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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Zwei deutsche Nationalfeste.

Als wäre im lieben deutschen Vaterlande eitel Lust und Glück, eitel Friede und Eintracht zu finden; als gäbe es keinen Bruderstamm im Norden, der noch immer verlassen ist, kein bodenloses Deficit in Oesterreich, kein Bismarck’sches Regiment, keinen Zwiespalt zwischen Krone und Volk in Preußen, keine Mittelstaaten und keinen Bundestag, kein Mecklenburg, kein Kurhessen und kein Nassau, nicht aller Orten und Enden Schmerzensschreie und Schmerzenskinder, keine Rivalitäten und Piquanterien zwischen Nord und Süd – so laut und jubelvoll ist der Monat Juli in’s Land gerückt, ein wahrer Festmond. Noch hallen die Büchsen der deutschen Schützen hinaus in die Niederungen und Marschen am Weserstrande, und schon ziehen von allerwärts, wo die deutsche Zunge klingt und singt, selbst über das Weltmeer herüber, die Vorposten der deutschen Sänger ein in die reizende Königsstadt an der Elbe zu heiterem, liederreichem Feste.

Folgen wir ihren Schaaren, drängen wir einmal zurück Alles, was uns auf der deutschen Brust lastet, zurück die Sorge und Kümmerniß ob unserer staatlichen Wirren und Fesseln; vergessen wir die mancherlei Bedenken, die über das Zeitgemäße einer solchen Doppelfeier in uns aufsteigen wollen, erkennen wir vielmehr an, wie diesen Nationalfesten mindestens das tröstliche Moment nicht abgestritten werden kann, daß sie wieder und immer wieder das Bewußtsein der nationalen Zusammengehörigkeit unter den verschiedenen deutschen Stämmen und Stämmchen wachrütteln und nähren, ein Bewußtsein, das uns schließlich doch zum heißerstrebten Ziele, zur nationalen Einheit, führen muß. Gewiß sind dergleichen von Zeit zu Zeit wiederkehrende Volksfeste, mögen sie ausgehen von Turnern, von Schützen oder von Sängern, ein mächtiger Hebel zur Belebung des Patriotismus, jenes Patriotismus, der sich hinausschwingt über die zwei- und dreifarbigen Schlagbäume und Markpfosten der einzelnen größeren und kleineren Vaterländer und nicht abläßt in seinem Ringen, bis es Wahrheit, lebendige glückliche Gegenwart geworden ist, das tausend und abertausend Male gesungene Wort des alten treuen Arndt: „Das ganze Deutschland soll es sein!“ Und darum grüßen wir die beiden großen Feste, mit welchen sich der ganze Juli von 1865 roth einzeichnet in unsere Kalender und unvertilglich eingräbt in unser Gedächtniß, aus vollem, freudigem, hoffnungsreichem Herzen!

Im gesegneten Franken war es, unter den Burgwällen der alten Veste zu Coburg, wo man am 21. Sept. 1862 den bereits 1861 auf dem Gesangsfeste zu Nürnberg beschlossenen großen deutschen Sängerbund, eine Vereinigung der sämmtlichen einzelnen Gau- und Kreisbünde, wirklich in’s Dasein rief und zugleich Dresden als den Festort für die erste gemeinschaftliche Sangesfeier in Aussicht nahm, obschon den sächsischen Sangesbrüdern, den vielgeneckten „Schmerzenssächsern“, selbst erst im Jahre 1863 der Beitritt zu dem neuen Bunde hochbeustlich gestattet wurde.

Dresden! Weckt nicht der bloße Name schon das günstigste Vorurtheil für die getroffene Wahl? Wir brauchen nicht zu schildern, wie entzückend die Scenerie ist, welche die Natur in wechselreichster Fülle um den Festort gruppirt hat; ein gut Theil unserer Leser kennt aus eigenem Augenscheine – gar viele aus häufigem Augenscheine – die lieblichen Umgebungen, welche, im Verein mit einer Reihe der seltensten Kunstschätze, die sächsische Residenz zu einem Hauptziel der Touristen aller reisenden Nationen, zu einer der bevölkertsten Fremdencolonien auf deutschem Boden gemacht haben. Wer ist nicht schon manch liebes Mal durch das herrliche Stromthal gezogen, das von hier aus sich auf- und abwärts öffnet, durch das romantische Hochland mit den wunderbaren Sandsteingebilden, den grünen Schluchten und weitschauenden Höhen gewandert, welches als „sächsische Schweiz“ Ruf hat weit über Deutschlands Grenzen hinaus? Wem aber noch nicht vergönnt war, sich Aug’ und Herz an dieser Landschaft zu erquicken, den wird ein Blick auf unsere Abbildung mindestens mit einer Ahnung von der Anmuth und Schönheit der erkorenen Festlocalität zu erfüllen im Stande sein.

