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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Trotz alledem und alledem ist das Thüringer Land so voll neckischen Landschaftszaubers, so waldduftig und bergfrisch, daß der von so viel Herrlichem angemuthete Wanderer darüber leicht und gern jene buntscheckige Zerlapptheit vergißt. Er braucht ja eben vor Wald die – Schlagbäume nicht zu sehen.

Freilich, zu dem vielen Uebrigen jetzt noch gar ein Mecklenburg in Thüringen, das ginge wohl Manchem über den Spaß und über den Ernst! –

Möge sich indeß der Leser durch die Ueberschrift dieser Skizze nicht beunruhigen lasten. Es handelt sich hier nicht um ein mecklenburgisches Paschalik, das etwa plötzlich über Nacht, aus heiler Haut, durch Gebietstausch, Erbschaft, Verzicht, Verkauf oder irgend eine souveraine Laune, mit Mann und Maus an Mecklenburg gefallen wäre. Der Wanderer durch Thüringen hat, nach wie vor, nicht zu fürchten, daß in den aus grüngoldigem Waldesschatten hallenden Wettgesang von Drossel, Amsel, Finke und Nachtigall und was sich sonst aus schwanken Baumwipfeln vernehmen läßt, die Stockschläge einfallen könnten, mit denen im Lande der Obotriten die Nationalhymne auf der Kehrseite der Landeskinder, zur Belebung vaterländischer Gesinnung, taktirt wird.

Ich spreche von einer lieblich grünen Scholle thüringischer Erde, auf welcher ein gar trefflicher mecklenburgischer Poet, der für sein übervolles Dichterherz in seinem engern – ach nur zu engen – Vaterlande „kein Hüsung“ gefunden, sich sein Mecklenburg aufgebaut hat.

Wer von meinen Lesern wüßte jetzt nicht, daß ich von Fritz Reuter spreche? –

Aber die mecklenburgische Dichterenclave in Thüringen ist durch kein Farbenpünktchen auf der Karte markirt; kein Wegweiser streckt zuvorkommend den hölzernen Zeigefinger darauf hin; selbst der rothe Bädeker, der sonst Alles weiß, scheint nichts davon zu wissen, und die polizeilich concessionirten Führer durch den Thüringer Wald würden den Fremden groß ansehen, der sich bei ihnen erkundigte, wo denn Mecklenburgisch-Thüringen läge.

Ich hoffe daher, von den Wanderern durch das Thüringer Land werden gar manche mir Dank dafür wissen, daß ich ihnen mit diesem nicht gerade verstohlenen Fingerzeige den Versteck verrathe, hinter den Fritz Reuter sich zurückgezogen, um ungestört seiner Muse und seiner Muße zu leben. Wir Leute von der Feder sind nun einmal ein indiscretes Volk; was wir auf dem Herzen haben, das müssen wir uns auch vom Herzen herunterschreiben. Ich meine aber außerdem, daß so ein Poet „von Gottes Gnaden“, wie Fritz Reuter einer ist, gar nicht das Recht habe, incognito sich vor dem Volke verleugnen zu lassen, das ihn liebt und verehrt.

So bitte ich denn den Leser, mir und meiner Schilderung zu folgen.

Der vom Bahnhofe quer durch Eisenach wandernde Wartburgzügler gelangt über einen stattlichen Marktplatz, zwischen dem residenzlichen Schlosse und der lindenbeschatteten St. Georgskirche, vorüber an der blumengeschmückten Boutique einer „kohlensauren Jungfrau“ – wie der Berliner mit besonderer Genugthuung bemerken wird – an die „obere Predigergasse“, an deren Ecke ein großer goldener Pfeil im schwarzen Felde, mit der Ueberschrist: Nach der Wartburg“, ihm officiell die Richtung des Weges anzeigt, den er einzuschlagen hat. Doch der Wanderer braucht sich vom Pfeile nicht auch das Symbol der Schnelligkeit, wie es am Kragen der Telegraphenbeamten angedeutet ist, zu Gemüthe zu führen. Umgekehrt rathen wir ihm, sich hübsch Zeit zu lassen, damit er nicht außer Athem gerathe, und des Weges zu achten, der ihm reichlich lohnende Umschau und Rückblicke gewährt. Am Ende des kurzen Gäßchens schlägt er links den eigentlichen Bergpfad nach oben ein, auf den zur besondern Sicherheit noch ein zweiter, blitzgeschlängelter Pfeil hinweist. Hier befindet sich der Wanderer bereits einige 50 Fuß über der Sohle des Wartburgberges, bis zu dessen Kuppe hinauf er etwa noch 550 Fuß zu „klimmen“ hat, wie wir dem des Bergsteigens unkundigen und darum um so mehr auf dieses Abenteuer verpichten norddeutschen Ferienreisenden zu Liebe sagen wollen. Denn im Grunde ist das Steigen hier nicht gar zu schwer. Wenn der Wanderer nicht gerade ein hektisches Mädchen ist, oder ein kurzathmiger Staatshämorrhoidarius, oder ein langbeiniger englischer Tourist, oder ein greinender ungezogener Range wohlgezogener Eltern, der auch einmal reiten will, kann er sehr füglich des langohrigen grauen Saumthieres entrathen, das an der „Eselsstation“ gesattelt und gezäumt seiner Reiter und Reiterinnen wartet. – Dieser Station gegenüber, rechts an der Straße, liegt, am sanft sich abdachenden Berghange hingestreckt, der Eisenacher Friedhof, voll eingegrünter und beblümter Grabeshügel, aber leider auch besäet mit Aschenurnen, abgebrochenen Säulenschaften, Pyramiden und verhüllten Genien, deren schwülstig sentimentaler Zopfstyl an die sogenannten Buchdruckerstöcke auf den Büchertiteln aus der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erinnert.

