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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

preußische Corps unter Kleist vereinigten sich hier mit demselben, doch beschränkte sich das Gefecht nach dieser Richtung vorläufig und noch bis auf lange hinaus auf ein bald mehr, bald weniger lebhaft unterhaltenes Geplänkel und ein bei der gedeckten Stellung der Gegner ziemlich unwirksames Geschützfeuer.

Vor dem äußern Grimmaischen Thore (welches zwischen dem Johannishospital und dem jetzt zur dritten Bürgerschule gehörigen ehemaligen Armenhause stand) war an Stelle der abgezogenen Russen das preußische Corps von Bülow eingetreten. Die Schweden unter ihrem Kronprinzen, dem ehemaligen französischen Marschall Bernadotte und zeitherigen Oberbefehlshaber der verbündeten Nordarmee, standen dahinter in Reserve, ebenso eine russische Abtheilung unter Woronzoff. Der Hauptschlag sollte gegen dieses Thor geführt werden.

Drei Bataillone bildeten die Spitze des preußischen Heerestheils. Links der zu dem Thore führenden Landstraße stand das Königsberger Landwehrbataillon unter Major Friccius, rechts das Füsilier- und etwas mehr zurück das zweite Bataillon des dritten Ostpreußischen Infanterie-Regiments unter den Majoren von Gleißenberg und Müllenheim. Weiter vorn schossen sich die durch Einhalten einer irrthümlichen Richtung hierher verschlagenen Tirailleurs eines anderen, des Colberg’schen Regiments mit feindlichen Schützen herum, welche hinter den Gartenmauern und namentlich von dem weit über das Grimmaische Thor hervorspringenden und mit einer steinernen Mauer umgebenen Johanniskirchhof hervor feuerten. Eine französische Batterie hielt noch außerhalb des Thores und richtete ihre Geschosse vorzugsweise auf das dem Thore zunächst stehende Landwehrbataillon. Der Stand desselben war furchtbar heiß, eben hatte eine feindliche Paßkugel wieder vier Mann desselben zugleich niedergeschmettert. Die Nächststehenden, von dem umherspritzenden Blut und Hirn der Getroffenen überschüttet, drängten durcheinander, Verwirrung schien unter den anschließenden Rotten einreißen zu wollen.

„Bück’ Dich. Rennefuß,
Es kommt ein Prallschuß,“

lachte eine Stimme. Dieser Vers war zum stehenden Witzwort bei dem Bataillon geworden, seitdem bei Dennewitz ein Wehrmann dieses Namens sich, um so den Gefahren der Schlacht zu entgehen, für todt niedergeworfen und nachher bei seinem Wiedereinfinden gegen seine Cameraden diese Handlung mit einem empfangenen Prallschuß entschuldigt hatte. Der schlechte Reim verfehlte auch diesmal nicht seine altgewohnte Wirkung. „Wo ist der Rennefuß? Bück’ Dich! Bück’ Dich!“ jubelte es im Thor. Der arme Kerl knirschte mit den Zähnen. „Soll Euch doch das Donnerwetter!“ brummte er in den buschigen Bart, und seine Augen flammten. Die Lücke ward wieder geschlossen, eine preußische Batterie rasselte vorüber, die entgegenstehenden feindlichen Geschütze zum Abzuge zu zwingen.

Wieder waren neue feindliche Geschosse in das Bataillon eingeschlagen, von links und rechts hatte der Feind dasselbe in ein wirksames Kreuzfeuer genommen, es schien unmöglich, länger auf dieser so sehr exponirten Stelle ausharren zu können. Ein Adjutant sprengte von dem rückwärts stehenden Hauptcorps an den unbeweglich vor der Front seiner Truppe haltenden Commandeur und überbrachte demselben eine Meldung. „Sagen will ich’s ihnen,“ erwiderte der Angeredete, sich gleichmüthig den schwarzen Schnurbart streichend, „sie thun’s aber doch nicht!“ – „Cameraden,“ kehrte er sich zu dem Bataillon, „der commandirende General gestattet Euch, zum Schutze gegen das feindliche Feuer Euch niederzulegen.“

Ein paar Mann schienen wohl Willens, von dieser Erlaubniß Gebrauch zu machen, doch auf den zürnenden Zuruf der Cameraden richteten sie sich schnell wieder auf. „Die Königsberger Landwehr bückt sich nicht!“ lief der Ruf durch die Glieder. Das Bataillon stand wie zur Parade gerichtet.

Die diesseitige Artillerie begann allmählich über die französische ein Uebergewicht zu gewinnen, die noch vor dem Thore aufgefahrenen feindlichen Stücke gingen, theilweise demontirt, durch dasselbe zurück. Ein zweiter Adjutant jagte herzu: „Das Bataillon vorrücken!“ lautete die überbrachte Meldung.

