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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

des zweiten Kaiserreichs haben nun besonders Gelegenheit gehabt, die interessantesten Studien der Gesellschaft zu liefern; denn die Gesellschaft des zweiten Kaiserreichs spreizt sich im Glanz der Demoralisation, wohin sie der Mangel an Freiheit und natürlicher Entfaltung getrieben. Börse und Demi-Monde, die Welt des Scheins, des glänzenden Lasters, sind daher die zwei Hauptthemen gewesen, mit denen die neueren französischen Schriftsteller so viel Glück gemacht! Ponsard und Augier, Feydau und Oktave Feuillet, Murger und Alexander Dumas, der Sohn – sammt und sonders geschickte Photographen der französischen Gesellschaft in Mode – was können sie dafür, daß sie das Original nicht anders finden, als es ist, und daß die Gesellschaft in dem Spiegel, den sie ihr vorhalten, erkennen muß, wie weit ihre Korruption um sich gegriffen hat und wie sich die Krisis ihrer Regeneration, ihrer Neugestaltung naht?

Schmidt-Weißenfels. 




Alter Schwindel. Unter den modernen Schwindeleien, von denen uns Nr. 23 der Gartenlaube mehrere vorführte, war auch eine, die mit der Braunschweiger Lotterie in einem Zusammenhange war; dabei fiel mir ein lustiges Stückchen aus längstverklungenen Zeiten ein, welches wohl originell genug war, die Leute damals zu amüsiren, und das vielleicht heute wiedererzählt werden dürfte.

In einem der letzten Decennien des vorigen Jahrhunderts – wenn es nicht etwa später war – hatte der mächtige Amor, der damals ebenso gewaltig, wie jetzt, ja in der Siegwartperiode vielleicht noch mehr, die Herzen der Sterblichen in Aufregung versetzte, einen jungen Apotheker-Gehülfen entbrennen lassen für eine ehrsame Jungfrau und war einem Widerhalle seiner Empfindungen begegnet. Das Mädchen war sehr hübsch, gesund und unbescholten, aber arm wie eine Kirchenmaus, und letzteres war der Apotheker auch. Häßlicher Umstand, wenn man sich gern heirathen möchte und doch an die Zukunft mit ihren Bedürfnissen denken muß! Seine Anstellung in dem kleinen Städtchen Camburg in Thüringen war auch keine solche, wo Schätze gesammelt werden konnten, und bis auf den Nimmermehrstag wollten die Feurigliebenden nicht warten. Unser Pillendreher war ein anschlägiges Köpfchen und mit Zubilligung seiner Geliebten ergriff er folgendes Auskunftsmittel.

Sein Mädchen ließ sich ausspielen. Ein gefälliger Kupferstecher legte die reizenden Gesichtszüge der für diesen Fall sich Aurora Fortuna nennenden Unternehmerin als Medaillon nieder auf ein Lotterieloos in 30tausendfacher Vervielfältigung. Die Glücksscheine sahen allerliebst aus, kosteten nur einen Thaler das Stück, und angelehnt an die gothaische oder Braunschweiger Lotterie – ich weiß nicht genau welche – mit ihren 30.000 Loosen, wurde auch damals schon Reklame geübt und des Apothekers ganzer Bekanntenkreis für den Loosvertrieb mit in Anspruch genommen. Der ausgegebene Prospectus erläuterte, daß der Inhaber derselben Nummer, welche in der etc. Landeslotterie den Hauptgewinn hinwegtragen würde, der einzige Gewinnende sein würde, und zwar von einer jungen, schönen Braut mit 30.000 Thalern Mitgift. Ist’s möglich? Das ist ja Menschenhandel, und so etwas kann keine der damaligen vielen thüringischen Regierungen zugegeben haben! Und doch war es so, nur gemildert durch die Modalitäten, die der Prospectus gleich nachfolgen ließ. Es war nämlich festgestellt:

1) wenn der Gewinner nicht geneigt sein sollte, die Aurora Fortuna baldigst an den Traualtar zu führen, würde er völlig freie Hand behalten, sich dann aber nur mit einem Drittel ihren Mahlschatzes, also zehntausend Thalern, begnügen müssen, während der Rest dem verschmähten Glücksmädchen verbleiben sollte. 2) Ebenso sollte der Aurora ihre persönliche Freiheit gewahrt bleiben und sie berechtigt sein, von dem Ehebunde Umgang zu nehmen, wenn sie nicht Lust zeige, mit dem Gewinner fürder durch das Leben zu wandeln, auch wenn derselbe sich dazu völlig bereit erklärt haben würde. Statt der Braut sollten ihm aber immer zwei Drittel des Vermögens bleiben, weil die Spröde sich mit dem Reste von zehntausend Thalern zu begnügen haben würde etc.

