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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Herz zerschneiden wollte, daß er, unwillig auf sich selbst, sich auf die Seite warf und mit Vorstellungen seiner künftigen Wirksamkeit unter Cholera und gelbem Fieber seinen Gedanken einen neuen Weg wies. –

Es war am nächsten Morgen nach elf, als Behrend, nachdem er sorgfältig Toilette gemacht, sich zu dem einzigen Abschiedsbesuche, den er für nöthig fand, anschickte. Sein Koffer stand bereits neu gepackt und geschlossen. In den Frühstunden war er am Bord der „Lilly Dale“ gewesen, um sich über die genaue Abfahrtszeit zu unterrichten, hatte hier die neue Ladung beinahe schon völlig eingebracht gefunden, und der „Office-Clerk“ hatte es für möglich gehalten, daß das Boot bereits am Spät-Nachmittag seine Reise antrete, da es nur noch auf die geringe Vervollständigung seiner Fracht warte und sich nicht durch Einhalten einer bestimmten Abfahrtszeit nach den wenigen Passagieren, welche um diese Jahreszeit stromabwärts gingen, richten könne. Der junge Deutsche hatte also beschlossen, sobald er seine letzte Pflicht in der Stadt erfüllt, das Hotel zu verlassen und sich ohne Weiteres an Bord zu begeben.

Der Wohnungs-Anzeiger hatte ihn für seinen Besuch nach einer der fashionablen Straßen der Nordseite gewiesen, und nach kaum viertelstündigem Gange befand er sich einem bronzenen Gitter gegenüber, welches an seinem Eingange die angegebene Hausnummer zeigte und eine kleine geschmackvolle Gartenanlage, sowie das im Hintergründe befindliche villaähnliche Gebäude von der Straße abschloß. Ein Kiesweg führte ihn zwischen zwei riesigen Schattenbäumen nach dem von Säulen getragenen Portico, und nicht ohne ein leicht bedrückendes Gefühl der eigenen Unbedeutendheit diesen sichtlichen Zeichen des Reichthums gegenüber zog er die Klingel. Eine sauber gekleidete Negerin öffnete und wies ihn auf die Frage nach Miß Peters, seine Karte in Empfang nehmend, in den hohen Parlor, in welchem die zugezogenen schweren Damastgardinen ein wohlthuendes halbes Dämmerlicht geschaffen hatten. Eine eigenthümliche Spannung ließ den jungen Mann kaum einen Blick auf die reichen Umgebungen werfen; noch wußte er nicht, welchen Empfang er finden werde, und fast unwillkürlich waffnete er sich mit dem eigenen Stolze gegen Alles, was ihm die nächsten Minuten bringen konnten; er ward indessen ohne langes Harren seiner Ungewißheit entledigt. In der Vorhalle rauschten Frauengewänder, und die hohe, leichte Gestalt von Ellen Peters trat ein, wandte sich nach dem Fenster, um einen der Vorhänge zurückzuschlagen, und hob dann erst die Augen nach dem jetzt im vollen Lichte Stehenden. Es war ein wunderbar ernster, prüfender Blick, welcher den jungen Mann traf, und einen Augenblick fühlte sich dieser von der Erscheinung des Mädchens, welche, jetzt vom Hute und der frühern Umhüllung befreit, in der Fülle des dunkeln, glänzenden Haares und dem modernen, eng an die weichen Formen des seinen Oberkörpers sich anschließenden Jäckchen, eine völlig veränderte für ihn war, fast der errungenen Sicherheit beraubt; als sie aber mit einem leichten englischen: „Setzen Sie sich, Sir!“ nach dem nächsten Stuhle wies, ließ die kalte Ruhe ihres Tons ihn schnell seine Haltung wiedergewinnen.

„Ich komme nur, Miß Peters, um Ihnen ein Wort des Abschieds zu sagen, und Sie gestatten mir wohl, dies in unserer Muttersprache zu thun,“ begann er, ohne ihrer Einladung Folge zu leisten, „ich verlasse St. Louis noch heute, und so bleibt mir eben nur übrig, Ihnen meine Freude, Sie nach langer Zeit so glücklich wieder gesehen zu haben, auszudrücken.“

Sie hob wie in leichter Ueberraschung den Kopf. „Sie reisen wieder ab? Haben Sie meinen Vater schon gesprochen?“ fragte sie nach einer augenblicklichen Pause langsam.

„Ich habe nicht geglaubt, ihn noch einmal belästigen zu dürfen,“ erwiderte er ruhig, „ich kann mir lebhaft vorstellen, wie unbehaglich Besuche sind, in denen man nur den Ausdruck von unbequemen Wünschen oder Hoffnungen sieht, und schon als Colonel Webster sich so ungeschminkt über die hiesigen Aussichten für junge Kaufleute äußerte, that es mir leid, daß ich überhaupt gegen Mr. Peters von meinen Absichten gesprochen. – Aber,“ unterbrach er sich, während sie ernst und unverwandt das große Auge auf seinem Gesichte ruhen ließ, „bei Mr. Webster fällt mir ein, daß, wie ich höre, Sie zu diesem bald in das engste Verhältniß treten werden, und so darf ich wohl bei dieser Gelegenheit gleich meinen Glückwunsch zurücklassen, zu dem ich später doch kaum eine Gelegenheit finden würde!“

Sie antwortete nicht sogleich, und Behrend fühlte ihren Blick, trotz der Ruhe darin, auf sich haften, als wolle sie ihn bis in sein Innerstes senken; zugleich aber ward er sich bewußt, daß ihm bei aller angenommenen äußern Gleichgültigkeit die Worte doch nur durch eine stille Erregung und halbe Bitterkeit dictirt worden waren, die er fast außer seiner Controle fühlte.

