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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

ist.“ – Ich starrte ihn ein paar Augenblicke an, als sei er oder ich wahnsinnig geworden, so wahnsinnig erschienen mir wenigstens diese Nachrichten. Und dann drehte ich mich ohne ein weiteres Wort ab, stürzte zurück zu meinem Gasthof, ließ anspannen und fuhr, so schnell es die Wege erlaubten, der Heimath zu. Jetzt war die Zeit zum Handeln für mich gekommen, und ich ballte die Faust – wehe ihnen!

Dennoch war es schon über Mitternacht, da ich zu Hause anlangte, und für den Augenblick nichts mehr zu thun. Am Morgen jedoch trat ich bereits um neun Uhr, wo Büren stets draußen zu sein pflegte, zu Schwester Hedwig in’s Zimmer und sprach: „Das und das habe ich gehört und nun will ich reinen Wein eingeschenkt haben. Thust Du es nicht, so zwinge ich Julius oder Livia selbst dazu. Was ist vorgefallen – damals und jetzt?“ – Sie machte Ausflüchte, sie weinte ein wenig, und endlich kam sie zum Sprechen.

Ich kann nicht viel davon reden, Vetter, es regt mich stets von Neuem wieder gar zu sehr auf und es würde uns auch allzu weit führen. Haltet fest, daß ich bei Mutter und Onkel Gerold nie beliebt war und der Letztere besonders mir jene Worte niemals vergab, die er meinetwegen vom Vater zu vernehmen hatte. Haltet fest, daß ich dagegen des Vaters und Hans Peter’s Liebling war, so weit die beiden phlegmatischen Brüder sich mit dergleichen Gefühlen abgaben. Diese wünschten meine Verbindung mit Livia, deren Vermögen ein sehr ansehnliches war und mich in Verbindung mit dem meinigen zum reichen Mann machen mußte. Die andere Partei gönnte mir das alles weniger als Julius, den sie ihrerseits bevorzugten; der Baron, der es sah, wie Livia’s Eltern an dem Plane hingen, erhielt dabei auch Gelegenheit, zugleich dem halb verachteten, halb gehaßten Hans Peter einen Schlag zu versetzen. So betrieb man denn die Sache, seit Livia’s Mutter todt und das Mädchen selber erwachsen war, immer ernstlicher. Man überschrie den Alten, man bestürmte und quälte das Kind, man reizte Julius auf alle mögliche Weise zu ernstlicher Bemühung um die ihm sonst ziemlich Gleichgültige, man brachte zuletzt meinen hartnäckig entgegenhaltenden Vater dadurch herum, daß Julius endlich in den von ihm gewünschten Gütertausch zu meinen Gunsten einwilligte. Mit einem Wort, man verhandelte das arme Geschöpf wie eine Sclavin.

Ihr Widerstand war verzweiflungsvoll, aber vergeblich gewesen. Wie sehr sie mich auch liebte – diese Liebe konnte kein Halt für sie bleiben, da ich fern war und sie nichts von mir und meinen Gefühlen wußte. Die Mutter nahm sie dann nach Hohensee hinüber, man stellte ihr Gott weiß was alles vor, daß ihr Vater selber die Ehe mit Julius wünsche, daß ich so gut wie verschollen, vielleicht verloren. Meines Bruders Bewerbungen wurden dringender, die Hetzereien und Quälereien gingen fort und nahmen zu, und endlich sagte sie ja, und ihr Vater brachte es gleichfalls zu der Antwort: „Nun denn, in’s Teufels Namen, meinetwegen! Wenn sie ihn will, was kann ich thun? Aber – ’s geht nicht gut.“

Als sie das Mädchen fest und verheirathet hatten, fingen sie an, am Kaufpreise, dem Gütertausch, zu rütteln und Julius einen Floh über den anderen in’s Ohr zu setzen. Dabei war man noch, als ich Weihnachten nach Hause kam und Livia, wie Hedwig meinte, durch die unvorsichtig ihr mitgetheilte Nachricht von meiner Ankunft – ich war durch Sollnitz gefahren und der Inspector hatte mich erkannt – in jene schwere Krankheit gestürzt wurde. Dann ging alles weiter, wie Ihr wißt oder doch Euch selber sagen könnt; Julius’ Eifersucht, durch der Mutter Bemerkungen und des Barons Hetzereien angefacht, kam hinzu und brachte ihn vollends um Ruhe und Ueberlegung, um Takt und Billigkeit. Das Leben in Sollnitz sollte das traurigste sein, zumal – es ist eine Schmach, dergleichen auch nur wieder zu erzählen! – zumal seit Livia die Aussicht hatte wieder Mutter zu werden. „Und wenn Julius eben so denkt, wie Onkel Gerold neulich einmal gegen Büren von sich hat fallen lassen,“ setzte Hedwig hinzu, indem sich ihre sonst so freundlichen Augen mit fast finsterem Forschen auf mich richteten, „daß – daß – ich kann das nicht aussprechen, Felix! Du wirst es ja auch wohl verstehen und mußt am besten wissen, was daran wahr – –“ – „Hedwig!“ unterbrach ich sie drohend. – „Ich sage ja nichts,“ sprach sie abwehrend. „Ich habe überhaupt nichts mehr zu sagen, als daß Julius neulich mit dem Vater einen heftigen Zank wegen all dieser traurigen Geschichten gehabt und gemeint haben soll: er komme eben überall zu kurz. Die Güter habe man ihm abgeschwatzt, ohne daß er gewußt, was er hingebe; seine Frau sei niemals die Seine gewesen und jetzt ihm vollends entzogen. – Ich vertrete dies aber nicht,“ schloß sie. „Es stammt von Onkel Gerold.“ --

