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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Noch bleibt uns in unserm heutigen allgemeinen Ueberblick über die theils sich anbahnenden, theils bereits in Anwendung gebrachten neuen Londoner Verkehrsmittel übrig, eines von jenen dreiundzwanzig Plänen zu gedenken, desjenigen, auf den sich unsere Abbildung bezieht. Wir erwähnen desselben zuletzt, nicht weil wir ihm die mindeste Wichtigkeit beimessen, sondern weil er auf absolute Neuigkeit keinen Anspruch machen kann und, nach stichhaltigem Versuche im kleinen Maßstabe, jetzt lediglich um eine Ausbreitung in’s Größere und Große bittet.

Die Leser der Gartenlaube haben von der sogenannten pneumatischen Brief- und Paquetbeförderung schon gehört, als man in London vor einigen Jahren zuerst auf die Idee kam, durch den Luftdruck Frachtstücke und selbst Passagiere zu befördern und Versuche im Kleinen damit anstellte; nur wenigen aber wird es, wie dem Zeichner unsers Bildes, vergönnt gewesen sein, dem Abgange des pneumatischen Depeschenzuges auf der derzeitigen Hauptstation desselben, dem Bahnhofe von Euston-Road, jenem großen Ausgangspunkte Londons nach dem englischen Nordwesten, nach Manchester und Liverpool, beizuwohnen. Wir dürfen daher unsere Illustration wohl noch mit einigen erläuternden Worten begleiten.

Der Gedanke, den Luftdruck als Beförderungsmittel und Locomotor zu gebrauchen, ist kein neuer. Er stammt bereits aus dem siebenzehnten Jahrhundert, wo Papin, von dessen luftdicht verschlossenem Topfe wir Alle in der Schule gelernt haben, auf den Grundsatz zuerst aufmerksam machte. Sowohl er aber, wie seine Nachfolger, gingen blos von der Idee aus, comprimirte Luft von hinten auf die zu bewegenden Gegenstände wirken zu lassen, dieselben also, wie eine Kugel aus dem Rohre, zu blasen. Erst Medhurst war es, der, vor ungefähr fünfzig Jahren, den Grundsatz aufstellte, die zu befördernden Dinge nicht durch verdichtete Luft fortzublasen, sondern durch ausgepumpte heranzuziehen, ganz ähnlich, wie das Wasser mittels eines Strohhalmes oder einer Glasröhre unsern Lippen zugeführt wird. Eine Ausführung in größerem Maßstabe fand diese Idee, die unserer pneumatischen Depeschenbeförderung zu Grunde liegt, zunächst in der sogenannten atmosphärischen Eisenbahn, die im Jahre 1840 von Clegg und Samuda auf dem West-Londoner Schienenwege versuchsweise in’s Werk gerichtet wurde. Indeß bewährte sich der Gedanke in der Praxis nicht, so daß man den Versuch bald fallen ließ und, wenn wir recht unterrichtet sind, das Princip nur noch auf einer Eisenbahn Irlands anwendet. Dagegen hat man den Grundsatz wieder aufgenommen, um ihn als Postboten zu verwerthen, für jetzt zwar nur zwischen einigen Bahnhofsstationen Londons, doch unterliegt es keinem Zweifel, daß die Pneumatische Beförderungsgesellschaft, the Pneumatic Despatch Company, – eine Privatactienunternehmung, die jetzt das Parlament um Concession zu weiterer Ausdehnung ihrer Thätigkeit ersucht, – in kurzer Zeit ihre Stationen und Linien durch ganz London errichtet und eine totale Revolution der gesammten Postbestellung verursacht haben wird.

Sehen wir uns jetzt unser Bild etwas näher an. Wir befinden uns, wie erwähnt, auf dem Bahnhofe von Euston-Road. Derselbe liegt auf jenem großen Verkehrswege, der am Nordsaume des eigentlichen Londons die Verbindung zwischen dem Westen und dem Osten der Stadt herstellt. Als End- und Anfangsstation der Hauptlinie von und nach Lancaster und Liverpool, gehört er zu den frequentesten Londons, und die Anzahl der von ihm abgehenden und auf ihm ankommenden Poststücke aller Art übersteigt unsere deutschen Vorstellungen.