Wir gehen vom Mittelpunkt der Stadt, dem Schloßplatze aus. Das ist ihr eigentlicher Brennpunkt, hier gruppirt sich fast Alles zusammen, was den Fremden zunächst in Dresden anzieht: Schloß, katholische Kirche, Museum, Zwinger, Theater, Brühl’sche Terrasse und vor Allem auch – Helbig, Helbig die weltbekannte Restauration an der Elbe, mit ihrem Conglomerat von Häusern, mit dem Gewirr ihrer von früh bis spät gefüllten Zimmer, Säle und Galerien und dem langgedehnten prächtigen Platze am Flusse. Hier, vor einer von Helbig’s Thüren, steigen wir in den Omnibus; er trägt uns über die Brücke, die alte berübmte Elbbrücke, – seine „große Brücke“ nennt sie der Dresdener mit Stolz – auf das rechte Ufer in die heitere, weitstraßige Neustadt hinein. Freundlicher und freundlicher werden die Häuser, die Plätze, immer mehr und immer größer drängen sich Bäume und Gärten zwischen die Wohnungen, elegante Lustorte, vornehme Villen winken rechts und links, wir wenden uns näher dem Strome zu, der Wagen hält – wir sind am Festplatze. Ein Blick zeigt uns, wie dieser hinwieder einen der prächtigsten Punkte der prächtigen Gegend einnimmt. Es ist ein imposanter Raum, der sich vor uns ausbreitet, etwa vierundzwanzig Acker groß, und dazu ist jenseits der sogenannten Bautzner Straße behufs Aufstellung der an- und abfahrenden Wagen noch ein Areal von fünfzigtausend Quadratruthen geschlagen, auch die ganze Uferfläche abwärts bis zu dem bekannten Linke’schen Bade in das Bereich gezogen.

Wie grandios und malerisch sich die Festhalle selbst, zu deren Erbauung am 23. März d. J. der erste Spatenstich gethan ward, dem Auge darstellt, hat unsern Lesern bereits eine frühere Nummer der Gartenlaube veranschaulicht. Ein gewaltiger Bau ist’s von größten Dimensionen, einschließlich der Vorbauten und der vier Haupt- und acht Nebenthürme über 270 Ellen lang und 120 Ellen breit, und jeder der vier Hauptthürme mißt von der Grundfläche bis zur Spitze nahe an 130 Fuß; das Ensemble vielleicht noch imposanter als die schöne Festhalle des unvergeßlichen großen Leipziger Turnfestes. Daß der Plan zu dem Bauwerk, wie er von der Prüfungscommission schließlich adoptirt wurde, aus einer Combination der Entwürfe zweier Dresdener Architekten, Ernst Giese und Eduard Müller, hervorgegangen ist, auch das haben wir schon früher erwähnt. Dem erstern der genannten Künstler verdanken wir den artistischen Entwurf, die künstlerische Idee des Ganzen, dem letztern namentlich die originelle und zweckmäßige Construction der Bedachung, für welche er hölzerne Gitterträger empfahl, die von Drahtseilen, nach Art des Kettenbrückensystems, gehalten werden. Wohl Mancher schüttelte anfangs bedenklich den Kopf über dies Wagniß, allein die angestellte Probe hat Müller’s Gedanken glänzend gerechtfertigt, die hinreichende Tragfähigkeit seiner Drahtseile hat sich vollkommen bewährt. Wenn man einem der gespannten Drahtseile eine Last von 145 Centnern aufbürden und wenn eine Kraft von fast 150 Centnern an ihm ziehen durfte, ohne daß sich ein Weichen des Seiles bemerken ließ, viel weniger eine Verletzung desselben eintrat, alsdann darf sich wohl jeder deutsche Sangesbruder und Sangesfreund mit Gemüthsruhe niederlassen unter dem gastlichen Festdache, unter welchem eine Menge von dreißigtausend Menschen mehr oder minder bequem Platz finden wird, sei es im eigentlichen Festraum selbst, sei es in einer der vier Bierhallen oder vor einem der vier Bierbuffets, vor den beiden Weinschänkstätten oder bei den Süßigkeiten der Conditorei, die sammt und sonders der große Holzbau beherbergt.

So wäre denn auch für die verschiedensten stofflichen Bedürfnisse gesorgt, welche neben der Kraft ihre Ansprüche geltend machen, wie man, um die fremden Gäste vor Verlusten infolge der verschiedenen vaterländischen Münzsorten zu bewahren und den Verkehr im Allgemeinen zu erleichtern, hunderttausend besondere Sängerzahlmarken im Werthe von je 1/12 oder 1/20 Thaler (den Preisen des Bieres, des kohlensauren Wassers, des Festweines in den Hallen entsprechend) aus vergoldetem Messing mit eingeprägten Tonzeichen beschafft hat, auch nach einem aus dem fünfzehnten Jahrhundert und aus Ingolstadt stammenden Trinkgefäße eigens gefertigte alterthümlich geformte Festgläser, sogenannte „knorrige“ Becher, als zierliche Andenken an die Jubeltage um billigen Preis feilbieten wird. Nur Eines dürfte Mancher beklagen – daß er in der Festhalle seine gastronomischen Studien nur auf kalte Küche beschränken kann, weil das Festcomité, ängstlicher als das vor zwei Jahren in Leipzig wirkende, kein Heerdfeuer innerhalb der Schranken des Festbaues dulden zu dürfen glaubt, obwohl bei

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_471.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)