Seite:Die Gartenlaube (1864) 329.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

förderlich sein zu können, endlich einmal die unglückliche Idee vom „Angeborensein“ aufgeben und dafür das „Anerzogenwerden“ zum Erziehungsgrundsatze annehmen möchten.

Und warum glaubt Verfasser mit der erwachsenen Menschheit hadern zu müssen? Weil sie sich durchaus nicht von ihren schlechten, aus der Jugendzeit stammenden Angewöhnungen und von dem durch faules, ungeordnetes Denken entstandenen abergläubischen Vertrauensdusel trennen und lieber in eigennütziger Genuß- und Habsucht, in brutaler Herrsch- oder sklavischer Dienstsucht, in kindischer Ehr- und thörichter Glaubsucht schließlich an elender Schwind- oder Wassersucht vorzeitig und jämmerlich hinsiechen will, als unter dem Panier von „Frisch, fromm, fröhlich und frei“ ein nicht blos ihr selbst und ihren Angehörigen, sondern auch den Mit- und Nachweltsmenschen genuß- und fruchtbringendes, glückseliges, heiteres, langes und gesundes Leben zu leben. – Um die Wahrheit des Gesagten durch Thatsachen zu beweisen, wollen wir jetzt das Thun und Treiben der Menschen in ihren verschiedenen Berufsarten in gesundheitlicher und krankheitlicher Hinsicht beleuchten und zunächst den sogenannten Geschäftsmann (im Gegensatz zum Arbeitsmann) vornehmen. Als einen solchen könnte man vielleicht jeden betrachten, der, meistens mit einem Comptoir und angrenzenden Lagerräumen behaftet, beim Jahresabschluß seines Geschäftes sich ganz unglücklich fühlt, wenn er nur, wie die meisten übrigen Menschen (aus dem Arbeiter-, Handwerker-, Künstler- und Gelehrtenstande), gerade soviel verdient hat, um sein Wohlleben mit den verschiedenen Liebhabereien und den gehabten unabwendbaren Verlusten bestreiten zu können, und nicht auch noch ein Erkleckliches darüber zur Anschaffung von allerhand irdischem Plunder.

„Mein Geschäft erlaubt das nicht“ und „ich habe keine Zeit dazu“, das sind die Ausreden, welche ebenso der kranke wie der gesunde Geschäftsmann macht, um die zur Wiederherstellung oder zur Erhaltung seiner Gesundheit durchaus nöthigen diätetischen Verordnungen des Arztes, weil sie entweder zeitraubend oder unbequem sind, von sich abzuwehren, sogar sehr oft mit der Ueberzeugung, daß der Arzt ganz Recht hat. Leider giebt es nun gewissenlose Heilkünstler noch genug, die nicht etwa aus Ignoranz, sondern nur der Groschen wegen, solche Ausreden ruhig hinnehmen und die Anfänge schwerer und heilbarer Leiden, weil sie zur Zeit den Geschäftsmann zu seinen Geschäften noch nicht ganz unfähig machen, nach ihrem alten Curirschlendrian mit allerlei nichtsnutzigen (homöopathischen oder allopathischen) Mitteln tractiren, bis sie nach einiger Zeit dem Bemittelten ein erbärmliches Ende seiner Gesundheit und seines Geschäftes vermittelt haben. Beide, Geschäftsmann und Arzt, sind in solchen Fällen Verbrecher.

Die häufigste Klage des Geschäftsmannes, nämlich in Bezug auf seinen Körperzustand, ist die über seinen Kopf, den er schwer und eingenommen, häufig schwindlig oder schmerzend fühlt und in den er sich’s außerdem noch gesetzt hat, daß diese störenden Empfindungen durchaus von Blutandrang, oder von Hämorrhoiden, oder von versetzten Blähungen und Stuhlverstopfung herrühren müssen. Der mittelsüchtige Arzt nun, welcher auf diese dämligen Ideen des Patienten, da sie gewöhnlich auch die seinen sind, sehr gern eingeht und durch Purgirmittel die Beschwerden vom Kopfe nach dem Bauche abzuleiten trachtet, der ist dem Geschäftsmanne sein Mann, sobald dieser durch jene Ableitungscur nur nicht vom Geschäftemachen abgehalten wird. Daß sein Uebelbefinden bei einer solchen Heilmethode immer übler wird, daß der Appetit vollständig vergeht, daß das Mattigkeitsgefühl und die Mißstimmung fort und fort überhandnehmen, daß die Kraft zum Arbeiten immer mehr sinkt, das Alles bringt den Geschäftsfanatiker noch lange nicht dahin, daß er von seiner naturwidrigen Cur zu einer naturgemäßen übergeht; ist ja doch in seinem Geschäfts- wie Stuhlgange keine Stockung.