„Setzen Sie sich einmal, Mr. Behrend,“ sagte sie plötzlich, während ein leiser Anflug von Farbe in ihr Gesicht trat, „mir ist es, als könnten Sie kaum von der geraden Wahrheit abgehen, und so sagen Sie mir ehrlich, was Sie von hier wegtreibt, ehe Sie mit meinem Vater gesprochen haben – ich weiß, daß er Sie erwartet hat!“ Sie nahm zugleich einen nahestehenden Fauteuil ein und deutete erwartend auf den nächsten Stuhl.

„Durchaus nichts Anderes, Miß, als die einfachen Thatsachen, die ich schon berührte,“ versetzte er, wie nothgedrungen ihrem Gebote folgend, „Mr. Peters hat mir, noch ehe ich irgend einen bestimmten Wunsch aussprach, auf das Unzweideutigste versichert, daß, wie sein eigenes Geschäft schon übervoll besetzt sei, es überhaupt in der Stadt keine Aussicht zu einem Engagement für mich gebe; von dem Letzteren habe ich mich bereits selbst überführt, und da ich es bitter hasse, irgend eine Rücksicht zu beanspruchen, die sich nicht von selbst gebietet, so habe ich es unterlassen, Mr. Peters noch einmal zu belästigen.“

Sie blickte ihn zwei Secunden auf’s Neue wortlos an, während sich jetzt indessen ihre Züge wie unter einem lächelnden Gedanken aufhellten. „Sie haben gestern eine Kindererinnerung in mir wach gerufen, an welche sich später von selbst andere geknüpft haben,“ sagte sie dann; „waren Sie nicht damals von einer so regen Empfindlichkeit, daß Sie einmal um irgend einer Ursache willen das schönste Kinderfest verließen?“

Es war ein seltsam gemischtes Gefühl, das sich in diesem Augenblicke des jungen Mannes bemächtigte; eine Empfindung von Glück, daß sie selbst die angeregten Erinnerungen weiter gesponnen, zitterte in ihm, während er dennoch auch den indirecten Vorwurf in ihren Worten erkannte und sich zugleich von der leichten Weise, mit welcher sie das Verfahren ihres Vaters gegen ihn zu behandeln schien, verletzt fühlte. „Ich habe immer nur gestrebt, mich vor unverdienten Demüthigungen zu bewahren, Miß, und was bei dem Kinde als Fehler erscheinen mag, bildet sich später oft zu einer für die Selbstachtung unerläßlichen Eigenschaft heraus,“ erwiderte er, ohne die verschiedenen Regungen in sich ganz verbergen zu können; „lassen Sie mich Ihnen aber herzlich für die Erwähnung jener Zeit danken, die mir seit gestern kaum wieder aus den Gedanken gewichen ist.“ Er erhob sich, als fürchte er, sich zu weit gehen zu lassen; das Mädchen aber, in deren Wangen bei seinen letzten Worten ein leises Roth gestiegen war, hob bei seiner Bewegung rasch den Kopf.

„Und Sie wollen meinen Vater vor Ihrer Abreise nicht noch einmal sprechen?“ fragte sie, langsam ihren Sitz verlassend.

„Gott, Miß, wenn ich nicht fürchten darf, ihm unbequem zu sein, so werde ich es ja gern als Pflicht betrachten, von ihm persönlich Abschied zu nehmen!“ erwiderte er, wie im leichten Kampfe mit sich selbst, und mit einem hellen Lächeln der Befriedigung reichte sie ihm jetzt die weiße, schmale Hand.

„So rechne ich darauf, Mr. Behrend,“ sagte sie, „und ich will wünschen, daß Sie es nicht für nöthig finden, so schnell schon St. Louis zu verlassen!“ –

Als er eine Minute darauf wieder die Straße betrat und den Weg nach dem Geschäftstheile der Stadt einschlug, schüttelte er leise den Kopf. „Für mich aber wird es recht gut sein, bald wegzukommen, um nicht zuletzt noch einer Hochzeit beiwohnen zu müssen, die mir das halbe Leben verbittern könnte!“ brummte er; nach einer Weile stillen Sinnens indessen reckte er kräftig die Schultern. „Weg damit!“ sagte er mit Energie in dem halbunterdrückten Tone, „Herzensnoth wäre es gerade, was mir zu meinem übrigen Elende noch gefehlt hätte!“

Eine Viertelstunde später stand er vor der ihm von Peters bezeichneten „Bank der Versicherungs-Compagnie“, deren glänzendes Schild er schon während seiner Gänge am Tage vorher bemerkt gehabt, hielt aber den Griff der hohen Thür einen Augenblick mit zusammengezogenen Brauen in seiner Hand, als überdenke er die zu sagenden Worte, ehe er öffnete. Ein weites helles Zimmer, dessen Länge ein breiter, eleganter Zahltisch durchschnitt und die Reihe der dahinter emsig an ihren Pulten arbeitenden Clerks von dem übrigen Raume abtrennte, nahm ihn auf und gab ihm schon beim ersten Ueberblick eine Idee von der Ausdehnung des Geschäfts.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 786. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_786.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)