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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

dieser liebenswürdigen Lebendigkeit erfreut sich die Fischotter auch noch eines so großen Respects, namentlich bei der Dresdner Kinderwelt, wie selbst der brüllende Leu im Hintergründe nicht. Diesen specifischen Respect vor der Fischotter hat die Direction des Gartens durch einfache drei Worte hervorzubringen verstanden, die sehr leserlich im Gitter angebracht sind. Anstatt in langathmigem Style die Beschauer vor dem kleinen munteren Thierlein zu warnen, lieft man einfach: Die Fischotter beißt! Diese drei Worte sind hinreichend, einer zu großen Intimität des Publicums und der Fischotter wohlthätige Schranken zu setzen. Bei keinem andern Bewohner des Gartens, selbst den reißenden Thieren nicht, findet sich diese sehr praktische Warnungsetiquette.

Wir wenden uns rechts. Da erheben sich in sonnigster Nachmittagsbeleuchtung, aus leichter Umzäunung, zwei graugelbe Massen, jede auf vier verhältnismäßig nicht zu starken Beinen stehend und einen langen Hals mit einem weniger geistreichen, aber sehr gutmüthigen Kopfe emporstreckend. Es ist das Schiff der Wüste, das Kameel, das sich von dem Bewohner des Baierlandes namentlich dadurch unterscheidet, daß es weit länger Durst ertragen kann. Zwei Höcker bilden einen natürlichen Sattel und unterscheiden das Kameel von dem nur einhöckerigen Dromedar. Bei dem Kameele weiß man in der That nicht, ob dieses Thier für die Wüste oder ob die Wüste für das Kameel geschaffen ist, so passen beide für einander. Die Füße von breiter Fläche verhindern das Einsinken im Wüstensande; die lederartige Sohle und die schwieligen Kissen am Kniegelenk ermöglichen dies Gehen und Niederknieen auf dem heißen Boden. Die Nasenlöcher sind lang und tief geschlitzt, um bei Sturm das Eindringen des feinen Wüstenstaubes abzuhalten; der Geruchssinn ist so bedeutend entwickelt, daß das Kameel Wasser und feuchte Luftströmungen Stunden weit wittert. Genügsam und mit wenig trocknem Futter zufrieden, kann es Wassermangel bis zu acht Tagen ertragen, indem ein besonderer Speichelapparat das aufgenommene Futter im Magen fortwährend bespült und so vor Durst schützt.

Welche Gedanken und Bilder gehen beim Anblick dieses in der Culturgeschichte der Menschheit so wichtigen Thieres, das die Perlen und Kaschmirshawle aus fernem Osten nach dem Abendlande trägt, durch die Seele! Das ganze alte Testament, Jakob und seine Söhne, samumumwehte Karawanenzüge, die Märchen Scheherasade’s. Wie manche reizende Houry, umschleiert und im Silbergürtel, mag von diesen unschönen lebendigen Maschinen nach den Liliengärten der Serails getragen worden sein! Diese grauen Wanderer können erzählen von den Schneehauben des Himalaya, den Veilchengefilden von Peschauer, den Rosen von Saron; sie haben vernommen aus stiller Myrthenlaube den süßen Schmerz um die von Hafis besungene Nachtigallbraut. Gutmüthig und zufrieden nahmen sie die Semmelbrocken aus der Hand des Beschauers.

In den beiden andern Abtheilungen des Kameelhauses wohnen noch zwei fremde Gäste, ein weißes Lama und ein chinesisches Schaf mit Fettschwanz und ohne Ohrenmuscheln.

Da kräht in nächster Nähe ein deutscher Haushahn mit all der ihm eigenthümlichen Energie. Die morgenländischen Phantasien zerfließen, wir fühlen uns wieder in deutscher Heimath, und nachdem der buckelnasigen Ziege und der Landsmännin des Grafen Borries, der hannöverschen Haideschnucke, einige Betrachtung gewidmet, wandern wir die ziemlich lange, aber höchst interessante Hühnervolière entlang. Das kräht, gurlt, lacht und trommelt, und welche Farbenpracht! Vom silberweißen Silberfasan mit schwarzen Wellenlinien, vom prächtigen scharlachroten Goldfasan bis zum bleigrauen Perlhuhn hat Mutter Natur ihre Farbentöpfe nicht geschont. Die Hühnervolière umfaßt in ihren 16 Abtheilungen die unterschiedlichsten Hühner-und Taubenarten, vom großgespreizten Brama-Putra bis zur bescheidenen Ringeltaube, wie sie vor dem Fenster der Pfarrerstochter von Taubenhain saß.

Der jetzt folgende Mufflonpark, die Ziegenwiese mit der Angoraziege in ihrem langen weißen Seidenhaar und der Zwergziege, der kleinsten Ziegenart, bieten mannigfache Unterhaltung.

