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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

allmählich langsam erholte und zum ersten Mal wieder, von ihrem Vater unterstützt, an einem Sonntag die Kirche besuchte, hielt die Equipage des Majors zu derselben Zeit vor der Thür des Gotteshauses. Aus derselben stieg der junge Officier, indem er einer schönen, elegant gekleideten Dame die Hand bot. Bald war es im ganzen Dorfe bekannt, daß der Lieutenant sich mit der Tochter eines reichen Gutsbesitzers verlobt habe und mit seiner Braut sich zum Besuch bei seinem Vater aufhalte. Bei dieser Nachricht sah Koch seine Tochter erbleichen und zusammenbrechen.

„Jetzt oder nie,“ flüsterte der böse Geist in ihm.

Nachdem er seine Tochter aus der Kirche nach Hause geführt, schlug er den Weg nach dem Schlosse des Majors ein. Hinter einem Gebüsch lauerte er auf die hier vorüberfahrende Equipage, die Hand an dem Hahn der geladenen Flinte, welche er heimlich unter seinem Rock verborgen hielt. Jetzt hörte er die Räder des Wagens näher rollen, er machte sich schußfertig. Ohne Zittern zielte er auf den Lieutenant, der sich in diesem Augenblick zärtlich zu seiner Braut hinüberbeugte. Ein Druck mit dem Finger, ein heller Blitz, ein lauter Knall – und der Officier war eine blutige Leiche.

Ohne an die Flucht zu denken, kehrte Koch in das Dorf zurück, aber statt in sein Haus zu gehn, suchte er den Ortsschulzen auf, indem er ihm offen gestand, daß er den Verführer seiner Tochter erschossen und Gerechtigkeit geübt habe. Anfänglich hielt man ihn für wahnsinnig und wollte ihm das Ungeheuere nicht glauben, bald aber wurde die Wahrheit bekannt. An das nächste Gericht abgeliefert, blieb Koch bei seinem Bekenntniß stehen, ohne daß er seine That zu beschönigen oder zu entschuldigen versuchte. Trotz der beredten Vertheidigung seines wackeren Rechtsanwaltes wurde er einstimmig wegen Mordes zur Hinrichtung durch das Beil verurtheilt, in Anbetracht seiner bewiesenen Tapferkeit und seines Wohlverhallens indeß begnadigt. Gegen seinen Willen war das Begnadigungsgesuch von seinem Vertheidiger eingereicht worden, da er selbst den Tod hundertfach dem Verlust seiner Freiheit vorzog. Er glaubte sogar, daß ihm ein neues Unrecht hierdurch zugefügt worden sei, und verlangte, natürlich vergebens, die Vollstreckung des gegen ihn gefällten Todesurtheils.

Obgleich er sich anscheinend in sein Schicksal endlich ergab und als Gefangener durch sein musterhaftes Betragen und seine mir bekannte Vergangenheit meine ganze Theilnahme zu erregen wußte und ich ihm in jeder Beziehung sein trauriges Loos zu erleichtern suchte, so dachte der an Freiheit und Ungebundenheit gewöhnte Mann vom Anfang seiner Haft nur auf seine Flucht. Die Sehnsucht nach Freiheit schien ihn in den ersten Wochen förmlich aufzuzehren, so daß er ernstlich krank wurde. Bei seiner kräftigen Natur erholte er sich jedoch bald wieder so weit, um an die Ausführung seiner Pläne zu gehen. Mehrere Versuche wurden entweder rechtzeitig entdeckt oder durch unerwartete Hindernisse vereitelt. Ich selbst glaubte, daß er die Thorheit seiner vergeblichen Bemühungen endlich eingesehen, und ließ mich durch seine Ruhe vollkommen täuschen, so daß ich ihm nach und nach wieder mehr Freiheiten gestattete. Ich brauchte ihn zu verschiedenen Dienstleistungen für die Anstalt, um ihn den entehrenden Beschäftigungen der gewöhnlichen Zuchthaussträflinge zu entziehen; er konnte daher in den Höfen sich frei bewegen und mit seinen Freunden, besonders mit seinem Sohne, der ihn damals wiederholt besuchte, ungehindert verkehren.

Mit diesem hatte er einen neuen Fluchtplan verabredet, den er diesmal auch mit wahrhaft bewunderungswürdiger Kühnheit ausführte, indem er in einer dunklen Nacht sich von dem Dache seines Gefängnisses an einem heimlich ihm zugesteckten Seil mit Gefahr seines Lebens herunterließ, die hohe Mauer überstieg und durch den breiten Graben glücklich an das jenseitige Ufer schwamm, wo sein Sohn ihn bereits erwartete, um mit ihm ein nach Amerika bestimmtes Schiff in Bremen zu besteigen. Beim Erklimmen der Mauer war jedoch die in der Nähe aufgestellte Schildwache durch das von ihm verursachte Geräusch aufmerksam gemacht worden und hatte, da auf ihren Anruf keine Antwort erfolgte, ihr Gewehr abgefeuert, ohne in der Finsterniß den Flüchtling zu treffen. Dieser war indeß mit seinem Sohne, so schnell es seine Kräfte gestatteten, weiter geeilt, bei ihrer beiderseitigen Unkenntniß der Gegend und der herrschenden Dunkelheit aber in einen Sumpf gerathen, aus dem so leicht kein Ausgang zu finden war. Es blieb ihnen daher nichts übrig, wenn sie nicht versinken wollten, als in einem dichten Binsengebüsch den Morgen zu erwarten und dann ihren Weg weiter fortzusetzen.

