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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

bezeigt ward, drückte sich bei Tische auch darin aus, daß Niemand von selbst zu einem neuen Gegenstände des Gespräches die Veranlassung gab. Garibaldi leitete vielmehr die Unterhaltung durch eine Frage oder Bemerkung ein, und erst dann betheiligten sich die übrigen Tafelgenossen an dem von ihm angeregten Gegenstande.

Er gab, wenn ich mich so ausdrücken darf, die Disposition zu dem Tischgespräche. Dies machte übrigens nicht den Eindruck des Künstlichen und Steifen, es hatte auch nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit der an den Höfen obwaltenden Etiquette. Der Vorrang, den man dem General ließ, war das Ergebniß einer heiligen Ehrerbietung, welche man für die Größe des Mannes im Herzen trug. Auch Garibaldi selbst war keineswegs steif in seinem Wesen oder in seiner Unterhaltung, im Gegentheil sprach sich darin eine Natürlichkeit und Ungezwungenheit aus, welche Aller Herzen gewann. Er knüpfte manches ernste Gespräch an, unterbrach es aber oft durch allerhand scherzhafte und humoristische Bemerkungen.

Das Essen war auf das Einfachste bestellt. Den Anfang machte eine Suppe mit verschiedenen Gemüsen darin, welche man, wenn ich nicht irre, in Italien zuppa romana nennt. Dann kam ein Gemisch von mehreren Arten gebratener Seefische, ohne jede weitere Zuthat. Der Diener mußte mir davon, auf Befehl des Generals, eine zweite Portion auffüllen. Hierauf ward ein mächtiger Käse aufgetragen, zu welchem ich von Garibaldi mit dem Bemerken genöthigt ward, daß er in Caprera fabricirt sei. Der Wein war auf Maddalena gewachsen. Nachdem die Tafel schon beendigt schien, trat der Diener noch mit einer großen Schüssel gekochter Quittenäpfel ein, präsentirte sie dem General und sagte zu demselben mit frohlockender Miene: „Hier sind einige Aepfel für den General.“ Garibaldi war über diesen unerwarteten Luxus ganz überrascht und erfreut und erwiderte: „Ah, bravo, wie gefallen mir diese Aepfel!“ Mit triumphirendem Blick reichte er dann die Aepfel weiter. Diese Einfachheit der Lebensweise machte einen tiefen Eindruck auf mich.

Wenn ich den Vorhang ein wenig lüfte, der die Häuslichkeit Garibaldi’s umgiebt, so geschieht es nicht, um die Neugierde der Leser zu befriedigen, sondern um auch in Deutschland die Kunde von der erhabenen Uneigennützigkeit dieses Mannes zu verbreiten. Er, der Alles für sein Vaterland eingesetzt hat und über Millionen hätte gebieten können, ist arm und lebt so einfach wie ein Arbeiter. Vergleichen wir damit den Luxus, welchen sein Feind an der Seine auf Kosten des französischen Volkes entfaltet. Wie schneidend contrastirt diese cäsarische Pracht Napoleon’s mit der republikanischen Einfachheit Garibaldi’s! Der große Haufe mag sich durch jene imponiren lassen; aber diese erfüllt den wahren Patrioten mit unaussprechlicher Ehrfurcht. Kein Wunder, wenn der Vertreter des modernen Cäsarenthums in Paris vor der antiken Uneigennützigkeit und Unbestechlichkeit des Helden auf Caprera erzittert!

Der General erkundigte sich auch nach dem Ausfall der am Morgen auf Caprera veranstalteten Jagd. Einer der Tischgenossen erzählte ihm, daß die Jagdgesellschaft zwei kleine Vögel geschossen hätte. „Ei, so viele?“ erwiderte er herzlich lachend.

Er fragte mich, wie viele Fürsten wir denn eigentlich in Deutschland hätten. „Ich glaube 31,“ antwortete ich, wobei ich in Anschlag brachte, daß Bernburg kürzlich zu existiren aufgehört hatte. Eine allgemeine Sensation entstand in der Gesellschaft. Ebenso erkundigte er sich, wie man in Deutschland über die polnische Frage dächte. Ich antwortete, daß die Meinungen darüber sehr getheilt wären und daß eine Lösung wegen der polnisch-preußischen Provinzen für uns sehr schwierig sei, daß aber die von den Russen verübten Barbareien den Polen in Deutschland allgemeine Sympathien erworben hätten.

