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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Stadtthoren ein besonderes Augenmerk auf verdächtige Wagen und ein geheimes Verfolgen derselben bis zu dem Hause an, in welches sie abgeladen würden. Wirklich kam ein Wagen an, der mit Hirschgeweihen beladen zu sein schien, und fuhr in die Judengasse. Auf die Anzeige davon ließ man das betreffende Haus dieser Gasse in allen seinen Räumen durchsuchen. Es fand sich jedoch in ihm nichts von dem Gesuchten; da aber die Sache außer allem Zweifel stand, so ging man sorgfältiger zu Werke und entdeckte endlich eine jener verborgenen Kellerthüren. Auch in dem Nachbarhause, in welches diese führte, war indeß nichts von dem Gestohlenen zu finden; dieses zeigte sich aber endlich, als man auf gleiche Weise noch durch mehrere andere Keller gedrungen war. Uebrigens hatten auch an anderen Orten die Juden die gleiche Einrichtung in ihren Kellern gemacht: in Regensburg sollen früher sogar alle Judenhäuser auf solche Weise mit einander verbunden gewesen sein.

Die Häuser der Frankfurter Judengasse waren, wie die der übrigen Stadttheile, bis zum Jahre 1759 nicht mit Nummern versehen, sondern man hatte sie dadurch von einander unterschieden, daß jedes Haus einen bestimmten Namen trug, welcher auf ein über der Thür angebrachtes Schild gemalt war. Von den alten Namen der Frankfurter Judenhäuser sind manche als Personennamen auf die diese besitzenden Familien übergegangen, wie die Namen Bär, Haas, Hahn, Hirsch, Hecht, Kann, Ochs, Reuß, Rindsfuß, zum rothen Schild, Schiff, Schloß, zum schwarzen Schild, Sichel, Stern, Stiefel, Strauß und andere. Wahrscheinlich hat auch die Familie Rothschild ihren Namen von dem „zum rothen Schild“ benannten Hause (es war das jetzt abgerissene Haus Nr. 69) erhalten. Doch führt dasjenige Haus, welches der Stifter des Rothschild’schen Handelshauses, Maier Amschel von Rothschild, um das Jahr 1780 erkaufte und in welchem alle Kinder desselben geboren wurden, nicht jenen Namen, sondern den „zum grünen Schild“.

Die interessantesten Häuser der Frankfurter Judengasse sind die mit Nr. 118 und Nr. 148 bezeichneten, weil im ersteren Börne geboren wurde und letzteres das Stammhaus der Familie Rothschild ist. Beide Häuser unterscheiden sich durch nichts von den übrigen; namentlich haben sie, wie diese fast insgesammt, eine Breite von nur sechs Schritten und sind von ihren Nachbarhäusern nur durch eine dünne Wand getrennt. Das Börne’sche Geburtshaus hat neuerdings eine Marmortafel erhalten, deren Inschrift besagt, daß in ihm 1786 Börne geboren sei. Das Rothschild’sche dagegen ist durch nichts als solches erkenntlich und wird von der Familie Rothschild unverändert in dem Zustande erhalten, in welchem es von ihrer 1849 gestorbenen Stamm-Mutter bis zu deren Ende bewohnt worden war. Es liegt gerade dem Gäßchen gegenüber, welches den mittleren Ausgang aus der Judengasse bildet. Auf unserer Abbildung in letzter Nummer ist es nicht sichtbar; es stößt gerade an das erste Haus linker Hand an, mit welchem die Illustration beginnt. Dreißig Hänser weiter steht auf derselben Seite das Geburtshaus von Börne.

Die Frankfurter Judengasse geht jetzt ihrem völligen Untergange entgegen, da man die Absicht hat dieselbe sammt ihrer nächsten Umgebung abzubrechen, um neue Straßenanlagen zu machen. Mit ihr wird ein Denkmal der härtesten Beschränkung und Mißhandlung schwinden, welche Tausende von Menschen, ihres Glaubens, ihrer Abstammung und ihrer Sitten wegen Jahrhunderte lang hatten erdulden müssen. Von dem traurigen früheren Zustande der Juden wird dann in Frankfurt keine sichtbare Spur mehr vorhanden sein, während dagegen diese Stadt schon jetzt viele palastartige Privatgebäude, zwei schöne neue Synagogen, ein großartiges Krankenhaus, eine ebenfalls großartige Realschule und zwei schöne Freimaurerlogen darbietet, welche die Nachkommen der noch vor sechzig Jahren in eine finstere Gasse eingeengten Juden mit ihrem neuerdings erworbenen Reichthum sich theils erbaut, theils erkauft haben. Die denkwürdigste Erscheinung aber, die sich an die Frankfurter Judengasse anknüpft, wird immer die Familie Rothschild sein, die, aus einem jener engen und finsteren Häuser hervorgegangen, schon in ihrer zweiten Generation sich einen Reichthum und eine Stellung erworben hat, welche beide nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in allen Zeiten der Vergangenheit ihres Gleichen nicht haben. Es wird sich daher auch wohl eignen, der Schilderung der Frankfurter Judengasse Einiges über die Geschichte jener Familie beizufügen.