Der Fremde wird indeß durch das „memento mori!“ am Wege sich nicht die Berglust verkümmern lassen, die seiner wartet.

„– – – Der Hauch der Grüfte
Steigt nicht empor in die reinen Lüste.“

Etwa 100 Schritte weiter und steiler aufwärts eröffnet sich links, über ein durch die dichtbewachsene hohe Laubhecke führendes Gartenpförtchen hinweg, dem Blicke ein eng gerahmtes landschaftliches Idyllenbild, wohl werth in dem Skizzenbuche oder der Erinnerung des Wanderers mitgenommen zu werden.

Der steilen Bergwand ist ein Garten abgewonnen, dessen saubere Kiespfade zwischen Blumenbeeten, Rasengrün, Sträuchern und Baumgruppen hinaufklettern bis an die tiefer dunkelnden Waldschatten und sich wiederum thalwärts senken zum nachbarlich traulichen Verkehr mit den Dächern, Schornsteinen und kleinen bescheidenen Gärten der unten am Bergsaume liegenden Häuschen. Ein in moosiges Gestein eingelassener Stufenweg führt vom erwähnten Pförtchen hinauf zu dem auf einen terrassirten Abhang keck hingestellten Schweizerhause, das uns mit seinen spiegelhell in’s Weite leuchtenden Fenstern, seinen vorspringenden Giebeln, Altanen und Erkern gar zuthunlich anheimelt. Das ist keine jener abgedroschenen, meist auch abgeschmackten Variationen über ein architektonisches Schweizerthema, wie man deren gegenwärtig, zum Ueberdrusse, und leider unpassend genug, im norddeutschen Flachlande, sogar in der kaum einige Zoll über den Horizont der Wasserlinie hervortauchenden Marschebene sieht oder auch – hört! Architektur ist ja, nach Schlegel, gefrorene Musik. Wir haben hier ein wirkliches leibhaftiges Schweizerhaus vor uns, von vorherrschend luftig leichter Holzconstruction und doch wohnlich warm und sicher an die schützende Bergwand gelehnt, wie es eben zweckmäßig und malerisch in die Berge hineinpaßt, auch wenn diese, wie unsere Thüringer Waldgebirge, keine Gletscherfirnen hinauf in den Himmel strecken. Allein, wie naiv dieser Bau auch das Typische des Schweizer Styles widergiebt, so verräth doch die Anmuth der Gliederung an Façade und Profil, vor Allem die arabeskenfeine, wie mit der Feder gezogene Zeichnung der schwebenden Gallerien, der Balkenknäufe, der hölzernen Träger und Simse an den weit vorspringenden Giebeldächern und die an den Mauern gar zierlich sich markirende Verriegelung des Gebälkes und der Holzständer eine feine künstlerische Hand, wenn nicht schon die aus der Stirnmauer unter dem linken Giebelfelde hervortretende, von einem Consol getragene Statue, einen altdeutschen Meister des Baugewerks im Style Peter Vischer’s darstellend, unverkennbar auf den Künstler hinwiese. Und in der That ist der Erbauer und Besitzer dieses Schweizerhauses derselbe Architekt, welcher die Restauration der Wartburg, nach Ritgen’s Entwürfen, geleitet hat – der Bauinspector Dittmar, ein Schüler Meister Ziebland’s in München.

Und wie gar idyllenfriedlich erscheint dieser Erdenwinkel erst dem Wartburgspilger, wenn derselbe zurückblickend das Auge weithin über die Landschaft schweifen läßt, auf welche die Fenster und Altane des Schweizerhauses hinabschauen; über die von üppig frischem Gartengelände umrankte Stadt Eisenach hinweg, in eine meilenweite, von der Eisenbahn durchschnittene fruchtbare Thalebene, mit Dörfern, Weilern, Waldungen und gleich grünen Landseen wogenden Halmfeldern, bis an die in wellenförmigen Linien übereinander sich thürinenden Höhenzüge. welche den von Erfurt in der Richtung nach Gerstungen und Lichtenfels dampfenden Schienenzug zur rechten Hand begleiten und unter denen kurz vor Eisenach die scharfprofilirte nackte Felswand des aus der Tannhäusersage bekannten Hörselberges auftaucht.

„Hier muß gut wohnen sein!“ dürfte gewiß mancher Wanderer, mit einer Anwandlung menschlich verzeihlichen Neides, ausrufen.

Nun, auch Fritz Reuter war der Meinung, daß das Fleckchen nicht gar übel wäre, sein „Hüsung“ darauf aufzuschlagen, und das hat er denn auch vollführt. Er haus’t mit seiner Gattin

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_571.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)