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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Ich bilde mir ein, daß die neuere Art, den Krieg zu führen, eine natürliche Entwickelung der Feuertaktik ist, die früh oder spät erfolgen mußte. Diese neuere Taktik führt dahin, daß zerstreut fechtende Infanterie ebensoviel geschlossene besiegen muß, wenn beide ihre Schuldigkeit thun; ferner macht sie es unnöthig, daß man die neuen Soldaten lange zu ihrem Handwerk vorbereite; sie hat endlich der Ueberzahl ein erstaunliches Uebergewicht über die Minderzahl verschafft. Aus diesen Eigenschaften der neueren Kriegsführung schließe ich nun, daß ein Volk, das ernstlich will, jede feindliche Armee, die in sein Land einrückt, besiegen muß. Wenn nun, wie ich ferner glaube, die stehenden Armeen allein schuld an der despotischen Gestalt aller Staaten und hierdurch an der Herabwürdigung des Nationalcharakters und der Vaterlandsliebe sind, so wird vielleicht diese eiserne Periode der Uebergang sein zur Herstellung freier Verfassungen und durch diese zur Wiedereinsetzung der bürgerlichen und patriotischen Tugenden in ihre ewigen Rechte. – Es ist das einzige Mittel, den schändlichen Egoismus und Kosmopolitismus zu stürzen, die Gesinnungen zu vereinigen und endlich aus den Trümmern der veralteten Reiche Nationalstaaten in freier Verfassung hervorgehen zu machen. Dann wird man keine Tyrannen und Sclaven mehr sehen, sondern freie Bürger werden nach Art unserer Urväter gewaffnet in der gesetzgebenden Versammlung das Wohl des Staates berathen. Keine stehenden Heere werden mehr dem Despotismus zum Werkzeug dienen. Unter dem mächtigen Schutz der Freiheit werden Künste und Wissenschaften blühen und die Menschheit wird mit Riesenschritten sich der Vollkommenheit und dem Zustand der Glückseligkeit nähern, deren sie auf diesem Planeten fähig ist.“

Nicht minder beherzigenswerth ist ein anderes Wort von ihm:

„Es ist tröstlich, zu sehen, wie das allgemeine Unglück in allen Gegenden von Deutschland den kleinlichen Provincialgeist, den elenden Haß der Religionsparteien, sogar, wie mir scheint, die große Spaltung, die das nördliche vom südlichen Deutschland trennte, aufhebt. Oesterreich und Preußen lernen sich endlich als Brüder des alten Deutschlands kennen; sie fangen an, einzusehen, daß ihre bisherige Eifersucht die Ursache ihres Unterganges wird. Die gemeinschaftliche Schmach tilgt jedes andere Gefühl, und ich glaube, daß große Resultate entstehen werden, wenn der aufgeblasene Uebermuth unserer Unterdrücker diese glückliche Stimmung erst wird zur Reife gebracht haben.

Könnte ich doch die Großen mit meinem Feuer anstecken. Aber leider sind sie aus keiner feuerfangenden Materie geschaffen, – sie sind kalt wie Marmor.“

Der Prinz von Neuwied wurde um seiner Gesinnungen willen und, wie er selbst sagt, weil er mit der geächteten Familie F. umgegangen sei, von Wien weg auf ein kleines Dorf Langenloys, ein wahres Rattennest, wie er es selbst nennt, beordert. Hier in der Einsamkeit befolgte er den Rath seiner treuen Mutter und beschäftigte sich eifrig mit der Lectüre guter Bücher. Unter Anderem las er auch mit Vorliebe die „Fragmente zur neuesten Geschichte des Gleichgewichts von Europa“ von Gentz.

Der Prinz nahm an den nun folgenden Kämpfen Theil und wurde 1809 nach der verlornen Schlacht bei Eckmühl bei dem Dorfe Weinring, unweit Regensburg, nach einer verzweifelten Gegenwehr, wobei ihn sein treuer Feldwebel Fensel mit dem eignen Körper schützte, gefangen. Er wurde zuerst nach Landshut gebracht, dort längere Zeit in der Festung in strengem Gewahrsam gehalten, dann nach Straßburg übergeführt, wo ihm eine mildere Behandlung zu Theil wurde.