Diese Geschichte kann über den Frankfurter Handelsmann Amschel Moses Rothschild hinaus nicht zurückgeführt werden. Von dem Leben und den Verhältnissen desselben hat sich keine Nachricht erhalten. Er war der Vater Maier Amschel’s von Rothschild, welcher das nach ihm benannte weltberühmte Handlungshaus gegründet hat. Maier Amschel selbst war sechs Jahre vor Frankfurts größtem Sohne, vor Goethe, geboren. Als Knabe wurde er von seinem Vater dazu verwendet, daß er mit einem Geldsäckchen bei den Bankiers umhergehen mußte, um Münzen gegen grobes Geld umzuwechseln. Diese Beschäftigung ward für ihn später aus dem Grunde wichtig, weil er dabei mitunter seltene Münzen eintauschte und in Folge davon Interesse an der Münzkunde gewann. Als Jüngling brachte er, da er Rabbiner werden sollte, einige Zeit in Fürth zu und studirte dort jüdische Theologie, gab dies jedoch bald wieder auf, um sich dem Handel zu widmen. In seine Vaterstadt zurückgekehrt, blieb er vorerst nicht in derselben, sondern nahm im Oppenheim’schen Bankierhause zu Hannover die Stelle eines Comptoiristen an, welche er mehrere Jahre mit solcher Geschicklichkeit bekleidete, daß sein Principal ihm die wichtigsten Geschäfte anvertraute. Als er endlich nach Frankfurt heimkehrte, war er bereits ein so tüchtiger Kaufmann, daß er mit Erfolg ein selbstständiges Geschäft gründen konnte. In diesem war er zugleich als Geldwechsler und als Makler thätig, trieb außerdem Handel mit seltenen Münzen, sowie mit altem Silber und Gold und verwandte die erworbenen Geldmittel nach und nach immer mehr zu den Unternehmungen eines eigentlichen Bankiers. Im Jahre 1770 verheirathete er sich mit der Frankfurterin Gutta Schnapper, welche erst 1849 im sechsundneunzigsten Lebensjahre starb und so das Glück hatte, das stets zunehmende Gedeihen der Geschäfte ihres Gatten und ihrer Söhne, ja sogar noch das Emporsteigen ihrer Familie bis zur ersten Geldmacht der Welt zu erleben. Da außerdem zur Zeit ihrer Kindheit die Frankfurter Judenschaft sich noch in der drückendsten Lage befand, das Schicksal derselben aber nachher von Jahrzehnt zu Jahrzehnt sich immer besser gestaltete, bis zuerst 1811 und dann wieder ein Jahr vor dem Tode der alten Rothschild die Frankfurter Juden völlige Gleichheit der Rechte mit den Christen erlangten: so hatte die glückliche Frau zugleich noch die Freude, einen der segensreichsten Abschnitte in der Geschichte ihres Volkes sich vor ihren Augen entwickeln zu sehen. Sie blieb dabei des Dankes, welchen sie und ihre Kinder der Gottheit schuldeten, stets eingedenk und bewahrte sich bis zum Ende ihrer Tage vor dem Uebermuth, welcher sonst so leicht das Herz des Glücklichen beschleicht. Nie verließ sie das finstere, unbequeme Haus, in welchem sie und die Ihrigen glücklich geworden waren. Sie selbst sprach zuweilen aus, daß das Aufgeben dieser Wohnung ihr als eine Sünde erscheinen würde und daß sie überzeugt sei, das Glück werde von ihrer Familie weichen, wenn sie selbst sich überhebend die Hütte verlasse, in welcher dieses Glück gegründet worden sei. Es liegt etwas Großes in diesem Ausspruche der alten Rothschild, dessen Grundgedanke ganz mit dem übereinstimmt, was die alten Griechen vom Neid der Götter und die neueren Dichter von der Eifersucht der Schicksalsmächte gesagt haben, und man muß der alten Frau diese demuthsvolle Lebensansicht um so höher anrechnen, da dieselbe bei ihr nicht auf intellectueller Betrachtung oder historischer Anschauung beruhte, sondern aus tiefer religiöser Empfindung hervorgegangen ist.

Um das Jahr 1780 kauften und bezogen Maier Ämschel und seine Gattin das Haus zum grünen Schild, welches Beide nicht wieder verließen, bis sie als Leichen aus ihm herausgetragen wurden. Dem Sinne der Mutter entsprechend, hat später ihr ältester Sohn, Amschel Maier, dieses Haus auf ewige Zeiten zu frommen und wohlthätigen Zwecken bestimmt. Er hat nämlich in seinem Testament 1,200,000 Gulden zu einer sogenannten „milden Stiftung für die armen Israeliten der Stadt Frankfurt a. M.“ ausgesetzt, deren Zinsen theils für wöchentliche Almosenspenden, theils für Holzaustheilungen an Frankfurter Juden verwendet werden sollen, mit Ausnahme von 7500 Gulden, welche jährlich an arme Juden aus dem Umkreise von zehn Meilen um Frankfurt herum als Almosen zu geben sind. Die Austheilung der Almosen soll im Rothschild’schen Stammhause stattfinden, in welchem ein hiermit beauftragter Beamter der Stiftung seine Wohnung hat und die Sitzungs- und Bureaulocale des leitenden Comités sich befinden. Endlich sollen in dem Hause noch sogenannte Gebetsversammlungen durch zehn dafür bezahlte Israeliten gehalten

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