Wie ganz anders ist der rationelle Heilkünstler zu verfahren verpflichtet, wenn’s bei einem Geschäftsmanne nicht richtig im Kopfe ist! – Er wird diesem zuvörderst den Wahn, daß Congestionen vom Unterleibe aus die Schuld an dem Kopfleiden tragen, dadurch zu benehmen wissen, indem er die Anstrengungen desjenigen Organs, mit welchem der Patient seine Spekulationen überdenkt und überhaupt seine geistigen Geschäftsarbeiten betreibt, des Gehirns nämlich, mit den Strapazen der Beine bei anstrengenden Fußpartieen vergleicht. Beide Organe, Gehirn wie Beine, werden nämlich durch zu große Anstrengung (Ueberanstrengung), in Folge der starken Abnutzung ihrer Materie, matt und von widernatürlichen Empfindungen heimgesucht, versagen allmählich den Dienst und könnten sogar durch fortgesetztes gewaltsames Antreiben zum Thätigsein völlig gelähmt werden. Von den müden Beinen weiß nun jedes Kind, daß man dieselben, wenn sie nach einiger Zeit wieder ordentlich laufen sollen, gehörig ausruhen lassen muß und daß man bei diesem Ausruhen den ganzen ermüdeten Körper durch nahrhaftes Essen und Trinken wieder auf die Beine bringen kann. Dem durch’s Speculiren, Similiren, Addiren und Subtrahiren, Alteriren und Chicaniren u. s. w. müde gewordenen Gehirne des Geschäftsmannes, weil der keine Zeit hat und sein Geschäft es nicht erlaubt, geht’s nun aber nicht so gut wie den müden Beinen des Wanderers, denn dieses muß trotz seiner Ermüdung, die durch den Schlaf allerdings in Etwas gehoben wird, fort und fort geschäftig sein, oft sogar ohne durch nahrhafte und gut verdaute Nahrungsmittel richtig genährt und gekräftigt zu werden. Kommen nun gar noch jene ableitenden, schwächenden und den Appetit verderbenden Purganzen, oder die das Gehirn sammt seinen Nerven unnatürlich reizenden stärkeren Spirituosen und Kaltwasserquakeleien, sowie gesellschaftliche, gemüthliche und geschlechtliche Erregungen mit in’s Spiel, dann gute Nacht Gehirn mit deinem Denken und Urtheilen, deinem Gemüthe und Willen!

Ich hoffe, daß jeder Geschäftsmann, der in seinem Geschäfte wirklich sein eigenes und nicht seiner Leute Verstandesorgan, also das Gehirn, arbeiten läßt, einsteht, wie bei seinem Kopfleiden in Folge von langandauernden und bedeutendern Anstrengungen des Gehirns, dieses Organ auch die passende Erholung durch Ruhe braucht und daß demnach ein angegriffener Geschäftsmann, wenn er sich radical erholen will, durchaus auf einige Zeit sein Geschäft zu verlassen gezwungen ist. Aber freilich muß er gleichzeitig auch alles das noch meiden, was das ermüdete Gehirn stark erregen kann, wie Spirituosa, kalte Bäder, leidenschaftliche Unterhaltungen und unterhaltende Leidenschaften aller Art. Daneben sind zur Abkürzung und Nachhaltigkeit der Kräftigungscur noch reine sonnige Waldluft (recht tief eingeathmet), gute kräftige Kost (besonders Milch und Eier) und warme Bäder (wöchentlich eins bis zwei) von ausgezeichnetem Vortheile (s. Gartenl. 1863. Nr. 22. Rathschläge zu Sommercuren). – Die von den meisten Aerzten dem angegriffenen Geschäftsmanne als Kräftigungsmittel verschriebenen Arzneistoffe, sie mögen heißen wie sie wollen, haben alle, ebenso wie die empfohlenen Mineralwässer, meine vollste Verachtung, da sie niemals stärken, sondern fast immer die Magenverdauung ruiniren und dann, weil nicht genug guter Speisesaft mehr bereitet wird, schwächen. Nur nahrhafte Nahrungsmittel (besonders Milch, Ei und Fleisch) geben unserem Körper Saft und Kraft.

Und nun, Hand auf’s Herz, angegriffener Geschäftsmann mit dem eingenommenen Kopfe, erlaubt’s Dein Geschäft wirklich nicht, daß Du zur Erhaltung und Kräftigung Deines Gehirns mit seiner Urtheils- und Willenskraft, sowie zur Verbesserung Deiner Dir und Andern nicht gerade angenehmen Gemüthsstimmung, auf einige Zeit Dein enges Geschäftslocal mit Gottes weiter Natur vertauschen kannst? Bedenke, daß Du später mit all Deinem Mammon die zur Herstellung und Kräftigung Deiner Gesundheit verlorene Zeit nicht zurückerkaufen kannst und daß Du, wenn auch alle in der Welt bekannten medicinischen Professoren, Hof- und geheimen Räthe zu einem Consil über Deinen ruinirten Corpus zusammentreten, doch weit früher als nöthig in das von Dir gefürchtete Grab wandern mußt – worüber sich natürlich Deine Herren Schwiegersöhne auch noch freuen.

Erlaubt nun aber das Geschäft einem Geschäftsmanne eine Erholungscur fern vom Geschäfte in der That wirklich nicht, dann beobachte dieser zur Conservirung seines Gehirns wenigstens die folgenden Vorsichtsmaßregeln. Zuvörderst lasse er seinen speculirenden Kopf nicht zu langanhaltend arbeiten, sondern mache von Zeit zu Zeit im Arbeiten Pausen, sogar der Usance entgegen in den Geschäftsstunden und wo möglich im Freien. In der geschäftsfreien Zeit halte er sich so viel als möglich auch frei von Geschäftsideen, mache sein ordentliches Mittagsschläfchen, gebe sich des Abends einer leichten und angenehmen Unterhaltung hin und halte auf regelmäßigen Nachtschlaf. Wie die übrigen, besonders die Brust- und Bauchorgane, in Ordnung zu halten und zu bringen sind, wird ein späterer Aufsatz den Geschäftsmann lehren, denn fertig ist der Verf. mit selbigem Manne noch lange nicht.

Bock. 

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_329.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)