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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

er dadurch den Versuch gemacht, den Boden derselben und der mecklenburgischen Landeskirche auf das Tiefste zu erschüttern, und weil er auch politische Lehren der bedenklichsten Art mit seiner theologischen Ketzerei verbinde etc.“ Seine Besoldung (1200 Thaler) solle er jedoch so lange fortbeziehen, als er nicht „durch sein fernerweites Verhalten zur Einstellung dieser Zahlung veranlasse.“ – Worin bestand nun jene bedenkliche Politik Baumgarten’s? Wir werden nicht irren, wenn wir behaupten, daß sie schon darin bestand, daß Baumgarten es wagte: „die Studenten der Theologie, die allermeist nur knechtisch glaubten oder zu glauben vorgaben, was ihnen vorgesagt wurde, zu Freiheit, Selbstständigkeit, Muth und Freudigkeit anzufeuern.“ Natürlich hing einem solchen Manne die Jugend mit ganzem Herzen an, und das genügte, um mit dem Neid der frommen Collegen die Wurzel alles kommenden Uebels zu erzeugen. Es fragt sich sogar, ob jene Prüfungsaufgabe (sie forderte von dem betreffenden Candidaten die „Gewinnung einer Schriftlehre über die Berechtigung einer gewaltsamen Revolution“, ein Thema, das von der gesammten Prüfungscommission gebilligt war, weil „gerade jeder Theologe eine ganz bestimmte und entschiedene Stellung zu dem einmal in der Welt vorhandenen revolutionären Element gewinnen müsse“), oder ob bereits der Mann selbst so verdächtig war, denn ein ministerieller Verweis vom 23. Juni 1857 bringt wenigstens auffällig genug seine „jetzigen politischen Kundgebungen“ in Verbindung mit seiner „früheren Betheiligung an der schleswig-holsteinischen Revolution!“ – So nennt das großherzoglich mecklenburgische Ministerium im Jahre 1857 eine Volksbewegung, für welche im Jahre 1848 und 1849 die großherzoglich mecklenburgischen Truppen selbst in das meerumschlungene Land gezogen waren! –

Baumgarten remonstrirte gegen das ministerielle Einschreiten und bat um „kirchenordnungsmäßiges Verfahren“, und als auch dies ihm nur abschlägliche Antworten mit neuen Kränkungen eingetragen hatte, wandte er sich an die sechste Großmacht, die öffentliche Meinung, mit seiner Schrift: „Eine kirchliche Krisis in Mecklenburg“. Der Proceß, der wegen derselben über ihn verhängt wurde, endete erst im Juli 1859 mit einer Freisprechung von der Instanz.

Während nun von der gesammten mecklenburgischen Geistlichkeit 19 Pastoren in einem Vertrauensvotum dem Oberkirchenrath huldigten, sprachen der evangelische Kirchentag von Hamburg und die mecklenburgische Landesversammlung sich für Baumgarten aus. Vielleicht hätten auch von den Rostocker Geistlichen sich nicht wenige zu letzterer Meinung bekannt, wenn nicht der Oberkirchenrath noch zu rechter Zeit mit seinem mahnenden Donner dazwischen gefahren wäre. Von solchem oberpriesterlichen Zorngewitter ließen dagegen 600 Bürger der Rostocker Gemeinde sich nicht einschüchtern in ihrer offenen Erklärung für Baumgarten, und daß dafür eine Monstre-Untersuchung gegen sie angestrengt wurde, ist zwar nicht schön, aber wahr. Baumgarten verlangt schließlich kirchenordnungsmäßige Behandlung seiner Angelegenheit vor einer Synode. So schwebt die sehr traurige Sache noch immer, und die Lage des Mannes wird, trotz seines ehrenwerthen Kampfes, wegen des Kampfplatzes jeden Tag weniger beneidenswerth.

Daß die glaubensblinde Partei seiner Gegner und Verfolger durch ihr gehässiges, an die finstersten Zeiten des Religionsfanatismus erinnerndes Treiben sich selbst am meisten schadet, sieht sie freilich nicht ein, und es ist vielleicht Gottes Wille so, denn wen er verderben will, den schlägt er mit Blindheit. Der „kirchliche Sinn“ jedoch, dessen Mangel man so viel beklagt, wird durch solche lutherische Ketzerrichterei wahrlich am wenigsten gefördert.

In den letzten Wintern hat Professor Baumgarten Vorlesungen über verschiedene ethische und theologische Themata, namentlich am Mittwoch der Charwoche 1862 eine ganz ausgezeichnete über den Tod Jesu gehalten. Diese Vorlesungen waren ursprünglich nur für die geschlossene „Societät“ bestimmt, allein Hunderte von andern Zuhörern wußten sich durch Freunde und Bekannte Zutritt dazu zu verschaffen, und obgleich das Local, in welchem sie stattfanden, außerhalb der Stadt lag und das Winterwetter den Weg dorthin sehr mühevoll und schwierig machte, so war nichts destoweniger bei jeder einzelnen Vorlesung der Saal mit Zuhörern gänzlich angefüllt, ein Beweis, mit welcher ehrenden, ja rührenden Treue die Rostocker an dem Manne und seinem Worte festhalten.




