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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 52.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Eine Speculation.

Erzählung aus dem amerikanischen Südwesten.
Von Otto Ruppius.
(Schluß.)

Wie lange dieses Arbeiten im Wasser gewährt, meinte der Deutsche endlich in keiner Weise mehr beurtheilen zu können; in dieser für das Auge undurchdringlichen Nebelmasse, welche fortdauernd über ihnen lag, schien ihm das Maß für die Zeit wie für die Schnelle ihrer Vorwärtsbewegung völlig verloren gegangen zu sein; er fühlte nur, daß er zu ermatten begann und daß er die bisherige Anstrengung kaum lange mehr werde ertragen können. „Sollten wir nicht bald am Ufer sein, Bob?“ fragte er wieder.

„Einen Augenblick ruhig, Sir! Hören Sie nichts?“ war die Antwort, deren Ton gleichfalls die eintretende Ermüdung andeutete. Behrend bemühte sich, den Kopf zu heben, und in sein gespanntes Ohr fielen plötzlich schrille Geigenklänge, zeitweise mit einem angestrengten, aber hörbar vom Nebel gedämpften „Ho ho!“ untermischt, das sich in seinem Tonfalle der wilden Melodie anschloß; der junge Mann vermochte sich die wunderliche Musik nicht zu erklären, aber er fühlte plötzlich seine Ermattung weichen – Land und Menschen mußten in unmittelbarer Nähe sein! „Es ist bei Gott der Dutch[1]-Henry, der vermuthlich den Brand bemerkt hat, und so sind wir doch auf dem falschen Wege gewesen,“ rief der Schwarze aufathmend, „thut aber jetzt nichts, wenn wir nur trockenen Boden unter die Füße bekommen!“

„Nicht das Ufer?“ frug Behrend mit einem unbestimmten Gefühle von Enttäuschung.

„Eine Insel, Sir, wir sind richtig mit der Strömung gegangen; aber es ist besser, als wenn wir im Sumpfe, in einem Rohrdickicht ohne Weg und Steg gelandet hätten. Nur vorwärts, jetzt weiß ich Bescheid!“

Nach kaum einer halben Minute neubelebten Ausstreichens der Schwimmenden wurden die Töne, die aus der Luft zu kommen schienen, in voller Deutlichkeit hörbar, und bald faßte Bob einen in das Wasser niederhängenden Zweig, während ein dunkler Schein in dem Nebel dicht emporgeschossenes Gebüsch andeutete. „Noch zehn Schritte weiter, so müssen wir an der Plattform sein!“ ließ sich Bob wieder hören – „so, jetzt vorsichtig, Sir, daß Sie sich nicht stoßen – so, jetzt gehen Sie vorweg, Sir, und helfen Sie der Lady hinauf!“

Behrend hatte abschüssigen Grund gefunden und sich zu einem schmalen Vorbau, welcher ein bequemes Landen ermöglichte, hinaufgearbeitet, während über ihm aus dem Nebel noch immer die schrille, seltsame Musik herabklang. Jetzt bog er sich nieder, um dem Mädchen, welches noch immer regungslos ihre Matratze umfaßt hielt, die nöthige Unterstützung zum Erreichen der Plattform zu geben; er hatte aber kaum, mit einem eindringlichen: „Ueberlassen Sie sich mir, Miß, und richten Sie sich auf!“ die Hände unter ihre Arme geschoben, als sie mit einer zuckenden krampfhaften Bewegung nur um so fester sich an ihren bisherigen Halt klammerte. „Miß Ellen, hören Sie mich nicht? wir sind am Lande!“ sprach Behrend noch eindringlicher, aber keine Antwort erfolgte, und eine plötzliche, peinliche Sorge über den Zustand des Mädchens schoß in der Seele des jungen Mannes auf. „Sie scheint nicht ganz bei sich zu sein, Bob, und wir werden versuchen müssen, sie mit der Matratze herauf zu schaffen,“ wandte er sich nach dem Schwarzen, welcher sich bequem in die über das Wasser ragenden Zweige des Gebüsches gehangen hatte; „könnt Ihr Halt genug bekommen, um zu helfen?“

„Wird kaum eine Mühe machen, Sir,“ war die Antwort, „ich werde heben, und dann fassen Sie nur richtig an!“ und mit der linken Hand einen festen Halt am Ufer ergreifend, brachte er die Schulter und den rechten Arm unter die Matratze. Behrend hatte, auf den Knieen liegend, von Neuem die Bewußtlose gefaßt, und mit einem lauten „lift up!“ des Negers hob sich das Lager auf die Plattform. Kaum hatte dieses aber, mit der unvermeidlichen Erschütterung, den festen Boden berührt, als das Mädchen auffuhr, ohne indessen ihren Halt zu lassen, und wild um sich blickte. „Helene, Helene!“ rief der junge Mann in einer Erregung, die ihn für einen Moment Gegenwart und Vergangenheit, Traum und Wahrheit wunderlich vermischen ließ, „wir haben ja nichts mehr zu fürchten, ich bin ja hier bei Ihnen!“ und kaum hatte ihr Auge sein Gesicht getroffen, als sich ein gepreßter unarticulirter Schrei ihrer Brust entriß, ihre Hände sich lösten und sie halb aufschnellend diese plötzlich mit einem: „Joseph, Joseph, halte mich!“ um seinen Hals warf. Dann aber schien mit einem Male alle Spannkraft aus ihrem Körper zu weichen, ihre Augen schlossen sich, ihr Kopf sank auf die Brust, und nur Behrend’s sie umschließende Arme hielten sie vom Niedergleiten zurück. – Von oben aus dem Nebel klang noch immer die tolle Musik herunter.

„Um Gotteswillen, Bob, ist denn hier irgend ein Unterkommen zur Hand?“ rief der junge Mann dem so eben auf’s Trockene springenden Neger zu, „es muß für die Lady hier gesorgt werden, sie ist bewußtlos!“

„Müssen nachsehen, Sir, ich weiß nur, daß hier der Dutch-Henry Holz schlägt und es an die vorbeifahrenden Dampfschiffe verkauft; dort vorn sitzt er jetzt mit der Fiedel auf seinem Vorrathshaufen, ich werde ihn aber geschwind heruntergeholt haben!“

  1. Vulgäre Bezeichnung für: deutsch
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 817. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_817.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)