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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Weimar nicht fehlte und es nicht an sich fehlen ließ, versteht sich. Seinen norddeutschen Feldzug (Hamburg, Lübeck etc.) begann er im Mai 1862. Dann folgte im Herbste der schlesische durch Breslau, Kattowitz (diese neue Wunderstadt der Industrie), Neiße, Glogau, Liegnitz, Waldenburg, Freiburg etc.

Am Abend des 30. März trat er in der Centralhalle zu Leipzig, umgeben von den Fahnen sämmtlicher Zollvereinsstaaten und einem dichtgedrängten Publicum, als erster Redner zur Feier des vor dreißig Jahren vollzogenen Beitritts zum Zollverein auf; einige Tage später mit demselben glänzenden Erfolge in Chemnitz. Die sächsischen Zeitungen berichteten darüber wie über einen Cäsar, der „kam, sprach, siegte“. „Das ist eine bedeutende Persönlichkeit“ heißt es in einem Privatberichte aus Leipzig. „Ich habe selten einen glänzenderen, kenntnißreicheren Redner gehört, als diesen Mann. Nur noch zwei, drei solche Kräfte, und die Bewegung ist da.“

Welche Bewegung? Spitzen nicht schon die Spitzel die Ohren? Brauchen sich keine Mühe zu geben. Die Bewegung für volkswirthschaftliche Bildung und den Zollverein und die praktische Einheit Deutschlands und aller Völker kann und soll Niemand mehr hindern. Dafür ist Faucher da und Schulze-Delitzsch und Max Wirth und sind die Früchte da, die sie gesäet und die jede fleißige, gebildete Hand wieder und weiter sät, um Früchte daraus zu zeitigen. Faucher wird hoffentlich seine Feldzüge fortsetzen. Die von ihm begründete „Vierteljahrschrift für Volkswirthschaft und Culturgeschichte“ ist allerdings nicht für’s Volk, aber sie soll und wird eine feste Burg der strengen, unerbittlichen Wissenschaft für die Männer von Fach sein.

Als Mitglied des preußischen Landtags (gewählt von Delitzsch) hat Faucher selten und wenig gesprochen. Dieser Constitutionalismus ist nicht sein Feld und Fach. Es wird ihm wahrscheinlich sehr gleichgültig sein, ob wir ’n Bischen mehr oder weniger von der Freiheit kriegen, die blos Geld kostet, das Andere für deren Unterdrückung mißbrauchen. Faucher muß seine Feldzüge fortsetzen. Auch wird er mehr thun. Sagte er doch neulich erst, er sei noch ein Anfänger.

H. Beta.



Das Ende des Polizei-Spions.
Ein Vehmgericht des neunzehnten Jahrhunderts.

„Alles schon dagewesen,“ sagte der weise Rabbi Ben Akiba, und so möchte man fast vermuthen, daß die heutige Junkerpartei, freilich unter veränderten Umständen, dieselben Ansprüche erhebt, wie vor der Katastrophe des Jahres 1806, als der Minister Haugwitz und der geheime Cabinetsrath Lombard die Geschicke des preußischen Staates leiteten. Wie diese Gardeofficiere ihre Säbel auf den öffentlichen Trottoirs wetzten, um die Franzosen damit in Stücke zu hauen, und wie sie bei Jena eine moralische Niederlage erlitten, welche viel schlimmer war, als die militärische, hat uns die Geschichte genugsam gezeigt; wie viele dieser Menschen aber späterhin den Bestrebungen eines Freiherrn von Stein, eines Schill und eines Dörnberg zur Einigung Deutschlands verräterisch entgegenarbeiteten, darüber ist wenig bekannt geworden, da man es in den höhern Kreisen aus leicht begreiflichen Gründen für zweckdienlich gefunden hat, das damalige Thun und Treiben der verirrten Söhne mit dem Mantel der christlichen Liebe zuzudecken. Es wird daher nicht uninteressant sein, wenn wir eine seltsame Begebenheit, welche sich am Hofe des Königs Jerôme am Ende des Jahres 1810 zu Kassel zutrug, mit kurzen Worten erzählen, da dieselben ein trübes Schlaglicht auf die damaligen Zustände wirft.