Altbaiersches Volksthum.

1. Aberglaube im Bauernkalender.
Unschädlicher Aberglaube – Der alte Götterglaube – Der Bauernkalender – Was der Bauer in den vier Rauchnächten thut – Am Dreikönigstag – Das Wildfeuer und die Wassererneuerung – Die Verwendung des Salzsteines – Die zwölf Nächte – Wie Sanct Petrus mit dem Teufel getrunken und was daraus entstanden – Dreikönigskindel.

Wer es unternimmt, die aufgeklärten Leser einer aufgeklärten Zeitschrift heutzutage mit Dingen unterhalten zu wollen, welche die moderne Bildung als dunkles Ueberbleibsel dunkler Jahrhunderte zu verachten pflegt, dem steht es wohl an, einige Worte der Rechtfertigung und Erklärung voranzuschicken. Es ist wahr, wir befehden und verfolgen den Aberglauben, wo wir ihn finden: wie eine fleißige Hausfrau die Spinnweben, so tilgt die Neuzeit mit allen Besen der Schule, des Staates und der Kirche geschäftig jene phantastischen Vorstellungen, jene heimlichen Uebungen aus, welche, häufig ebenso unsittlich wie unwahr, aus einer kaum noch verständlichen Vergangenheit fremdartig in die Tage des Telegraphen und der Eisenbahn hereinragen. Und gewiß thun wir darin nicht unrecht, sondern recht, wenn wir den schädlichen Aberglauben austilgen!

Aber wie? ist denn nicht aller Aberglaube schädlich? Wenn er nicht die Sitten verdirbt, verfinstert er nicht den Verstand, und ist er nicht im besten Fall das werthlose Gespinnst müßiger Träumerei? Sachte, mein lieber Leser, auf daß Du nicht in Deinem Eifer mit dem Unrath des Aberglaubens auch das Gold uralter Volkssitte, die Perlen der Sage, die Edelsteine der Mythe, kurz den ganzen Schatz der Volkspoesie, der Culturpflege der Gensd’armerie ausantwortest.

Vor Allem ist nämlich zu bemerken, daß man in der Zeit bureaukratischer Vielregiererei und polizeilicher Volksbeglückung von oben, in welcher man jeden Versuch des Volkes, auf eigene Façon glücklich und lustig zu sein, mit nüchterner Bevormundung unterdrückte, viele Dinge als schädlichen Aberglauben bezeichnete und verfolgte, welche in der That sehr unschuldige und oft sehr schöne Aeußerungen volksthümlicher Naturanschauung und Naturfreude waren, wenn sich vielleicht auch abergläubische Vorstellungen damit verbanden. Es giebt also allerdings auch unschädliche Uebungen und Gebräuche dieser Art. In gar manchen abergläubischen Vorstellungen und Handlungen steckt das Herz und die Phantasie und ein großer Theil der Idealität des Volkslebens, ja die Blüthe seiner unbewußten Poesie. Endlich aber liegt im Aberglauben wie in der Sage des Volkes ein ehrwürdiger Hort der deutschen Urzeit vergraben, nichts Geringeres als der alte Götterglaube unserer heidnischen Väter, wie Jacob Grimm, der Großmeister deutscher Altertumsforschung, aus Ammensprüchen und Wetterregeln, aus Kinderspiel und Jägerlied so treffend nachgewiesen.

Als nämlich das Christenthum den widerstrebenden germanischen Stämmen mehr durch die Waffen der Franken, als durch die innere Macht der Ueberzeugung aufgezwungen ward, konnte es selbstverständlich nicht gelingen, den alten Glauben, welcher tief in dem Gemüth des Volkes wurzelte und alle Erscheinungen seines Lebens in Krieg und Friede, in Recht und Sitte und Kunst, in Ackerbau, Jagd und Viehzucht, in jeder Lust und jedem Leid des Familienlebens durchdrungen hatte, auf einmal durch neue Vorstellungen zu ersetzen. Vielmehr waren die Missionäre darauf angewiesen und darauf bedacht, soviel wie möglich von dem liebgewordenen Herkommen der Heiden zu schonen und zu erhalten, indem sie nur christliche Formen, kirchliche Namen mit den alten Gebräuchen verbanden. Bezeichnend für diese Methode, die in unzähligen Fällen angewendet wurde, ist, daß man die heidnischen Altäre, Opferstätten, heiligen Bäume etc. keineswegs zerstörte, sondern in christliche Kirchen und Capellen umwandelte auf daß die Deutschen, nach wie vor von der Gewohnheit an diese Stätten gezogen, nunmehr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_297.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)