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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Die Ehre der ersten praktischen Anwendung des elektromagnetischen Telegraphen sollte, trotz des Mißgeschicks des Erfinders des elektrischen, Deutschland dennoch zu Theil werden. Im Jahre 1833 construirten die Professoren Gauß (der, wie oben bemerkt, achtzehn Jahre früher Soemmerring’s Apparat in München kennen gelernt hatte) und Weber in Göttingen einen sogen. Nadel-Telegraphen, welcher mit einer doppelten Drahtleitung das physikalische Cabinet der Universität mit dem außerhalb der Stadt gelegenen Observatorium in Verbindung setzte. Und vier Jahre später mußte wunderbarer Weise in München, der Heimstätte der Erfindung, Professor Steinheil von Göttingen aus angeregt werden, die Sternwarte in demselben Bogenhausen, wo die erste Anregung zu dieser Erfindung durch Montgelas gegeben worden, mit dem nämlichen Münchener Akademie-Gebäude, in welchem Soemmerring die ersten Versuche mit seinem Apparate öffentlich angestellt hatte, durch elektrische Telegraphendrähte bleibend zu verbinden.

Vierzehn Tage später, am 25. Juli 1837, feierte England das Fest der Einführung des ersten elektro-magnetischen Telegraphen durch den Probeversuch am Londoner Terminus der Nord-Westbahn mit einem Drahte von 11/4 englischen Meilen Länge.

Es gehört zur Aufgabe dieses Artikels, den Weg nachzuweisen, auf welchem die deutsche Erfindung nach England kam, denn es war dies nicht der gerade der directen Mittheilung Soemmerring’s an Humphry Davy, sondern ein sehr krummer.

Oben ist es gesagt, daß Baron v. Schilling Soemmerring’s Telegraphen nach Petersburg gebracht, und daß er 1820 den ersten Versuch der Benutzung des Elektromagnetismus für die Telegraphie gemacht hat. Mit einem solchen, und zwar dem ersten, elektromagnetischen Apparat kam v. Schilling 1835 zur Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte nach Bonn. Hier zog derselbe besonders die Aufmerksamkeit des Prof. Munke von Heidelberg auf sich. Als Schilling mit seinem Apparat von Bonn nach Frankfurt ging und ihn in dem damals noch jungen physikalischen Verein bei Valentin Albert zeigte, kam auch Munke herbei und ließ den Apparat bei Albert nachmachen, um ihn für seine Vorlesungen in Heidelberg zu benutzen. In Heidelberg hielt sich damals ein Engländer, William Fothergill Cooke, auf, um im anatomischen Institut Wachspräparate für die neue Universität in Durham anzufertigen, und diesem erklärte Munke am 6. März 1835 den von Frankfurt mitgebrachten Telegraphen. Der Blick des Engländers sprang sofort kühn über die Beschränktheit des wissenschaftlichen Experimentirens mit der großen Erfindung hinweg; er gab seine ganze bisherige Beschäftigung auf, eilte mit seinem Funde nach England, wo er schon am 22. April ankam, und verfolgte fortan unablässig seinen Plan: elektromagnetische Telegraphen bei den Eisenbahnen in England einzuführen. Aber erst im Jahre 1837 kam er zum Ziel, und zwar nur durch seine Verbindung mit dem Professor der Physik am Kings-Collegium zu London, Wheatstone, mit dem er am 12. Juni ein Patent auf die Erfindung nahm und, wie bereits bemerkt, am 25. Juli die ersten Telegramme Englands durch den Draht sandte.

