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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

lassen, um die Lärmer in jungfräulicher Hoheit, mit freundlichen Worten und dargereichten Erfrischungen zu besänftigen.

Mit seiner Nettli machte sich der Pfarrer einst auf den Weg nach Basel, denn es brannte sein Herz, bei dem dortigen Statthalter, für dessen Schriften und Thaten er sich ergriffen fühlte, um eine Unterredung nachzusuchen. Während der Vater seinen Geschäften oblag, weilte die Tochter im Kreise einer befreundeten Familie. Auf einmal ertönte durchs Haus der Ruf: „Unser Statthalter! er reitet vorüber!“ Die Tochter des Hauses öffnete die Fenster und zog das fremde Mädchen heran, damit dessen früher geäußerter Wunsch, Zschokke sehen zu können, erfüllt werden möchte. Hier trafen die Blicke von Jüngling und Jungfrau sich zum ersten Mal, denn auch Zschokke hob, vom Geräusch des Fensteröffnens aufmerksam gemacht, seine Augen empor. Aus der Art, wie später Frau Zschokke die Erzählung dieses ersten Zusammentreffens oft wiederholte, konnte man entnehmen, daß dasselbe auf das Herz derselben einen tiefen, nachhaltigen Eindruck gemacht, während der junge Mann, welcher grüßend zu den Frauen emporblickte, das „Unschuldsgesicht einer jugendlichen Gestalt“ wahrnahm und sich mit seinem kriegerischen Geleite über die Eine, die indeß keiner kannte und die gewiß eine Fremde sein mußte, in ein Gespräch einließ, aber nachher bekennen mußte: „der Genuß des Augenblickes sei, wie mancher andere, verschwunden und vergessen worden.“

Im Frühling des Jahres war es, als die Pfarrerstochter aus einem Concert von Aarau ihrer Heimath zuwanderte, im Herzen bewegt, denn es hatte der frühere Statthalter von Basel, der sie dort einst gegrüßt, sich unter den im Concert Anwesenden befunden. Als sie eben zwischen den Brücken war (die Aare floß früher in zwei Armen an Aarau vorüber, so daß man, um nach Kirchberg zu gelangen, zwei Brücken zu überschreiten hatte), hörte sie eilige Schritte hinter sich ihr näher kommen, und siehe – Zschokke war’s, der ihr nachgeeilt, um sie zu bitten, ihrem Vater seinen baldigen Gegenbesuch anzukündigen.

Nettli hatte auch in Aarau einen tiefen Eindruck auf den Mann gemacht, ohne daß ihm bewußt war, daß sie das nämliche Mädchen sei, nach dessen Namen er sich in Basel vergebens erkundigt hatte. Wie konnte es anders sein, als daß die Herzen sich bald entgegenschlugen, namentlich als Zschokke das nahe Schloß Biberstein zu seinem Aufenthalte wählte und den Besuch im Pfarrhause oft wiederholte, angezogen von dem ruhigen Ernst des Vaters, der damals mit Meier die Gründung der Cantonsschule betrieb und später Pflanzer der Baumschule wurde, angezogen von dem lebbaften und durchdringenden Geist der Mutter, von der Schönheit, häuslichen Einfachheit und schmucklosen Geschäftigkeit Nettli’s und von den noch im Kindesalter stehenden beiden jüngern Schwestern.

Zschokke brachte in die Familie des Pfarrers ein neues Gemüths- und Geistesleben, war Allen Alles: dem Einen begeisterter Theilnehmer an Entwürfen zur Beglückung des Nächsten, dem Andern Kampfgenosse in Witz und Laune, dem Dritten der im Stillen des Herzens geliebte Jüngling, den Kindern unermüdlicher Spielgenosse. Seinem geliebten Mädchen zu Kirchberg gegenüber aber reifte in ihm das Gelübde: „Diese, oder nie eine, zur Gefährtin des Lebens!“ Doch wollte er die Auserwählte weder zur Genossin von Schicksalen machen, die seiner noch in den fortdauernden Stürmen der Staatsumwälzungen warten mochten, noch den Frieden eines unerfahrenen Herzens leichtsinnig mit Hoffnungen stören, welche vielleicht unerfüllt bleiben mußten! Als aber durch die Vermittlungsurkunde Napoleon’s (März 1803) Ruhe in die Schweiz gekommen, als Zschokke Bürger des Aargau (August 1804) und Mitglied des Oberforst- und Bergamtes geworden war (das Buch „der Gebirgsförster“ entstand damals), bewarb er sich um die Hand der Pfarrerstochter und verband sich mit Nettli, die nach des Mannes Wunsch von nun an Nanny hieß, am 25. Februar 1805, vom Schwiegervater getraut.