Wir kommen zu dem Mähnenschaf, einer Perle des Gartens. Nur wenige Thiergärten Europa’s besitzen ein so auserlesenes Exemplar. Obschon Schaf, muß das Thier doch fühlen, daß es eine Rarität des Gartens. Stolz erhebt es das prächtige Gehörn und versteht durch die lang herabhangende Mähne des Halses und die natürlichen Kniemanschetten sich ein imponirendes Ansehen zu geben. Es folgen die Bezoarziegen und das Maskenschwein. An diesen im Unrath sich sielenden Schinkenfritzen hat die Natur unstreitig eine Studie liefen wollen, was sie auch auf dem Gebiete des Häßlichen vermag. Welche Stufenleiter von Thierformen liegt dazwischen, ehe die Natur der vierfüßigen Welt vom majestätischen Löwen, vom schöngeschenkelten Rosse, vom prächtigen Neufundländer und graziös gebauten Wachtelhündchen bis zu dem Maskenschweine gelangt, das seinen Namen daher führt, weit die aufgetriebene schwarze Haut des Gesichts durch starke Fleischrunzeln maskenähnlich verunstaltet ist! Die Wildschweine im Schwarzwildbau gleich daneben sind Schönheiten dagegen. Das Maskenschwein ist die Pastrana unter den Vierfüßlern, und darum ist seine Gönnerschaft eine sehr mäßige, bei dem schönen wie unschönen Geschlecht.

Es wird wieder afrikanisch. In geräumiger Umfassung wandelt der neuholländische Casuar und der Helmcasuar, stattliche, dem Straußengeschlecht angehörende Gesellen, während in einer besonderen Abtheilung die hohe Gestalt des afrikanischen Straußes selbst mit kleinem Kopfe auf langem Halse dumm in die Welt schaut. Diesem Herrn Struthiocamelus, dermalen Wittwer – er verlor im Frühjahr seine Gattin – sieht man es an, daß er das Pulver nicht erfunden, wenn es nicht von Jemand anderem wäre erfunden worden. Sein winzig Gehirn rechtfertigt vollkommen, daß er, um seinen Verfolgern zu entgehen, den Kopf in ein Loch steckt. Die federlosen nackten Schenkel, namentlich zur Mauserzeit, sind dem Bereiche der Aesthetik etwas fremd, mögen dem Strauße jedoch bei einem Wettlauf in der Wüste wohl zu statten kommen.

Wir lassen das 92 Ellen lange, sehr zweckmäßig und schön gebaute Winterhaus mit seiner lärmenden Vogelcolonie – ein wahres Hauptquartier Papageno’s – zur Rechten und stehen vor zwei Majestäten, dem Herrn Könige und Frau Königin der Thiere, die sich, da ihr Palast, der Löwenzwinger, noch nicht fertig, einstweilen mit einem bescheidenen und beengenden Absteigequartier begnügen müssen, worin sie einen Theil des Tages mit seltener Unermüdlichkeit auf und nieder laufen und sich zum Zeitvertreib anbrummen, ob aus Zärtlichkeit oder übler Laune wegen der beengenden Chambre garnie, ist schwer zu errathen. Herr Nobel zeigt sich übrigens ziemlich theilnahmlos für die Außenwelt; nur wenn von der Bärenburg her zuweilen die Stimme Brauns vernehmbar wird, erglüht das Auge des Königs vor Kampfbegier, und der energische Nacken richtet sich wild empor. Obschon die beiden Nubier noch im Flügelkleide – sie stehen im zarten Alter von drei Jahren, so daß beim Herrn Gemahl kaum der Flaum des Mähnenbartes zu sprossen beginnt –, möchte ich doch als friedsamer Wanderer auf das Vergnügen, den beiden Eheleuten, falls sie noch nicht soupirt haben, im einsamen Walde zu begegnen, verzichten.

Einige Schritte links vom Winterhause, gleichsam im Schmollwinkel des Gartens, gelangen wir abermals zu einem umgitterten Bassin, an dessen Ufer eine Rieseneidechse ausgestreckt liegt, still, unbeweglich, daß man glaubt, sie sei todt, da das Thier selbst trotz des Bombardements mit Semmelbrocken in seiner Starrheit verharrt. Es ist der Kaiman oder amerikanische Alligator, der sich blos durch eine besondere Ordnung der Zahnreihen und durch verschiedene Formen des Nackenschildes von dem Krokodile der alten Welt unterscheidet, aber außerdem alle Liebenswürdigkeiten desselben theilt. Dieser so regungslos daliegende Yankee weiß zwar nichts von den Geheimnissen des Nil, desto mehr aber von den fischreichen Fluthen des Mississippi, wo er mit seiner zahlreichen Genossenschaft ein furchtbares Heer bildet, dem nicht leicht ein schwimmendes Säugethier oder badender Mensch entgeht. Diese mumienstill daliegende unheimliche Gestalt hat es in der Mißliebigkeit seitens des verehrten Publicums noch viel weiter gebracht, als der unbehülfliche Seehund und das unrathliebende Maskenschwein. Die beiden letzteren thun der Menschheit wenigstens nichts zu Leide, von dem Alligator aber erzählt man schaudererregende Geschichten, wie er Thiere und Menschen unter’s Wasser gezogen und daselbst Arme und Beine abgefressen.

Erholen wir uns von dem unerquicklichen Anblick, indem wir an einer urgemüthlichen Kaninchencolonie und längst der geräumigen Hirschwiese, wo das braune Lama und der prächtige rothgelbe Axishirsch mit dreisprossigem Geweih weidet, den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_702.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)