Ein gewisser Herr von B., dessen Stammgut keine tausend Meilen von der idyllischen Spree entfernt lag, hatte wie so viele Andere seines Schlages bei Jena Fersengeld gegeben und nach dem für Preußen so unglücklichen Friedensschluß zu Tilsit bei seinen Verwandten in der Mark sich als Krippenreiter herumgetrieben, weil es am preußischen Hofe Nichts mehr zu schmarotzen gab und er sich in Berlin seiner Schulden halber nicht mehr sehen lassen durfte. Da schrieb ihm nach längerer Zeit ein Verwandter aus Kassel, daß es sich am neuen Hofe des Königs Jerôme sehr gut leben lasse, wenn man nur seinen deutschen Charakter verleugne und die gehörige Portion Serviltät zur Schau trage. – Es war in der That eine traurige Zeit, als Leute, die auf ihren alten Adel pochten und sich stets für die sichersten Wächter der Fürstenthrone ausgegeben hatten, von nahe und ferne nach der Wilhelmshöhe eilten, um dem aufgedrungenen Usurpator ihre Huldigungen zu erweisen, während der bei weitem ehrenhafter gesinnte Mittelstand sich grollend in die engeren Familienkreise zurückzog. Die Sittenlosigkeit, welche am westphälischen Hofe herrschte, hielt die Junker nicht ab, ihre Frauen und Töchter mitzubringen, im Gegentheil glaubte man eine bessere Aussicht auf Carriere zu haben, wenn man bei den Liebeshändeln einer schönen Gemahlin oder coquetten Schwester zur rechten Zeit ein Auge zudrückte.

Herr von B. im Besitze einiger hundert Louisd’or fand sich bald auf dem glatten Parquetboden des Kasseler Hofes zurecht, nachdem er der lockenden Einladung seines Verwandten gefolgt war, und wußte sich in kurzer Zeit die Gunst einflußreicher Männer und Frauen zu erwerben, ja den König selbst wußte er für sich zu interessiren, indem er ihm eine reiche Auswahl von Anekdoten aus der Chronique scandaleuse des Berliner Hofes auftischte. General d’Albignac, der damals bei Jerôme in hohem Ansehen stand, bot ihm seine Fürsprache an, falls er wieder in die militärische Carriere treten wolle; allein v. B. hatte seit dem Tage von Jena allen Geschmack daran verloren; er hatte eingesehen, daß der Dienst im Felde himmelweit von dem Parademarsch verschieden sei, außerdem wußte er, daß der Kaiser Napoleon seinem Bruder auf das Bestimmteste vorgeschrieben hatte, bei dem Avancement in der Armee den Adel ja nicht zu bevorzugen, sondern nur auf die Tüchtigkeit zu sehen. Da ihm sein Stammbaum allein deshalb in dem Heere keine höhere Stellung verschaffen konnte, so beschloß unser Junker, denselben desto mehr im Hofleben zu verwerthen, und der Großkronjägermeister, Graf von Hardenberg, derselbe, welcher den hannöverschen Marstall so getreu verwaltet hatte, wußte ihm eine Charge zu verschaffen, die ihm einen reichlichen Gehalt bot und ihm nebenbei die Gelegenheit gab, seinem angeborenen Hange zum Intriguiren zu folgen. Graf Bercagny, der Generaldirector der Polizei und ein vorzüglicher Menschenkenner, hatte Herrn von B. längst beobachtet und glaubte aus gewissen Thatsachen, die ihm zu Ohren gekommen waren, mit Recht schließen zu können, daß dieser unter einer gewissen Dressur ein brauchbares Werkzeug für seine Zwecke werden könne.

Schon längst hatte der Vorstand der Sicherheitsbehörden sich nach einem passenden Agenten für die höheren Kreise umgesehen, denn er wußte wohl, daß es unter dem norddeutschen Adel nicht blos Junker gab, sondern auch Edelleute, welche die Erniedrigung ihres Vaterlandes mit Ingrimm ansahen und danach strebten, das verhaßte Joch abzuschütteln. Den Umtrieben dieser nachzuspüren, hielt Bercagny für seine höchste Aufgabe, und es gelang ihm ohne große Mühe, v. B. durch reiche Geschenke und Versprechungen für diesen Zweck zu engagiren. Unter dem Mittelstande und unter dem Volke, welche beide Stände der westphälischen Regierung ganz besonders abhold waren, wurde die geheime Polizei durch den räthselhaften Commerzienrath Gärtner und durch den berüchtigten Würz verwaltet, die wiederum, ohne daß Bercagny es wußte, mit Fouché und Savary in Verbindung standen. Außerdem gab es in Kassel im Ministerium des Innern noch ein gewisses Bureau, in dem regelmäßige Conduitenliste über Beamte und andere einflußreiche Leute geführt wurden, deren Domestiken sogar als Spione gegen die eigene Herrschaft benutzt werden konnten. Dieses unmoralischste aller Institute fand späterhin nach den sogenannten Befreiungskriegen bei den legitimen Regierungen ungemeinen Beifall, obgleich man sonst schnell genug bereit war, alles Gute, was die französischen Institutionen mit sich führten, gründlich zu beseitigen. Herr v. B., der diese Conduitenlisten fleißig mit füllen half, sollte bald genug zu seinem eigenen Entsetzen erfahren, daß diese unheimlichen Papiere zuweilen wie ein zweischneidiges Schwert wirken.

Das Jahr 1809 brachte eine bewegte Zeit mit sich. Dörnberg, Schill und Friedrich Wilhelm von Braunschweig zeigten, daß es unter der Aristokratie noch Männer gab, die für Deutschlands Ehre und Recht ihre Degen in die Wagschale warfen. Da bei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_270.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)