Als ich mit diesen Nachrichten Mittags wieder zu Hause anlangte, fand ich Botschaft von meinem Onkel, ich solle so bald wie möglich nach Liebenhagen kommen. – Es ging nach der langen, stummen Pause jetzt eben Schlag auf Schlag, Vetter. Denn als ich am Nachmittag alle Anordnungen für meinen morgigen Ritt nach Hohensee und zum Baron Gerold getroffen hatte und dann nach Liebenhagen hinüber kam, fand ich den Alten vor ein paar theils leeren, theils vollen Flaschen in so zu sagen grimmig fröhlicher Laune, und er schrie mir entgegen: „Na, Junge, nun ist’s richtig. Sie ist da und will mit Dir reden.“ – „Wer ist da?“ fragte ich entsetzt. – „Dummer Kerl, wer denn anders als meine Kleine?“ erwiderte er im früheren Ton. „Mach’, daß Du zu ihr kommst, und bringt die Sache in Ordnung.“

Und im Garten trat mir Livia entgegen und sie sprach zu mir: „Felix, ich habe Deinen Bruder und mein Kind verlassen, denn ich wäre wahnsinnig geworden, wenn ich noch länger an seiner Seite hätte leben sollen. Ich habe Deines Bruders Liebe nie besessen und ihn nur selten freundlich gefunden; allein ich konnte mich darüber nicht beklagen, vermochte doch auch ich ihm nichts zu bieten als den ehrlichen Willen, eine pflichtgetreue Frau und Gattin zu sein. Das habe ich gehalten und würde es mein Lebenlang gehalten haben, wenn ich nicht, erst neuerdings, erfahren hätte, daß man mich meinem Vater abgelogen und dem Deinen abgehandelt, wenn ich nicht seit gestern in Deinem Bruder die Spuren eines Verdachtes wahrgenommen hätte, der mich und Dich beschimpft, der mich auf ewig von ihm trennt.“ – „Geduld, Geduld!“ murmelte ich, da sie inne hielt; „wir rechnen ab, und – der alte Gott lebt noch.“ –„Felix,“ sagte sie lebhaft und ergriff meine Hand, „Du versprichst mir bei Deiner Ehre, daß Du nichts gegen Deinen Bruder unternimmst, er ist nicht der Hauptschuldige, sondern ein blindes Werkzeug in fremden Händen. Doch genug von all’ diesem Schmutz,“ setzte sie finster hinzu. „Ich rede nicht darüber mit Dir. Ich habe keinen Menschen in der Welt, dem ich meine Angelegenheiten, meine und meines Kindes Zukunft und Ehre anvertrauen könnte, als den wackeren Magister und Dich – ja, als Dich, Felix, Dich, der mich liebt, “den ich lieb habe, den ich kenne als einen Mann von Ehre und Treue. Euch Beiden vertraue ich mich ruhig an, bei Euch Beiden weiß ich mich gesichert,“ fuhr sie fort und drückte mir fest die Hand, und so wehmüthig das Lächeln war, das über ihre bleichen Züge flog, so innig war es auch. „Und gerade weil wir fortan äußerlich auf’s Strengste und für immer geschieden sind –“ – „Livia!“ unterbrach ich sie entsetzt. – „Weißt Du es anders?“ fragte sie todesernst. „Darfst Du mich, darf ich Dich fortan auch nur dem leisesten Vorwurf aussetzen, gerade nach jenem schmachvollen Verdacht, der sich – hier und da zu regen scheint? Felix, ich bitte Dich!“ fuhr sie fort, und die Thränen stürzten aus ihren Augen und sie erhob flehend zu mir die gefalteten Hände; „laß mich Dir vertrauen dürfen bis an meinen Tod! Gebrauche nicht Deine Gewalt über mich! Ich weiß nicht, wie weit sie gehen würde, aber wenn ich an alte Zeiten, an alte Träume und Kämpfe denke, ist mir’s zuweilen, als würde Deinem Willen gegenüber der meine unterliegen.“

„Und da es so steht,“ sagte ich hart, „willst Du, daß ich feige, wie Du, über unser Glück, über unser ganzes Dasein, über uns selbst, Livia, die feilen Ränke der Schurken triumphiren lasse, daß wir uns einem Vorurtheil opfern, das ich, ebensogut wie jene, so tief verachte, wie ich’s nicht aussprechen kann? Fordere von mir, was Du willst, aber hierzu bringst selbst Du mich nicht, Livia. Ich kann und will nicht von Dir getrennt sein. Sie sollen es erkennen, daß das Kleinod heller als je leuchtet, dessen Glanz sie frech zu trüben gedacht! Sie sollen es sehen, daß ich Dir das Glück wiedergebe, um das sie Dich betrogen. Ich muß nachholen, Livia, ich muß nachholen, was ich früher verträumt und versäumt!“ – Sie stand vor mir mit gesenktem Haupt und gefalteten Händen, und erst nach einer Pause sah sie auf und mich an und murmelte flehend: „Schone mich, Felix!“ – „Hierin – nein, Livia!“ versetzte ich wie vorhin. „Der Mensch hat nicht nur ein Recht auf sein und der Seinen Glück, sondern auch Pflichten für und gegen dasselbe.“ – „Lasse uns hinein,“ sprach sie nach einem langen Schweigen. „Ich kann heut Abend nicht weiter. Morgen laß uns mit Mühl reden.“ – „Es sei wie Du willst,“ entgegnete ich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 756. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_756.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)