Die Entdeckung dieses Weges der deutschen Erfindung über Rußland, Bonn, Frankfurt und Heidelberg nach England und auch nach Amerika verdanken wir dem russischen Staatsrath Dr. v. Hamel, der, wie Schilling, ein Deutsch-Russe und für alle neuen Entdeckungen und Erfindungen lebhaft interessirt, es sich große Reisen in Europa und Amerika kosten ließ, um der Geschichte der Telegraphie auf die wahre Spur zu kommen. Ihm selbst gestand nämlich der Amerikaner Morse, welcher offenbar den Telegraphen auf seinen wiederholten Reisen in Europa kennen gelernt hatte, daß er die ersten Versuche mit einem noch sehr unvollkommenen Schreib-Telegraphen erst am 4. September 1837 gemacht habe – also 28 Jahre nach Soemmerring’s Erfindung und 17 Jahre nach Schilling’s erster Verbesserung derselben!

Das ist die Geschichte der deutschen Telegraphie. Es liegt nicht in der deutschen Art, fremdes Verdienst zu verschweigen. Bereitwillig ist es anzuerkennen, daß Wheatstone und Morse die große Erfindung erst in’s große Leben einführten und daß jener durch die Vervollkommnung des Nadeltelegraphen, dieser durch Construirung des Schreibtelegraphen, und beide durch die Energie in der Verfolgung ihrer praktischen Zwecke sich ein Recht auf besondere Auszeichnung in der Geschichte der Erfindung erworben haben; aber die Erfinder der Telegraphie sind sie nicht, und es war ebensoviel Anmaßung von jener Seite, die Huldigungen Europa’s und Amerika’s mit stolzer Erfindermiene entgegenzunehmen, als es namentlich in Deutschland mehr als die alte Lahmheit und Zahmheit gegen auswärtige Frechheit war, in diese Huldigungen mit einzustimmen und mit den Lorbeerhaufen für den Engländer und den Amerikaner den deutschen Erfinder so hoch zu überdecken, daß sieben Jahre nach seinem Tode sein Name für die Erfindung verschollen war und daß es zwanzig Jahre später gelehrter Forschungen bedurfte, um für ihn und Deutschland die Ehre der Erfindung zu retten!




Blätter und Blüthen

Drei große deutsche Erfindungen dieses Jahrhunderts und ihre Schicksale. Von der Ehren-Schwärmerei, welche wir Deutschen mit unsern großen Erfindern, wenn sie todt sind, treiben, möchten wir, mit Bezug auf obenstehenden Artikel, einmal einfach auf die nationalökonomischen Verluste hinweisen, die wir dadurch erlitten haben, daß wir die erste Ausbeute unserer größten Erfindungen immer den Fremden überlassen haben.

Wir wählen dazu drei Zeitgenossen. Joseph Ressel[1] ist der Erfinder der Schiffsschraube. Schon 1812 war diese Erfindung fertig und erprobt, und erst 1840 feierte sie als englische Erfindung eine großartige Auferstehung. Welchen Vorsprung hätte die österreichische Marine gewinnen können, hätte sie sich 1812 zum Alleinherrn dieser Erfindung gemacht! Wer berechnet den Schaden, welcher der deutschen Schifffahrt durch die unverzeihliche Mißhandlung dieser großen Geistesgeburt zugefügt wurde? – Und als im Jahre 1852 die englische Regierung für den wirklichen Erfinder der Propellerschraube einen Preis von 20.000 Pfd. Sterl. aussetzte, und die von der österreichischen Regierung beglaubigten Actenstücke über den deutschen Ursprung der Erfindung nach London wanderten, – wer erhielt die schöne Summe? Fünf Engländer, deren Namen die britische Admiralität noch heute nicht bekannt gemacht hat!

Noch einleuchtender sind die Vortheile, welche Deutschland über die ganze Verkehrswelt in Europa errungen hätte, wenn Soemmerring’s Erfindung der elektrischen Telegraphie zuerst bei uns verstanden und in’s Große ausgeführt worden wäre. Wie mit der Schiffsschraube, war mit der Telegraphie Deutschland dem Ausland um 20-30 Jahre voraus! Wer berechnet die Größe des deutschen Verlustes durch die Verwahrlosung einer solchen Erfindung ? – Und zum Schluß derselbe Hohn des Auslandes für die Erfinderehre: der Amerikaner Morse steckt mit derselben Gemüthsruhe die kaiserl. französ. Belohnung von 400.000 Fr. ein, aber doch mit mehr Recht, wie jene fünf Engländer die 20.000 Pfd. Sterl. und den Deutschen bleibt nichts übrig, als nun dem eigentlichen Erfinder Soemmerring nachträglich zu dem landüblichen Denkmal zu verhelfen.

