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Männer zu Achtung und Bewunderung, als er die Frauen zu sanftem Mitleid erregte und ihre Herzen rascher schlagen machte. Der siegreiche Podesta ritt, mit einem Purpurkleid geschmückt, auf einem weißen Pferde hart hinter dem König. Eine Abtheilung Fußvolk schloß den Zug, der unter Hymnen und Siegesliedern nach der Kirche von St. Pietro sich bewegte, wo ein feierliches Tedeum angestimmt und die Gnade des Himmels für weitere Siege angefleht wurde. Dann nahm Enzio von seinen Mitgefangenen, welche heiße Thränen vergossen, zärtlichen Abschied, tröstete und ermunterte sie, theilte unter die ärmeren Geld aus und ließ sich willig in den Palast des Podesta führen, der ihm bis zur Erbauung eines eigenen, wohl befestigten und vergitterten, übrigens gut eingerichteten Hauses als Wohnung angewiesen wurde. Er war auf Alles, auch auf das Aeußerste gefaßt, schrieb einen Brief an seinen Vater und wurde durch einen alsbaldigen Besuch der Consuln überrascht, welche den Gebeugten trösteten und baten, seines berühmten Vaters weder je ganz zu vergessen, noch desselben allzusehr eingedenk zu sein.

Der Kaiser war durch dieses Unglück seines liebsten Sohnes auf’s Tiefste erschüttert. Nicht blos sein Herz, auch seine ganze Politik hatte einen furchtbaren Schlag erhalten. Daher schrieb er sogleich an den Rath und die Gemeinde von Bologna, daß sie bei Verlust seiner Gnade den König Enzio und alle anderen Gefangenen freilassen sollten. Aber vergeblich waren alle seine Verheißungen und Drohungen; von diesem Felsen republikanischen Stolzes glitten alle Blitze der kaiserlichen Gewalt machtlos ab. Die Bolognesen erkannten recht wohl, welch kostbares Unterpfand sie in dem gefangenen König bei allen Wechselfällen des Kriegs dem Kaiser gegenüber hatten, und wieviel dieser durch den Verlust seines trefflichen Feldherrn, seines treuesten Parteigängers, seines beliebtesten Unterhändlers verloren habe. Aus Gründen der Politik, im Interesse der Freiheit Italiens wiesen sie sowohl das Anerbieten Enzio’s, für seine Befreiung einen silbernen Ring, der um ganz Bologna herumgehe, ihnen zu geben, als auch alle Unterhandlungen Friedrich’s ab und antworteten ihm auf seine Drohungen, daß nach einem alten Sprüchwort ein wilder und schäumender Eber wohl auch durch einen kleinen Hund festgehalten werde. Ihr unabänderlicher Beschluß, welcher von der ganzen Gemeinde bestätigt wurde, lautete: „König Enzio bleibt bis zu seinem Tode in der Haft der Bolognesen.“ Die übrigen Gefangenen wurden bis zu ihrer Auswechslung gegen gefangene Guelfen oder bis zu ihrer Auslösung, je nach Stand und Würde, gleichfalls in der Gefangenschaft gehalten.

Zwar suchten die Bolognesen Enzio’s Haft so leidlich als möglich zu machen. Er durfte Besuche empfangen und Gesellschaften halten und sah die berühmtesten Rechtsgelehrten der Universität, die angesehensten Jünglinge der Stadt von Zeit zu Zeit bei sich, unterhielt sich mit jenen über Staatsangelegenheiten und genoß mit diesen die Freuden eines heiteren Mahles, das durch Musik und Dichtkunst gewürzt war. Die Letztere war es besonders, die ihm viele Stunden versüßte. Er sammelte, was ihm von schönen Dichtungen und Sagen bekannt oder in Bologna zu bekommen war, griff, des Schwertes beraubt, selbst wieder zur Leier, hauchte in süßen Canzonen und Sonnetten seine Klagen ans und erweiterte so sein Gefängniß zu einer reichen, schönen Welt. Aber so viel Freiheit man ihm im Innern des Hauses ließ, so streng wurde er doch von den vorsichtigen Bolognesen bewacht. Jeden Tag mußten der Podesta und die Consuln durch persönlichen Besuch von dem Dasein des Gefangenen sich überzeugen, einer der Hauptleute des Podesta selbst die Thüren verschließen und öffnen, und die Wächter wurden nur aus den reichsten, erprobtesten Bürgern gewählt. Auch war er 14 Jahre lang mit dem beschränkten und ungebildeten Deutschordensritter, Graf Conrad von Solimburg, in einem und demselben Zimmer eingesperrt, und erst auf wiederholte Bitten und Klagen wurde ihm „der unerträgliche und alberne Geselle“, wie ihn der Rath selbst bezeichnete, abgenommen und an einen andern Ort gebracht.