So hatte unser Apotheker mit seiner Aurora die Sache ganz plausibel eingefädelt. Letztere war natürlich Willens, jeden Gewinner des Looses als künftigen Gatten zu verschmähen und sich mit einem Drittel des Capitals gern zu begnügen, um der alten Flamme treu zu bleiben. Sie aber war, es mochte kommen wie es wollte, kein armes Mädchen mehr, und der Pharmaceute würde dann schon wissen, was er zu thun habe. Also tapfer drauf los! Die Sache ging, die Loose verthaten sich, denn das Bildniß war gar lieblich, der Spaß kostete ja nur einen Thaler, und Mancher interessirte sich dabei, dem es eigentlich gar nicht zukam oder der seine liebe Junggesellenwirthshaft doch nicht hätte aufgeben mögen.

Da erfolgte die Ziehung, und … o schäkerhafter Zufall! der Gewinner war ein glücklich verheiratheter Mann, der einmal in heiterer Weinlaune sich ein Loos gekauft hatte und nun selbstverständlich das Original seines schönen Portraits im Stich lassen und sich mit den 10.000 Thalern begnügen mußte, während Aurora, mit ihren verbliebenen 20.000 zur Fortunata geworden, sich ihrem Liebhaber freudig in die Arme warf, der nichts Eiligeres zu thun hatte, als sich irgendwo eine Apotheke zu kaufen und sein Hauswesen zu begründen.

Klingt wie Roman, ist aber völlig wahr. Ich habe Leute noch gesprochen, die die Aurora gekannt haben wollten.




Mein letzter Besuch bei Meyerbeer. Die Veranlassung, der ich meinen letzten Besuch bei Meyerbeer verdanke, war in jeder Weise sehr angenehm und erfreulich. Bekanntlich ist kürzlich im Verlage der Gartenlaube ein Buch erschienen, unter dem Titel: „Karl Maria von Weber. Eine Biographie von Max Maria von Weber.“ Der Verfasser dieses trefflichen Werkes, Sohn des unsterblichen Tondichters des „Freischütz“, hatte mich beauftragt, Meyerbeer das Buch zu überbringen. Zu diesem Zwecke begab ich mich in die bescheidene Wohnung des Meisters, die er hier in Paris auf der Avenue de Montaigne in den Champs Elysees inne hatte. Ich wurde sogleich angemeldet und in einen kleinen Salon geführt, wo man mich bat, ein wenig zu warten, da der Herr Generalmusikdirector für den Augenblick anderweitig in Anspruch genommen sei. Nach einer kleinen Weile erschien Meyerbeer. Freundlich, wie immer, entschuldigte er sich zunächst, daß er mich hatte warten lassen, und fragte sodann nach meinem Begehr. Ich machte ihn mit meinem Auftrage bekannt und überreichte ihm das erwähnte Werk. Sein Gesicht nahm sogleich einen noch viel freundlicheren Ausdruck an, er ergriff das Buch und sagte mir mit Rührung, indem er mir die Hand gab:

„Sie bringen mir da ein schönen, ein unschätzbares Geschenk! Ich kenne das Buch schon; ja, ich darf wohl sagen, daß ich einer der Ersten war, der es besaß. Kaum war es erschienen, so habe ich es mir sofort aus Berlin kommen lassen, und nun kann ich mich gar nicht mehr davon trennen. Ich habe es schon dreimal durchgelesen. Es weckt mir tausend, tausend liebe Erinnerungen, die in meiner Seele schon halb eingeschlummert waren und nun wieder in ihrer ganzen Frische vor mir stehen. Das Buch ist für mich ein Schatz; es ist vortrefflich, ja ganz ausgezeichnet geschrieben. Ich weiß nicht, was ich zuerst bewundern soll: die geistvolle Auffassung und Darstellung des Gegenstandes oder die Genauigkeit und Wahrheit in der Angabe der einzelnen Daten, die mich in das höchste Erstaunen setzt. Ich kann das am besten beurtheilen, da ich alle diese Dinge zum Theil mit erlebt habe. Ich begreife gar nicht, wie der Mann das Alles wieder hat zusammenfinden können. Welchen Fleiß, welche Mühe, welche Ausdauer hat er auf das Buch gewendet! Man fühlt, daß es mit dem Herzen geschrieben ist. Sagen Sie Herrn von Weber, daß ich sein Werk bewundere und hochschätze; er hat damit seinem herrlichen, unvergeßlichen Vater ein schönes Denkmal errichtet. Uebrigens werde ich ihm selbst schreiben, sowie ich nur ein wenig Zeit gewinne.“

Ich theilte ihm nun mit, daß das Buch auch in englischer Sprache erscheinen werde und daß man ebenfalls eine französische Übersetzung desselben beabsichtige.