Ein hoher preußischer Officier kam den schon in Marsch gesetzten Landwehren nachgesprengt. Es war der Prinz von Hessen-Homburg, der Befehlshaber der Brigade, zu welcher sowohl dieses, wie die vorerwähnten beiden Linienbataillone gehörten. „Major Friccius,“ rief er dessen Führer schon aus der Ferne zu, „Ihr Bataillon wird den Sturm auf das Thor eröffnen, die Bataillone von Gleißenberg und Müllenheim werden dasselbe unterstützen. Jetzt gilt’s, Wehrmänner,“ kehrte er sich zu den Mannschaften, „jetzt sollt Ihr beweisen, daß Ihr an Tapferkeit auch den bravsten Linientruppen nicht nachsteht. Vorwärts denn! Hoch dem König!“

„Hurrah! Hurrah!“ Der Prinz hatte sich an die Spitze der in stürmischer Begeisterung vordringenden Truppe gesetzt. Er winkte mit dem Degen den bei dem Vorbrechen der Sturmcolonne sich ha[rt] unter der Kirchhofsmauer sammelnden Tirailleurs des Colberg’schen Regiments, an dem Angriff Theil zu nehmen, und rief ihnen zu; doch die Mütze und der Mantel, welchen er trug, mochten diese in ihm nur einen Landwehrführer vermuthen lassen. Niemand rührte sich in dem Haufen. Die Rivalität zwischen der preußischen Linie und Landwehr stammt nicht erst von heute, und es war ein stehender Grundsatz bei den Mannschaften der Ersteren, nie Befehle von einem Landwehrofficier anzunehmen.

Eine von der Stadt hersausende Kanonenkugel hatte den Führer der vordersten Compagnie um sich selber gewirbelt und ihm die Mütze vom Kopfe gerissen. Die Letztere stäubte in Fetzen herum, doch der tapfere Mann, kaum fest wieder auf den Füßen, stürmte den Seinen nach und ohne Kopfbedeckung weiter. Durch den vorigen ärgerlichen Vorfall war der glühende Eifer der wackeren Wehrmänner vollends zur wahren Tollkühnheit und Todesverachtung angestachelt worden. Wo die Linie nicht anzugreifen wagte, da – der Entschluß stand fest bei jedem Manne des ganzen Bataillons – sollte die Landwehr durchdringen. Instinctmäßig fühlte Jeder, daß hier kein Zurückweichen möglich sei, das Thor mußte auf alle Fälle genommen werden.

Ein Hagelschauer von Kugeln empfing die Stürmer. Aus dem einen Theil der vorspringenden Kirchhofsmauer bildenden Gebäude, wie aus den rechts vom Thore sich anschließenden und nach hierhin die Stadtumfassung vervollständigenden Häusern zuckte Blitz auf Blitz und keiner ohne Wirkung auf den engzusammengepreßten Sturmhaufen. Auch in die aus mächtigen Eichenplanken gezimmerten Thorflügel hatten die Franzosen Schießscharten eingeschnitten, und selbst von dem Thurm der Johanniskirche pfiffen die feindlichen Geschosse. Es fehlte an Sturmwerkzeugen, Leitern, Aexten. Beim Vorgehen hatte man versäumt, das Bataillon hiermit auszurüsten oder ihm eine Pionierabtheilung beizugeben. Vielleicht daß das Geschütz das Thor einzuschießen vermocht hätte, doch dasselbe befand sich weit zurück, und bevor es herbeigeholt werden konnte, mußte unter diesem Höllenfeuer die Vernichtung der so preisgegebenen Schaar unbedingt längst besiegelt sein. Nur von der eigenen Kraft und Energie blieb hier Hülfe und eine günstige Entscheidung zu hoffen.

„Vorwärts! vorwärts! Laßt nicht nach!“ Der Prinz war der Erste von Allen gegen das Thor vorgesprengt, doch fast im selben Moment sank er von einem Schuß zwischen Brust und Schulter getroffen vom Pferde. Dem Roß des Majors ward von einer Kugel der Kiefer zerschmettert, das durch den Schmerz rasende Thier bäumte und überschlug sich mit seinem Reiter, kaum daß dieser noch mit seinen Füßen den Boden gewinnen konnte. Ein Haufe der kühnen Stürmer hatte sich trotz des sicheren von dort drohenden Verderbens gegen das Thor gestürzt und versuchte die Flügel desselben mit mächtigen Wuppen und „Joho!“ mit den Schultern einzusprengen. Andere strebten die feindlichen Gewehre, die sich aus den in die Mauern der Gebäude gebrochenen Schießscharten vorstreckten, mit den Händen festzuhalten oder mit der ganzen Wucht ihres Leibes niederzudrücken. Auch der Lieutenant Dulk war in diesem wahnsinnigen und vergeblichen Ringen von einer feindlichen Kugel tödtlich getroffen niedergesunken.

„Major, sehen Sie dort das Thorwärterhäuschen! Das Fachwerk desselben hält kaum mehr zusammen; das Einschlagen kann unmöglich große Schwierigkeiten bieten.“ Der Adjutant des Bataillons, Lieutenant Gädicke, zur Zeit der einzige noch zu Pferde befindliche Officier, hatte die Blicke herumwerfend entdeckt, daß das einen Theil des Thors selbst bildende Thorwärterhäuschen sich als der einzige Punkt erwies, aus welchem nicht gefeuert wurde. Dasselbe war von Fachwerk gebaut, und bei dem Versuch, wie in allen anderen Gebäuden Schießscharten herauszubrechen, hatte sich das eine Fachstück so weit nach außen vorgeneigt, daß wahrscheinlich um der augenscheinlichen Gefahr willen, das ganze schwache Mauerwerk herausstürzen zu machen, der Feind von diesem seinem Vorhaben wieder abgestanden haben mochte.

„Folgt mir, Cameraden!“ Dem Nächsten das Gewehr aus der Hand reißend, stürzte der Major zu der bezeichneten Stelle. Der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_650.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)