Seite:Die Gartenlaube (1862) 757.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

im Hineingehen. „Aber in diesem Falle wird auch Mühl mich entschlossen finden.“

So dachte und rechnete ich, dazu war ich entschlossen. Das Was? stand fest in meinem Sinne, um das Wie? kümmerte ich mich noch nicht; das mußte sich finden. – Und dennoch, Vetter, kam es Alles so ganz anders.

Livia zog sich in ihr Zimmer zurück; mit dem alten Onkel Wein zu trinken, spürte ich kein Verlangen, und so ritt ich heim, um am nächsten Morgen desto früher wieder da zu sein. Allein ich wurde aufgehalten, und als ich gegen neun Uhr in Liebenhagen anlangte, ließ Livia mich mit dem Bedeuten abweisen, sie habe mit dem Magister Mühl zu reden. – Ich setzte mich also mit dem Alten zum Frühstück und blieb dabei sitzen, bis Euer Vater kam und mich ihm in’s Pfarrhaus zu folgen bat.

Wilhelm Bauer’s Helmtaucher für die Arbeiten am „Ludwig“ im Bodensee.

Was wir da gesprochen haben, läßt sich in kurzen Worten sagen, obgleich es damals Stunde auf Stunde füllte. Livia hatte ihm nicht nur ihre Pläne, sondern auch unsere ganze Unterredung vom vorigen Abend bekannt. Daß sie vielleicht zu schwach sein werde, um meinem Drängen zu widerstehen, gestand sie zu, aber sie sprach auch die Ueberzeugung aus, daß wir miteinander niemals ein ruhiges, schönes und wahres Glück finden würden. Euer Vater schloß sich ihren Ansichten und Gründen nicht nur an, sondern verstärkte die letzteren noch durch Alles, was ihm Stand, Bildung und Erfahrung an die Hand gaben. Für mich war das Alles freilich noch verloren, und je mehr er redete und je weniger ich in Wahrheit einzuwenden wußte, desto finsterer erhob sich mein Trotz, desto zäher wurde mein Wille, desto grimmiger entschlossen ward ich, jetzt gleich, ohne Livia zu sehen, zu den Meinen hinüberzureiten und die Angelegenheit nach meinem Kopf zu ordnen. Dabei blieb es trotz seines sichtbaren Kummers, trotz seines endlichen Zürnens. Ich wollte zuletzt nichts mehr hören, sondern riß mich los und eilte hinaus. Da kam er mir dennoch nach, faßte fest meine Hand, sah mir ernst in’s Auge und sagte: „So gehen Sie denn hin, trotziger Mensch! Ich aber verzage noch nicht an Ihnen. Ich vertraue auf Ihre Ehre, Felix, und auf Ihre Liebe zu der Unglücklichen.“ – Ich ritt unbewegt fort.

Aber waren es diese letzten Worte, die Euer Vater zu mir in einem Tone sprach, der mich stets bis in’s Herz getroffen, oder war es die lange Einsamkeit während meines Ritts durch Flur und Wald, die Stille und der Friede um mich her, der ruhig schöne Tag mit seinem milden Blau, seinem milden Glanz, seiner milden Luft – es wurde nach und nach immer stiller in mir, ich wurde, so zu sagen, erst jetzt zugänglich für die Bitten derjenigen, die ich über Alles in der Welt liebte, und für die Mahnungen Eures wackeren Vaters. Und da ich in der Nähe des schwarzen Sees war, vermochte ich es nicht, jetzt zu Vater und Mutter zu treten mit den bösen Worten und wilden Plänen, die ich vorgehabt, sondern lenkte das Pferd ab, ließ es gehen und gelangte hierher, an diese Stelle und lag hier und grübelte und sann, zürnte und rang – mit mir selbst, Stunde auf Stunde. Und Euer Vater hatte Recht gehabt – die Ehre und die Liebe zu Livia gewannen’s. Ich sah es ein, wie Livia war und sein mußte, mochte das Glück an meinem Herzen sie berauschen und betäuben, den Frieden aber vermochte es ihr nie zu bringen oder zu erhalten. Ich entsagte. – Die Heimath blieb ihr, für mich nahm ich die Fremde, denn allerdings – zusammen konnten wir nicht bleiben, wenn einmal die Trennung unser Loos war. –

Von allen meinen Vorsätzen kamen nur zwei und auch diese nur theilweise zur Ausführung. Meinem Bruder hielt ich in dürren offnen Worten einen Spiegel vor, der ihn erbleichen und erbeben

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 757. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_757.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)