„Das ist eine sehr glückliche Idee,“ sprach er hierauf, „und ich werde mit Freuden Alles thun, was in meinen Kräften steht, um diesen Plan zu fördern.“

Ich entgegnete nun, daß ich mir einen guten Erfolg von der französischen Ausgabe des fraglichen Werkes verspräche, da die Weber’sche Musik doch wohl auch in Frankreich populär sei. Darauf sah er mich ganz verwundert an und sagte:

„Ist das eine Frage? Weber’s Musik ist und muß überall populär sein, wo man sie kennt. Folglich auch in Frankreich und nun gar hier in Paris. Hören Sie doch bin, in all’ die unzähligen Concerte, die hier gegeben werden; es vergeht ja kaum ein Abend, wo nicht Musik aus Freischütz oder Oberon gesungen oder gespielt würde.“

Ich stellte nun die Ansicht auf, daß unsere Zeit im Allgemeinen arm an großen Componisten sei, und erlaubte mir eine bescheidene Anspielung auf die mit Spannung erwartete „Afrikanerin“.

„Gut Ding muß Weile haben!“ antwortete er. „Uebrigens ist es nicht genug, Opern zu componiren, man muß auch Sänger haben, die sie singen, und ich meine, daß unsere Zeit noch weit ärmer an guten Sängern ist, als an talentvollen Componisten.“

Er fragte mich nun nach meinem Urtheile über einen gegenwärtig in Dresden engagirten Sänger; ich konnte ihm aber keine genügende Auskunft geben, da mir die dortigen Theaterverhältnisse, nach meiner langen Abwesenheit aus jener Stadt, gänzlich fremd geworden sind.

„Ein Tichatschek wird dieser Herr N. N. wohl auch nicht sein,“ fuhr Meyerbeer nun fort, „Tichatschek’s Stimme ist ein Phänomen, geradezu une bonne fortune für einen Componisten. Freilich entdeckt man solcher Tenore etwa nur aller hundert Jahre einen.“

Hierauf kam Meyerbeer wieder auf das Uebersetzungsproject des Weber’schen Buches zurück, nahm sich vor mit seinem Verleger über diese Angelegenheit zu sprechen, bestimmte mir einen Tag, an dem ich wieder zu ihm kommen möchte, um mich darüber weiter mit ihm zu berathen, und entließ mich mit wohlwollender Güte.

Pünktlich stellte ich mich an dem bezeichneten Tage wieder an der Schwelle des großen Mannes ein, aber derselbe deutsche Diener, der mir schon bei meinem letzten Besuche geöffnet hatte, sagte mir mit betrübtem Gesichte, daß mich der Herr Generalmusikdirector nicht empfangen könne, da er sehr unwohl sei. Als ich drei Tage später mich wieder einfand, vernahm ich mit tiefem Schmerz die Trauerkunde von dem Hintritt des Tondichters aus dem Munde des weinenden deutschen Dieners. Diese Nachricht traf uns wie ein Donnerschlag aus heiterm Himmel. Noch vor kaum zwei Wochen hatten wir den fleißigen Mann an der Arbeit gesehen. Das Einstudiren der „Afrikanerin“ war in Angriff genommen worden; er war mit Leib und Seele bei diesem wichtigen Geschäft. Außerdem hatte er persönlich einige Proben der Hugenotten geleitet, da Fräulein Sax, von der großen Oper, die Rolle der „Valentine“ zum ersten Male singen sollte. In der liebenswürdigsten Art gab er der Künstlerin gute Rathschläge über die Auffassung dieser schwierigen Partie, über die Intentionen der Musik etc. Wir bewunderten seine geistige Frische, seine fast jugendliche Regsamkeit und freuten uns des Kunstfeuers, das seine Adern noch durchglühte – und nun mitten heraus aus diesem thätigen, wohl ausgefüllten Leben wurde er uns plötzlich und ganz unvermuthet entrissen! So ist der Meister gestorben, wie ein Soldat, wie ein Held, auf der Bresche, im siegreichen Kampfe. Hochgeschwungen hielt er noch in seiner Hand die glorreiche Fahne der Kunst, der er gedient hat!

Meyerbeer lebte sehr gern in Frankreich und namentlich hier in Paris. Mit besonderer Vorliebe schlug er immer und immer wieder sein melodisches Zelt an den Ufern der Seine auf. Er wurde aber auch hier mit der zartesten und rücksichtsvollsten Aufmerksamkeit behandelt und seine Ankunft stets als ein freudiges Ereigniß begrüßt. Indessen lebte er ganz einfach und zurückgezogen, weit entfernt von dem Glanze und dem Luxus, wozu sein großes Vermögen und seine hervorragende Stellung ihn berechtigt hätten. Er schien fast gar keine Bedürfnisse zu haben, fast immer ging er zu Fuß und zeigte

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