Unterdeß war die Flucht des Unglücklichen mir gemeldet worden, und getreu meiner Pflicht mußte ich seine Verfolgung mit widerstrebendem Herzen anordnen. Da ich selbst gerade leidend war, gab ich einem erprobten Gefängnißwärter, der sich drei Mann von der Wache zu Hülfe nahm, den Auftrag zur Habhaftmachung des Gefangenen. Die Verfolger wurden bald durch die hinterlassenen Spuren auf den richtigen Weg geleitet und näherten sich in dem mitgenommenen Kahne dem, wie es ihnen schien, unzugänglichen Versteck des Flüchtlings. Die wiederholte Aufforderung, aus den Binsen hervorzutreten und sich zu ergeben, blieb ohne Erfolg. Der sumpfige Boden konnte nicht ohne Gefahr betreten werden und diente den Verfolgten zum Schutz. Unter diesen Umständen hielt sich der Gefangenwärter nicht nur für berechtigt, sondern sogar für verpflichtet, Feuer geben zu lassen. Die Soldaten schossen ihre Gewehre in das Binsendickicht ab und bald darauf stürzte der arme Sohn hervor, in seinen Armen hielt er den zu Tode getroffenen Koch, ein Bild des Jammers und Entsetzens, mit Blut bedeckt, zusammenbrechend und verröchelnd.

So endete der Unglückliche, den sein Ehrgefühl und Gerechtigkeitssinn zum Mörder gemacht. Ich sorgte wenigstens für ein angemessenes Begräbniß. Seine Hinterbliebenen sind, wie ich nachträglich erfahren habe, nach Amerika ausgewandert. Das Geld zur Ueberfahrt und zum Ankauf einer kleinen Farm hat ihnen ein unbekannter Wohlthäter heimlich zukommen lassen. Ich glaube wohl, es wird der Major gewesen sein.

Max Ring.




Eine Causerie von Alexander Dumas.[1]

Meine Damen und Herren! Diesmal erlauben Sie wohl, keine weitere Einleitung einer Causerie vorauszuschicken, welche mich selbst zum Gegenstande haben soll. Der Saal ist gefüllt; Sie haben fünf und zwei Gulden für Ihren Platz gezahlt, offenbar also, daß ich Ihnen ein interessanter Gegenstand meiner Plauderei sein muß. Ich danke Ihnen und bemerke nur, daß mir gleich schmeichelhafte Auszeichnungen schon vielfach widerfahren sind, früher an dem kleinen Hofe des alten Herzogs von Orleans, dann an dem des jungen; in Italien, wo mich mein Freund Garibaldi zum Director der Museen von Neapel machte … aber ich will nicht mit dem Besten zuerst beginnen, sondern Ihnen zunächst von meiner Geburt erzählen.

Ich weiß eigentlich so wenig davon, wie alle übrigen Menschen. Aber ich besaß einen Vater, den General Dumas, einen der ausgezeichnetsten Officiere des Kaiserreichs, der leider schon vier Jahre nach meiner Geburt in Villers-Cotterets starb, wo ich am 24. Juli 1802 das Licht dieser Welt erblickt hatte. Ich bin also nur zwei Jahre jünger, als mein Jahrhundert. Meine Ahnen sind die Marquis de la Pailleterie; ich bin in Wahrheit ein Marquis und ein Pailleterie, und wenn ich im Allgemeinen auf diesen Namen verzichte, so geschieht es, weil ich es nicht ändern konnte, daß mein Großvater, der Marquis Antoine Davy de la Pailleterie, mittels der Negerin Tinette Dumas das Geschlecht der Dumas auf die Welt setzte, und weil ich, wie Napoleon, der erste Ahn meines Geschlechts bin, ein berühmter Mann, den die Welt unter dem Namen Alexander Dumas kennt.

Wie Alle, war auch ich Kind, ein hübsches Kind mit Locken und von weißem Teint, bis sich plötzlich die Locken verloren und der Teint durch das Blut meiner schwarzen Großmutter bräunte.

Das hat nicht verhindert, daß ich seiner Zeit eine der stattlichsten Figuren von Paris bildete, ein interessanter Mann war, wie man sagt. Heute sehen Sie mich als behäbigen Bonhomme, einen heiteren

  1. Unsere Leser wissen, daß unlängst Alexander Dumas Vater Deutschland als Vorleser oder „Causeur“ (Plauderer), wie er sich selbst in dieser Eigenschaft nennt, abzugrasen versuchte. Es ist daher wohl von Interesse, eine solche Dumas’sche „Plauderei“, wie sie annähernd gehalten worden ist, näher kennen zu lernen.
    D. Red.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_823.jpg&oldid=- (Version vom 28.12.2022)