Der dritte Zeitgenosse ist Wilhelm Bauer. Seine wichtigste Erfindung ist die der unterseeischen Schifffahrt. Sie ist erprobt, Rußland hat das theure Lehrgeld für sie bezahlt, und sie ist seitdem durch wesentliche Verbesserungen vervollkommnet. Wird Deutschland, durch seine bisherigen Erfindungs-Verluste belehrt, aus ihr den ersten Nutzen ziehen? Die Gelegenheit war da, Ehre und Vortheil geboten es, und es ist nicht geschehen! Hätte nur ein halbes Dutzend Bauer’scher unterseeischer Schiffe als Brandtaucher die Nord- und Ostsee befahren und wäre nur ein einziges dänisches Kriegsschiff durch eine solche Brandtaucher-Mine in die Luft geflogen, – der dänische Seeraub wäre gelegt gewesen! Millionen deutschen Gutes hätten ihren unsichtbaren Schutz gefunden. Ja, noch mehr: die Zufuhr von den dänischen Inseln zum Festland wäre abgeschnitten gewesen, kein Panzer- und Thurmschiff hätte sich in Alsens und des Sundewitts Nähe gewagt, und Hunderte braver Männer und Jünglinge hätten den wenn auch noch so rühmlichen Heldentod ersparen können, um als Lebende die heilsame Wirkung einer nationalen Erfindung zu preisen! – Jetzt bauen Rußland, Frankreich, Spanien unterseeische Schiffe, und Amerika hat den ersten Triumph der deutschen Erfindung davongetragen! Am 17. Febr. dieses Jahres wurde von einem nach Wilh. Bauer’s Princip gebauten Brandtaucher der nordamerikanischen Südstaaten die Unions-Corvette Housatonic von 1200 Tonnen und 13 Kanonen in die Luft gesprengt. Wer wird nun der Preisträger dieser deutschen Erfindung sein? Sollte nicht der Erfolg derselben in Amerika endlich den Deutschen die Augen öffnen? Muß man es unseren Küstenstaaten erst bei Heller und Pfennig vorrechnen, daß sie nimmermehr im Stande sind, eine oberseeische Flotte zu schaffen, mit welcher sie den vereinigten Flotten von England und Frankreich erfolgreichen Widerstand zu leisten vermögen, aber daß eine unterseeische Flotte nach Bauer’s Princip sie nicht nur zu Herren ihrer Küsten, sondern auch zu Herren auf der See hätte erheben können? Wie viel ist jetzt schon verloren durch diese neue deutsche Saumseligkeit! Und doch kann noch weit mehr verloren gehen, wenn die Deutschen sich nicht noch heute zu einem energischen Aufraffen entschließen und wenigstens ihre Flottengelder an die Ausführung einer deutschen Erfindung wagen, die im Auslande nun sattsam erprobt ist! [2]

  1. Vgl. Gartenlaube, 1863, S. 124.
  2. Einen Aufruf Wilhelm Bauer’s an die deutschen Regierungen und Patrioten, ihm die Mittel zum Bau von sechs Brandtauchern zu gewähren, haben wir in den deutschen Blättern Nr. 19. mitgetheilt, nachdem dringende briefliche Aufforderungen Fr. Hofmann’s an den Sechsunddreißiger-Ausschuß und an die Erlanger Landesversammlung, sich der Erfindung Bauer’s zum Besten der schleswig-holsteinschen Sache anzunehmen, vergeblich gewesen waren.
    Die Red. 
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_320.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)