Ein Schriftsteller, der diese Zeit herber Gefangenschaft des Prinzen schildert, knüpft die schöne Bemerkung daran: „Der Prinz Victor schreibt aus seiner Gefangenschaft: ,Ich weiß nicht, welche Zaubermacht mir bei allem Elende immer die Hoffnung aufrecht erhalten hat. Ich kann auch jetzt nicht verzweifeln, ja niemals war ich mehr von der kurzen Dauer der gegenwärtigen Stürme überzeugt!’ Diese Zaubermacht war sein Gottesglaube und sein heller Blick in die Geschichte, welche das Gewissen der Menschheit ist. In dem Herzen dieses Jünglings schlug wie in Wenigen das Herz der Zeit; sein Rechtsgefühl lag in seinem Leben in und mit der Geschichte der Menschheit, des Volkes, in welcher die Wurzeln unseren Liebens und Leidens und die Weissagungen unserer Zukunft liegen. Das ist in der That der wesentliche und unvergleichliche Vorzug jener uralten, vaterländischen Familien, daß sie einen ausgesprochenen Antheil an der Geschichte des Vaterlandes haben, daß ihre Kinder, wenn sie Geschichte lernen, ihre eigne mitlernen, daß also die Lehre der Geschichte, das ganze Leben derselben in frischer Unmittelbarkeit auf sie übergeht, daß sie persönlich im Zusammenhang einer lebendigen Tradition stehen. Aber wie Viele machen von diesem Vorzuge den bewußten, vorurtheilsfreien Gebrauch! Die gewiß am wenigsten, welche, auf den Lorbeeren ihrer Väter ruhend, Ahnen zählen und Stammbäume malen, welche, die Exemtion als die Hauptsache betrachtend, in der inneren und äußeren Absonderung die Behauptung ihrer Prärogative suchen. Möchten sie doch Alle, welche echte Ritterehre suchen, in solch ein deutsches Herz von echtem Schrot und Korn, von urältestem und höchstem deutschen Adel hineinsehen, welches von Sehnsucht brennt, seinen Adel nicht allein zu behalten, sondern ihn dem ganzen Volk einzuhauchen, die patriotische Idee in Jedem nach seinem Stand und Beruf lebendig zu machen! Denn die allein sind wahrhaft adelig, in welchen die patriotische Idee lebt und das ganze Leben gestaltet, welchen König und Vaterland mehr, tausendmal mehr werth sind, als Alles, was sie sind und haben.“

Nachdem Prinz Victor, auch aus der zweiten Gefangenschaft befreit, eine Zeit lang bei seiner Mutter verweilt hatte, trat er wieder in die österreichischen Dienste. Im Gefühl, ein guter Bürger und ein trefflicher Soldat zu sein, schmerzte es ihn um so mehr, als er bemerkte, daß man ihn absichtlich zurücksetzte und ihm jedes Avancement versagte. Da faßte er den Entschluß aus dem österreichischen Dienst auszuscheiden und nach Spanien zu gehen, dessen Volk ihn durch seinen Allgemeinkampf gegen Napoleon begeisterte. Als aber der Prinz um seine Entlassung nachsuchte, fand er warme Fürsprecher, und der Kaiser selbst bat ihn zu bleiben und ernannte ihn zum Major. Der Prinz nahm nun zwar sein Gesuch zurück, allein da ihm für Deutschland jede Hoffnung geschwunden war, schützte er eine Reise nach dem Orient und Griechenland vor, um dennoch seinen Plan auszuführen, nach Spanien zu gehen und dort erfolgreicher gegen die Macht Napoleon’s mitkämpfen zu können. Vor seiner Abreise schrieb er noch einmal einen Brief an seine Mutter und Geschwister, aus welchem wir die Stelle hervorheben:

„Alles mein Sehnen, Dichten und Trachten ist und bleibt auf unser geliebtes Deutschland gerichtet, dessen Wohl bei Allem, was ich unternehme, mein letzter Zweck ist.“

Er begab sich auf einer fünfmonatlichen Reise über Ofen, Adrianopel, Constantinopel, Smyrna und Malta nach Cadix. Mit vielen ausgeschiedenen österreichischen und preußischen Officieren nahm er nun Antheil am Kampf gegen Napoleon und zeichnete sich in mehreren Gefechten so aus, daß ihm die goldene Medaille zu Theil wurde.

Seine Mutter machte ihm in einem Briefe einen Vorwurf darüber, daß er Deutschland verlassen. Er äußert sich dagegen in folgenden Worten:

„Es liegt ein so mächtiger Trost in der Idee, frei zu sein und bei der allgemeinen Schwäche und Nachgiebigkeit seinen Grundsätzen nachzuleben. Schimpft einst die Nachwelt über die Trägheit unserer Zeitgenossen, so können Alle, die meinen Weg wandeln, ohne Reue zurücksehen auf ihr Leben, und kommt eine bessere Zukunft für das Vaterland, woran ich nicht zweifele, so können wir uns sagen, daß auch wir aus allen Kräften dazu beitragen und also auch unseren Antheil an dem verbreiteten Glück haben. – – – Können wir das alte Haus nicht mehr repariren, so reißen wir es lieber ein und bauen ein neues in einem besseren Geschmack. Natürlich ist es, daß wir den Einsturz einer so alten Wohnung, unter deren schirmendem Dach wir aufgewachsen sind, betrauern; wenn wir es jedoch recht bedenken, so war es wirklich zu eng und zu beschränkend für uns. Sie wundern sich vielleicht, diese Sprache von mir zu hören; allein ich war immer erst Deutscher und dann Oesterreicher.“

Der Prinz stand als Oberstlieutenant und Adjutant bei dem Regiment Utoni unter dem Befehl des Obergeneral Campo Verde. Im Januar 1812 commandirte er bei S. Felio de Codinas eine eigene Brigade. Es kam am 27. Januar zum Kampfe mit den Franzosen. Der Prinz in der Avantgarde wurde bald handgemein mit ihnen. Er, unter den Vordersten kämpfend, erhielt zwei Bajonnetstiche durch die rechte Wange; trotzdem commandirte er weiter. Da wurde er von einer Musketenkugel getroffen, welche

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_409.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)