Es ist eben Abgangszeit. Der eiserne Wagen, der einer Wiege nicht unähnlich ist, wird mit den Briefbeuteln gefüllt, die vor wenigen Augenblicken aus dem Norden und Nordwesten des Reichs angelangt sind. Sobald dies geschehen, zeigt es der dicht daneben befindliche Telegraph der nächsten Station an. Der Wagen gleitet in die Röhre, in die man mittels einer Dampfmaschine die Luft einbläst, die Klappe schließt sich, und fort saust der Wagen mit einer Geschwindigkeit, welche in einer halben Minute die Entfernung von etwa einer Viertelstunde zurücklegt. Die nächste Station ist das Zweigpostamt von Eversholt-Street, etwa 1800 Fuß vom Euston-Bahnhofe entfernt. – Der Haupttheil des nothwendigen Apparates stellt sich in Form eines großen flachen Gehäuses mit rundem Obertheile dar, das, vier Fuß über dem Boden, von einer auf gußeisernem Gestelle laufenden schmiedeeisernen Welle durchzogen ist und „Auswerfer“ – pneumatic ejector – heißt. Er hat die Bestimmung, die Luft in Bewegung zu setzen, um auf der Euston-Station die Wagen durch Einblasen und zurück durch Aussaugen von Luft zu befördern. Hinter diesem großen Gehäuse – rechts auf unserer Abbildung – mit seinem Ventilator von mehr als zwanzig Fuß Durchmesser, ist eine Hochdruckdampfmaschine von zehn Pferdekräften aufgestellt. Sie ist es, welche mittelbar die Function des Lufteinblasens und Luftaussaugens zu versehen hat. Elektrische Telegraphen besorgen, wie wir schon erfuhren, zwar die Correspondenz zwischen den beiden Endstationen; man kennt aber ohnedem die Ankunft an beiden Stationen so auf die Minute genau, daß die Klappe, welche die Röhre schließt, immer rechtzeitig vorher geöffnet und mit der wieder einströmenden Luft jedweder ungestüme Anprall des ansausenden Zugs vermieden wird. Ueberdies sind die einzelnen Wagen, welche den Briefzug bilden, mit Gummipuffern versehen, so daß auch hierdurch der Stoß sich abschwächt.

Für jetzt werden täglich etwa zwanzig Briefwagenzüge auf der erwähnten Strecke hin- und herbefördert. Selbstverständlich erschöpft dies noch nicht die Leistungsfähigkeit des Apparates, so daß augenblicklich der Dampfverbrauch verhältnißmäßig noch ein viel zu großer ist. Trotzdem aber stellt sich der tägliche Consum von Brennmaterial immer nicht viel höher als sechs Schillinge oder etwa zwei Thaler, und mithin würden sich die Kosten für eine Doppelfahrt auf nicht mehr als ungefähr 5 Pence oder nicht ganz 4 Sgr. berechnen. Zieht man vollends die Zeitersparniß dieser Postbeförderung in Betracht und bedenkt, daß in London das englische Dictum „Zeit ist Geld“ mehr als irgendanderswo seine Berechtigung hat, so scheint uns kaum noch zweifelhaft, daß die Luftpost, die ihre jetzige Vervollkommnung hauptsächlich dem Ingenieur Rammel verdankt, in nicht zu ferner Zukunft nicht blos durch London, sondern durch alle größeren Städte Großbritanniens und des Festlands zu jenen dauernden Errungenschaften zählen wird, die unabhängig sind von den jeweiligen politischen Windströmungen.




Auf der Rhede von Cuxhaven.
Eine Erinnerung an die deutsche Flotte.


Es war am 4. Juni 1849, als nach dem Seegefecht bei Helgoland die deutschen Dampfer Friedrich I. Barbarossa, Hamburg und Lübeck, verfolgt von einem weit überlegenen dänischen Geschwader, gegen Abend der Elbe zusteuerten. Der Weg nach der Weser, von wo sie am Morgen ausgelaufen und wohin sie hätten zurückkehren sollen, war ihnen abgeschnitten. Obgleich fast uns Allen an Bord das Gefecht zu früh beendet schien und wir trotz der widrigen Umstände, welche eingetreten waren, gern dem Feinde noch näher auf den Leib gerückt wären, so machte unserem nur auf Unkenntnis und Tollkühnheit begründeten Unmuthe doch bald wieder die heiterste Laune Platz; es war ja das erste Gefecht, welches die junge Flotte bestanden, und Jeder an Bord, vom Capitain bis zum Schiffsjungen, hoffte mit Zuversicht, es werde nicht das letzte sein.

Ich war noch eine vollständige Landratte, denn erst am 3. Juni, also am Tage vor dem obenerwähnten Gefechte, hatte ich das erste Mal das Deck eines Seeschiffes betreten. Ich war Seejunker an Bord der Dampfcorvette Lübeck. Obgleich der zuletzt an Bord gekommene Seejunker, hatte ich doch von den Uebrigen meines Ranges wenig zu leiden, da die Meisten derselben gleich mir noch nicht auf See gewesen waren und ich auch zu den Aelteren und Stärkeren gehörte. Zum Lachen gaben wir Landratten aber Alle – hierzu gehörten auch der Doctor und der Zahlmeister – oft genug Veranlassung, am meisten natürlich diejenigen von uns, welche, nicht in der Nähe der See geboren, ganz vor Kurzem dieselbe zuerst gesehen und kennen gelernt hatten.

So war es am Morgen nach dem Gefechte bei Helgoland, daß unser Doctor, ein Rheinländer, der sich übrigens schon länger als einen Monat an Bord befand und bereits etwas auf seine maritimen Erfahrungen einbildete, seine Unkenntniß in See- und Schiffssachen bitter zu büßen hatte. Als er nämlich auf Deck kam, war er sehr erstaunt, Cuxhaven nicht mehr auf derselben Seite der Elbe zu erblicken, auf welcher es seiner Ansicht nach am Abend

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_201.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2021)