Unter den Jünglingen, welche ihn häufig besuchten und seine Einsamkeit erheiterten, fühlte sich besonders einer auf’s Lebhafteste zu ihm hingezogen, Pietro Asinelli, aus einer vornehmen Familie, ein Mensch von glücklichen Talenten und trefflichem Gemüth, ausgezeichnet durch seine Beredsamkeit und seine Vertrautheit mit den Schätzen der deutschen und italienischen Literatur, dazu voll heiteren italienischen Frohsinns und sinnigen deutschen Ernstes. Ein solcher Charakter war für Enzio wie gemacht. Es entwickelte sich zwischen Beiden die vertrauteste Freundschaft, Asinelli war fast der tägliche Gast des Königs und trug zur Aufheiterung seiner oft gedrückten Stimmung sehr viel bei. Hierzu kam noch ein anderer Umstand. Eines Abends brachte Asinelli einen nicht gar großen, feingekleideten Jüngling von ausnehmender Schönheit zu Enzio und bat ihn um die Erlaubniß, einen jungen Rechtsgelehrten ihm vorstellen zu dürfen. Dem König fiel dieser weiche Ausdruck des kindlich-jugendlichen Gesichtes, dieser feine Mund, diese rosigen Wangen auf, und zweiflerisch lächelnd sah er bald Asinelli, bald den neuen Gast an. „Unser junger Rechtsgelehrter,“ fuhr Asinelli fort, „ist ein leidenschaftlicher Bolognese und wünscht, um Eure Gefangenschaft vollständig zu machen, den Rechtsbeweis vor Euch zu führen, daß man nicht blos Euren Leib, sondern auch Euer Herz in Beschlag nehmen dürfe.“ Während der fremde Jüngling allerliebst erröthete und lächelnd Asinelli anzublicken schien, in Wahrheit aber Enzio anblickte, zog Letzterer rasch ein Papier hervor, das ihm Asinelli den vorhergehenden Tag in einem Blumenstrauß versteckt, als von einer Unbekannten kommend, überbracht hatte. Auf demselben standen mit zierlicher Frauenhand geschrieben die vier Worte: che ben ti voglio (Dir will ich wohl). Dieses Papier hielt er Asinelli hin, welcher lächelnd zunickte, und die süßen Worte wiederholend ergriff er die Hand der verkleideten Jungfrau und küßte sie. Es war Lucia Viadagola, die schönste unter allen Töchtern Bologna’s, aus einer armen, aber angesehenen Familie. Als sie bei dem Einzug Enzio’s unter dem mit Blumen verzierten Fenster lag, fiel sein Blick auf sie, und dieser Blick drang ihr bis in die tiefste Seele. Je größer der Abstand zwischen dem König von Sardinien und der armen Lucia war, je mehr sie in ihrer Freiheit die Gefangenschaft des Königs beklagte und beweinte, je schwieriger die Wege waren, um denjenigen, der so ganz ihre Seele erfüllte, auch nur zu sehen, geschweige zu sprechen, zu besitzen: desto heftiger, desto verzehrender brannte die Liebesgluth in ihrem Herzen. Von dem Gedanken, daß sie des Königs Lage durch ihre Liebe mildern könne, über alle Bedenklichkeiten weggetragen, vertraute sie sich Asinelli an, der dann das Weitere vermittelte. Enzio fühlte sich glücklich in dem Besitz der ebenso geistreichen als schönen Lucia und vermählte sich mit ihr. Sie erhielt die Erlaubniß, sein Loos mit ihm zu theilen, und im Jahr 1251 gebar sie ihm einen Knaben, welchem Enzio den lieblichen Namen Bentivoglio gab. Es ist merkwürdig, daß ein Nachkomme dieses Knaben als Fürst Bentivoglio, wie wenn er die lange Gefangenschaft seines königlichen Ahnen hätte rächen wollen, die republikanische Staatsform Bologna’s zertrümmerte und sich zum Herrn der Stadt aufwarf.

So verflossen dem Gefangenen nach und nach 20 volle Jahre, und so ruhig sich der Faden seines Lebens abrollte, so furchtbar, so vernichtend waren die Schläge, unter denen während dieser Zeit sein ganzes Geschlecht endete. Es spielte sich jene große Schicksalstragödie ab, in welcher von dem mit aller Kraft des Willens und des Geistes ausgerüsteten Kaiserhause in kaum zwei Decennien alle männlichen Glieder bis auf den letzten Sprößling vernichtet wurden. Der Kaiser war schon ein Jahr nach Enzio’s Gefangennehmung an einer Krankheit, wohl noch mehr vor Kummer über den allgemeinen Verrath gestorben; sein nächster Erbe, König Konrad von Deutschland, sah sich in der Heimath verrathen, kam nach Italien, eroberte das sicilische Königreich und starb dort 1254; der nächste Bruder, der durch Geist und Tapferkeit Enzio am nächsten ähnliche Manfred, behauptete darauf die sicilische Krone fest gegen alle Ansprüche, Bannflüche und Heere der Päpste, verlor aber gegen den französischen Prinzen Karl von Anjou, welchem der thörichte Papst jene Krone antrug, in der Schlacht bei Benevent 1260 Thron und Leben; Konrad’s Sohn, der 15jährige Konradin, nicht zufrieden mit seinem Herzogthum Schwaben, erfüllt von dem hohen Geist seiner Ahnen, wollte gleichfalls sein rechtmäßiges Erbe in Unteritalien erobern, war bei Scurcola zugleich Sieger und Besiegter, wurde auf der Flucht gefangen, an Karl ausgeliefert und auf dessen Befehl im Anblick des Golfs von Neapel 1268 enthauptet. So war Enzio noch der Letzte seines Stammes. Schon als der Jubelruf des Volkes in Bologna, das bei dem Einzug Karl’s diesem entgegenjauchzte, durch die Fenster seines Palastes drang, glaubte er voll Ingrimm seinen Arm erheben zu müssen. Als aber diesem französischen Eindringling anfangs Alles gelang und Enzio den Tod all der Seinigen vernahm, da erwachte die Erinnerung an die alle Heldenzeit stärker als je, und er, der noch Lebende, hielt sich für berufen, den völligen Untergang von seinem Hause abzuwenden,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 667. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_667.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)