Der General forschte auch speciell nach den Zuständen in Preußen und was man in Bezug auf den Ausfall der Wahlen für Hoffnungen hätte. Ich erwiderte, daß es wohl nicht zu bezweifeln stände, daß die früheren Elemente zum größten Theil wieder gewählt und durch einzelne radicale Abgeordnete noch verstärkt würden. Darauf erörterte ich die Bedeutung des gegenwärtigen Kampfes in Preußen. Es sei der letzte Kampf des Bürgerthums und der feudalen Aristokratie, die in dem Ministerium Bismarck gipfelte. Diese kämpfe um ihre Existenz als solche. Die Junker hätten die meisten Officier- und hohen Beamtenstellen in Händen. Der vierte Theil des Adels bezöge allein aus dem Militairetat eine Summe von jährlich mehr als acht Millionen Thaler. Würde dem Adel diese Einnahme fehlen und er nicht mehr im fast ausschließlichen Besitz der Officierstellen sein, so würde er nicht allein den wesentlichsten Theil seiner Macht verlieren, sondern er müßte auch, um existiren zu können, in’s bürgerliche Leben eintreten. Das Junkerthum in Preußen kämpfe für seine Privilegien, wie die Pflanzer des amerikanischen Südens für die Aufrechterhaltung der Sklaverei. Es wisse sehr wohl, daß, wenn es unterliege, seine Macht für immer gebrochen sei. Daraus erkläre sich die Hartnäckigkeit, mit welcher die Junkerpartei dem ganzen Volke Widerstand leiste. Demnächst sprach ich meine Ansicht aus, daß zwischen der nobilità italiana, und der aristocrazia prussiana ein großer Unterschied existire. Diese sondere sich vom Volke und von dem bürgerlichen Leben ab und bekämpfe die Einheit und Freiheit der deutschen Nation aus Rücksicht auf ihre Privilegien. Jene aber habe mit dem Volke für die Einheit Italiens gekämpft, stehe mit im bürgerlichen Leben und pflege Wissenschaften und Künste. Garibaldi wollte dies nicht zugeben, namentlich bestritt er, daß der italienische Adel den Wissenschaften obliege; es seien nur einzelne Ausnahmen da, wie z. B. Pallavicino Trivulzio. Als ich ihm indeß entgegnete, daß der italienische Adel doch die feudalen Vorrechte nicht mehr habe, wie der Adel im Norden Deutschlands, gab er dies mit der Bemerkung zu, daß allerdings die feudale canaglia in Italien schon lange vernichtet sei. Aber die moderirte Partei, welche alle Stellen für sich besitze und alle andern ausschließen wolle, wäre jetzt an die Stelle der aristocrazia feodale getreten.

Die Zahl der Bevölkerung auf Caprera gab mir der General auf 56 Personen an, worunter 34 Arbeiter. Menotti corrigirte und sagte, daß augenblicklich die Zahl 60 betrüge, wozu Ersterer die scherzhafte Bemerkung machte: „Ich hätte nicht geglaubt, daß die Bevölkerung in so kurzer Zeit so bedeutend gestiegen wäre.“

Beim Aufstehen von der Tafel wandte sich Garibaldi an mich und sagte: „Schließlich übergebe ich Sie meinem Doctor, der mit Ihnen über unsere politischen Angelegenheiten sprechen wird. Ich will auf mein Zimmer gehen und bitte Sie später noch einmal zu mir zu kommen.“ Der General entfernte sich darauf, und ich machte mit dem Doctor Guerzoni einen längeren Spaziergang, wobei mir mein Begleiter sehr interessante Aufschlüsse über die politischen Parteien in Italien und die gegenwärtige politische Situation gab. Nachher ließ ich mich bei dem General melden, um Abschied von ihm zu nehmen. Ich ward in sein Wohnzimmer geführt, das zugleich Arbeits- und Schlafzimmer und auf das Einfachste möblirt ist. Ich wollte nur einen Augenblick verweilen, um den General, dessen Zeit durch die Ankunft der Post, welche ihm eine Menge Briefe und Zeitungen gebracht hatte, sehr in Anspruch genommen war, nicht länger zu stören. Aber ich mußte mich setzen, eine Cigarre bei ihm rauchen und ihm eine Menge von Fragen beantworten, die er für mich noch in Bereitschaft hatte. Bei dieser Zusammenkunft war nur noch Guerzoni gegenwärtig. Eine Einladung Garibaldi’s, am andern Tage wiederzukommen, schlug ich seinetwegen aus: lange genug schon hatte ich seine Gastfreundschaft genossen. Wir schieden auf das Herzlichste von einander. Aus meinem tiefsten Innern that ich ihm die Sympathien kund, die ich für ihn hegte, und sagte ihm, daß diese lang ersehnte persönliche Bekanntschaft mir stets unvergeßlich sein werde. Auf meinem Gesichte mochte er es wohl lesen, daß ich keine leeren Worte machte. Er drückte mir warm die Hand und sprach die Hoffnung aus, daß wir uns nicht zum letzten Male gesehen hätten.

Guerzoni und Basso begleiteten mich noch eine Strecke, worauf ich mich auch von diesen verabschiedete und mit Magherini nach Maddalena zurückfuhr, wo wir spät am Nachmittage wieder anlangten. Ich machte noch einen längern einsamen Spaziergang an den klippenreichen Ufern von Maddalena und sah dort noch den röthlichen Schein der untergehenden Sonne. Der Eindruck, den die Persönlichkeit Garibaldi’s auf mich gemacht hatte, war ein gewaltiger gewesen, und ich verstand es jetzt, wenn Moritz Hartmann in einem in den Walesrode’schen Studien und Kritiken veröffentlichten Aufsatze über Italien von dem unwiderstehlichen Zauber spricht, den jener Mann auf Alles ausübt, was in seine Nähe kommt. Aber wodurch übt er diese Anziehungskraft? Ich glaube, die Natürlichkeit, Einfachheit, Biederkeit und Geradheit, welche aus seinem ganzen Wesen, aus jedem Zuge seines Gesichts hervorleuchten, die Liebe zu seinen Mitmenschen, die in ihm gleichsam verkörpert ist und in seinen klaren, liebreichen Augen sich abspiegelt, die durchaus wahre Natur dieses Helden, dies Alles macht ihn so unwiderstehlich.

Den größten Theil des andern Tages war ich mit einer Arbeit

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