Groß ist die Zahl der anmuthigen kleinen Erzählungen aus der Bräutigamszeit und den ersten Jahren von Zschokke’s Ehe. Am Hochzeitstage selber wollte er durchaus, daß seine Braut ihn in ihrem Ehrenschmucke, dem Hauskleid nämlich, zur Kirche begleite. Begreiflicherweise wäre für die ganze Frauenwelt im Hause das keine Hochzeit gewesen, und er mußte nachgeben. Dagegen willigte man ein, daß das jüngste Familienglied, damals ein munterer Knabe von anderthalb Jahren, auch mit dabei sei, und der überglückliche Bräutigam freute sich inniglich, als der kleine Schreihals in fröhlicher Laune die Anwesenden in der Kirche mit ihren Namen anrief. Während des Hochzeitsmahles, das, wie nachmals bei allen jüngern Kindern[1] des Hauses, im Pfarrhof selber stattfand, meldete sich ein bejahrter Landmann in althergebrachten, gefältelten Schweizerhosen und Dreispitz und fragte nach dem „Herrn Schwyzerpott“. Die Mutter der Braut, in der Küche beschäftigt, wollte ihn abweisen: der Schweizerbote habe heute keine Zeit zu Geschäften. Da der Alte jedoch große Dringlichkeit vorgab und endlich dem Gesuchten vorgeführt wurde, übergab er demselben jenes allbekannte Lied: „An den aufrichtigen und wohl erfahrnen Schweizerboten zu seinem Hochzeitstage!“ das uns noch jetzt in Hebel’s alemannischen Gedichten so lieblich anspricht. Unter einem Strom von Freudenthränen trug dann dasselbe der Bräutigam im Kreise der Seinen vor.

In den ersten Stunden alleinigen Beisammenseins schloß Zschokke mit dem jungen Weibchen einen Ehevertrag bessern Werthes, als jener gewöhnlich, in welchem man sich gegenseitig um Geldsummen und Aussteuern oder Wittwengehalte vergleicht. Sie kamen nämlich überein in den Grundsätzen, nach denen sie ihre Ehe führen wollten. Was aber damals erst noch gute Grundsätze sein konnten, erhärtete mit den Jahren zu guten Grundgewohnheiten. Sie lauteten: „Wir werden Beide miteinander glücklich sein, so lange wir leben auf Erden; aber wir müssen ein dreifaches Gelübde thun: Von heute an lebe Du für mich und ich lebe für Dich. Wir wollen nie vor einander das geringste Geheimniß haben und, selbst wenn wir gefehlt hätten, es uns einander sogleich offenbaren; dann aber wollen wir unsere häuslichen Sachen Niemandem sagen, damit sich Niemand zwischen uns dränge. Endlich wollen wir niemals gegen einander böse werden und nicht einmal zum Scherz mit einander böse thun, denn aus Neckerei wird oft Ernst und, was man zuweilen thut, daran gewöhnt man sich leicht.“

So begann eine Ehe, die, bis der Tod sie nach vielen Jahren trennte, eine der musterhaftesten und glücklichsten des Landes wurde.

Wie Zschokke vom frühen Morgen an seinen Geschäften unausgesetzt oblag, so mußte es auch bei seiner Frau und den Dienstboten (damals war’s ein Geschwisterpaar, Sämi und Meili), später bei den Kindern sein. So sahen sich Sämi und Meili einst mit großen Augen an, nachdem ihnen der „Herr“ befohlen, sie sollten alle Steine des Gartens zusammenlesen und in eine Ecke schaffen, als das geschehen war, in eine zweite, in die dritte, vierte und endlich wieder zurück in die erste. Die jungen Leute begriffen nicht, daß es ihrem Herrn, bei Mangel an anderweitiger Beschäftigung, daran lag, sie nicht müßig zu sehen. Zu einem Besuch wollte die junge Frau sich in einen Rock mit einer Schleppe kleiden, wie sie damals getragen wurden. Der Mann, dem Einfachheit und Natürlichkeit im Benehmen, in Hausgeräthe, Nahrung und Kleidung über Alles ging, bat seine Nanny, das nicht thun zu wollen. Das Weibchen legte sich auf’s Bitten, dann rannen Thränen hervor; endlich versuchte sie’s mit Trotzen. Da ergriff der Mann ganz ruhig eine Scheere und schnitt vom Rocke, der auf dem Tische lag, weg, so viel er für überflüssig ansah. So gab er seiner Nanny in den ersten Wochen der Ehe zu verstehen, daß er nicht mit sich spaßen lasse, und wiederholt waren wir Zeuge, wie die Ehegatten auch später und wiederbolt jene ruhige Festigkeit des männlichen Willens als Grundstein ungetrübter Eintracht bis an’s Lebensende segneten.

Einst stand der junge Gatte mit seiner Nanny auf den Zinnen des Schlosses Biberstein, hoch über dem Ufer der Aare. Sie, noch neu in häuslichen Sorgen, war in Jammer aufgelöst, denn sie hatte den letzten Thaler des Hauses in der Tasche.

„Wo ist der?“ fragte Zschokke lächelnd, ergriff das dargereichte Silberstück und schleuderte es weit hinaus in die Fluthen des vorüberfließenden Stromes, um anzudeuten, wie wenig ihm an Geld und irdischem Gute gelegen, wie leicht er auch Zeiten des Mangels, voll Gottvertrauen und dem Kummer um Zeitliches das Herz verschließend, ertragen könne. „Jener weggeworfene Thaler,“ bekannte nachmals Frau Zschokke oft, „hat uns in unserer Ehe reichliche Zinsen getragen.“

Zschokke, der für das Komische ein offenes Herz hatte, fand inniges Ergötzen an den Reimereien seines Bibersteiner Schusters,

  1. Louise wurde nachmals Gattin des Rectors Evers an der Cantonsschule zu Aarau und Sophie die des Handelsgärtners Zimmermann daselbst.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_630.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2022)