in St. Paul ist dem Bostoner ganz unbekannt, auch hat letzterer in St. Paul keine Geschäftsfreunde, die ihm Aufschluß geben könnten. Was bleibt dann dem Bostoner, wenn er den erwarteten Gewinn sich nicht entgehen lassen will, weiter übrig, als bei der geheimen Agentur anzufragen, falls er seine 100 Dollars jährlich an dieselbe entrichtet? Amerika ist noch ein junges Land, neue Handelsplätze und Firmen schießen wie die Pilze aus der Erde, und neuetablirte Kaufleute, deren Namen man in den großen Emporiums der atlantischen Städte noch nicht kennt, reisen nach dem Osten und verlangen für ihre Einkäufe Credit. Wie ist es da möglich, die Principien des kaufmännischen Credits, wie sie im alten Deutschland bei wohlfundirten Häusern festgestellt sind, durchzuführen? Man müßte sich eben dazu bequemen, gar keine Geschäfte zu machen. Wenn nun der Kaufmannsstand in den Vereinigten Staaten überhaupt durch die Verhältnisse gezwungen ist, seine Waaren ohne diejenige Sicherheit, welche man in Europa fast immer beansprucht, dem Käufer zu verabfolgen, so kann man es ihm in mancher Beziehung nicht verdenken, wenn er nach Mitteln sucht, um sich vor Verlusten zu schützen, welche ihm durch den Leichtsinn oder bösen Willen Anderer zugefügt werden. Diesem Umstände hat es die geheime Agentur zu verdanken, daß dieselbe von einer so großen Masse Geschäftsleuten benutzt wird und dadurch in den Stand gesetzt ist, mehr oder weniger eine moralische Tyrannei über Viele auszuüben, wie sie denn auch nicht blos unter Schwindlern, sondern auch unter der bessern Classe, die heftigsten Gegner in Menge zählt. Es liegt ja tief in der menschlichen Natur, eine geheime Macht, welche eine auch nur geschäftliche Controle über uns prätendirt, zu hassen, und wenn wir ein Stück unseres Grundeigenthums veräußern, wer giebt ihr das Recht, den Verkaufspreis und die Bedingungen in ihre Bücher einzutragen, um einmal bei gelegener Zeit Gebrauch davon zu machen, wenn vielleicht ein früherer Geschäftsfreund es sich einfallen läßt, unsere Finanzen mit mißtrauischen Augen zu betrachten?

Da wir Amerika schon seit Jahresfrist verlassen haben, so können wir nicht wissen, ob Douglas und Co. noch ihre geheimnißvolle Thätigkeit fortsetzen. Vielleicht hat der unglückliche Bürgerkrieg auch der mysteriösen Agentur die Wurzeln abgehauen, was wir nicht im Geringsten bedauern würden, da sie unseres Erachtens mehr Schlechtes als Gutes gestiftet hat. Sie hat allerdings manche Verluste verhütet, manche Betrügereien aufgedeckt, aber sie hat auch durch die Spürnase ihrer Agenten und Advocaten die verborgensten Familiengeheimnisse mit Unrecht aufgedeckt und oft durch falsche Berichte den besten Credit ruinirt. Sie hat durch ihre ungesetzliche Einmischung die besten Leute zum Fall gebracht und durch die absichtlichen Lügen boshafter Werkzeuge Manchen bis zum Verbrechen getrieben.

Eben ein solches, welches mit teuflischer Bosheit in einer großen westlichen Stadt verübt wurde, war die Ursache, daß endlich die geheimen Machinationen der Agentur an die Oeffentlichkeit gezogen werden konnten; indessen waren die Beamten derselben zu schlau, um den Richtern und dem Volke mehr als einen flüchtigen Blick in das innere Getriebe ihres Systems zu gestatten. Die Umstände aber, welche sich an diesen vielfach besprochenen Fall knüpfen, sind zu interessant und werfen einen zu tiefen Schatten auf das amerikanische Geschäftsleben, als daß wir dieselben unsern deutschen Lesern vorenthalten könnten. Möge es uns daher vergönnt sein, in flüchtigen Skizzen, welche wir größtentheils dem Portefeuille eines angesehenen Advocaten entlehnten, das verderbliche Treiben und Thun von Douglas und Co. und die noch schrecklicheren Folgen davon zu beleuchten. –



In einer größern Stadt des Westens lebte Mr. Francis Hargrave, ein noch junger Mann von dreißig Jahren, der ein nicht unbedeutendes Droguengeschäft betrieb. Mit seiner Frau, die den Ruf einer koketten Weltdame besaß, schien er nicht im besten Einvernehmen zu leben, auch flüsterte man sich in die Ohren, daß die schöne Lucy die Huldigungen seines Buchhalters nicht fest genug zurückweise. Dafür war aber das einzige Kind seiner Ehe, ein schöner Knabe, Namens Harry, sein Augapfel, und wenn er ermüdet aus dem Geschäfte zurückkam, widmete er ausschließlich dem Kleinen seine Zeit.

Eines Tages kam Mr. Hargrave verdrießlich von einem Ausgang zurück; er war auf der Bank gewesen, um einige Wechsel, welche Mr. Cox, der Buchhalter, für gut acceptirt hatte, discontiren zu lassen; dort hatte man sich aber geweigert, weil die Aussteller angeblich nicht zahlungsfähig wären. Hierüber kam es nun zu einem heftigen Streit, weil Mr. Cox die Vorwürfe, welche ihm mit Recht oder Unrecht gemacht wurden, nicht auf sich sitzen lassen wollte. Jedenfalls hätte der Wortwechsel zwischen Beiden ernstere Folgen nach sich gezogen, wenn nicht zufällig Mrs. Hargrave im Laden erschienen wäre, um ihren Gemahl daran zu erinnern, daß er ihr das Versprechen gegeben habe, denselben Nachmittag mit ihr auszufahren. Dieser konnte dann nach amerikanischer Sitte nicht umhin, ihrem Wunsche nachzukommen. Seinen Aerger verschluckend verließ er mit seiner Frau die Office, um in den Wagen, der vor dem Hause hielt, einzusteigen, während Mr. Cox, in Gedanken versunken, sich anscheinend in seine Bücher vertiefte.

Als es sechs Uhr schlug, entfernten sich wie gewöhnlich die Clerks, ebenso der Porter, der vorher noch Alles, bis auf eine der Frontthüren, verschließen mußte. Als der Buchhalter sich allein sah, steckte er bei der zunehmenden Dunkelheit das Gas in der Office, sich selbst aber eine Cigarre an und sah von Zeit zu Zeit ungeduldig nach seiner Uhr, als wenn er Jemand erwartete. Es dauerte auch nicht lange, so erschien im Eingänge des Ladens eine lange Gestalt, die sich, vorsichtig zwischen den vielen Fässern und Kisten umhertappend, der Office näherte.

„Sieh da, Mr. Sharp, endlich!“ sagte Cox. „Nun, hat man den Counterfeiter (Fälscher) verurtheilt, und hat das Zuchthaus einen Candidaten mehr? Ich sollte doch meinen, die Bank hätte Beweise genug gehabt!“ fragte er neugierig.

„Ach nein,“ sagte der Angeredete, „die Sache nahm eine ganz andere Wendung, als der Staatsanwalt und ich, sein Assistent,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 633. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_633.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)