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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Hier geht unserem wandernden Volksapotheker sein Theriak aus, und da er sich aus Furcht, als entlaufener Soldat von den kaiserlichen Besatzungen wieder eingefangen zu werden nicht in die Städte getraut, so muß er sich einstweilen anders zu helfen suchen. Er weiß sogleich Rath, kauft sich zwei Maß Branntwein, färbt ihn mit Safran, füllt ihn in halblöthige Gläschen und verhandelt ihn der glaubensstarken Bauernschaft als ein kostbares Goldwasser, welches gut für das Fieber sei, und womit er an seinem Branntwein gegen dreißig Gulden verdient. Als ihm die Gläschen ausgehen, will er sie in einer Glashütte bei Philippsthal ergänzen, hier aber erreicht ihn die Nemesis in Gestalt einer Streifpartie aus der genannten Festung, die ihm Alles, was er den Bauern abgezwackt hat, wieder abnimmt und ihn nöthigt, wieder in die Soldatenjacke zu kriechen und dem Kalbfell zu folgen. Schade um sein Genie, er hätte es damit vermuthlich noch zu der vornehmeren Species der Doctores Eisenbart gebracht, die wir jetzt schildern wollen.

Der Eisenbart höherer Ordnung ist gewöhnlich ein gravitätischer Herr mit großer Lockenperrücke, rothem oder zeisiggrünem Rock, Dreispitz und Galanteriedegen. Aus den Aermeln schauen Spitzenmanschetten hervor, die Finger zieren Ringe mit funkelnden Steinen, die Schuhe silberne Schnallen. Er kündigt sich als Doctor mehrerer Facultäten, als weitgereister, in vielen Wissenschaften erfahrener Mann in Reden an, die zuweilen mit lateinischen und griechischen Floskeln gespickt sind. Geringschätzig steht er auf die niederen Branchen des Geschäfts herab, denn er kann sich einen Bedienten halten und zieht wohl gar in eigenem Fuhrwerk zu Markte. Ein anderer Unterschied freilich besteht zwischen ihm und den weniger anspruchsvoll auftretenden Collegen nicht. Er ist derselbe Gauner, nur schneidet er im höheren Stil auf, und während jene ihre Waare auf einem einfachen Tisch ausbreiten und mit ein paar Taschenspielerstückchen die Menge anlocken, perorirt er von einer prunkend ausstaffirten Bühne zu den Massen, oder führt, um die Augen auf seinen Kram zu lenken, förmliche Komödien auf, in denen sein Bedienter, bisweilen auch seine Frau oder sonst ein Compagnon mit ihm auftritt. Bilder mit Wundercuren seiner Elixire und Pflaster mit ungeheuerlichen Operationen, Zettel mit bombastischen Anpreisungen der Panaceen, die er feil hat, Gläser mit Schlangen, Kröten oder Mißgeburten in Spiritus müssen ihm wirthschaften helfen. Häufig läßt er sich durch Trommelschlag in den Gassen oder durch schmetternde Trompeten von seinem Gerüst herab der Welt als der große, Alles heilende, kaiserlich, königlich, desgleichen päpstlich privilegirte Magus Bombastus Theophrastus ankündigen. Häufig treffen mehrere der Art auf einem Markte zusammen, und lustig ist es dann, zu sehen und zu hören, wie sie sich einander den Rang abzulaufen suchen. Viele dieser Doctoren sind Italiener, die sich besonders gut auf bezeichnende Gesten und große Worte verstehen. Die meisten treiben dabei die Kunst des Zahnausziehens, die natürlich öffentlich, auf der Schaubühne, ausgeübt wird. Manche verkaufen außer ihren angeblichen Arzeneien, unter denen der Theriak immer die erste Stelle einnimmt, auch Liebestränke, Schönheitsmittel, Amulette und Brillen. Der Eine hat Wurmsamen, der Andere Bilsensamen gegen Zahnweh feil, ein Dritter Philosophenöl und die „Quintessenz, womit man bald reich werden kann“, ein Vierter oleum Tassi barbassi wider den Frost. Wieder ein Anderer preist Salbe zur Stärkung des Gedächtnisses, noch ein Anderer eine köstliche Pommade aus Hammelschmalz gegen den Schorf an. Daß bei den Meisten auch Menschenfett, Mückenfett und ähnliche von dem altgläubigen Landvolk noch heute hochgeschätzte und vielgesuchte Artikel zu haben sind, versteht sich von selbst.

Hier, etwas von den Bildern eines solchen Marktes aus dem siebenzehnten Jahrhundert. Gehen wir hinüber zunächst an jene Ecke, wo so ein Fortunatus mit seiner Fributa das Spiel begonnen hat. Er hat eine Stimme wie Stentor und gesticulirt wie eine Windmühle. Jetzt erzählt er eine lustige Anekdote, jetzt eine neue Nachricht von Krieg und andern Staatsactionen. Dann folgt ein Dialog zwischen Beiden mit allerlei groben Späßen und Zweideutigkeiten, dann Gesang, dann ein verstellter Zank mit seinem Bedienten, der mit einer Prügelsuppe endigt. Bald lacht er, daß ihm die Augen überlaufen, bald wird er pathetisch, bis er endlich meint, genug Volk angelockt zu haben, und nun zur Hauptsache, zum Herausstreichen der köstlichen Mittel übergeht, die er zum Heile der geschätzten Umstehenden mitgeführt hat.

Fortunatus ist eben im besten Verkaufen, als an einer andern Ecke Trompetenstöße ertönen und ein College sich ankündigt, der ihm den besten Theil seiner Kunden abspenstig macht. Er hat ein Mädchen in Knabenkleidern bei sich, die wie ein Affe durch einen Reifen springen kann und ähnliche Jongleurstückchen mit Virtuosität ausführt. Während die Kleine sich producirt, erzählt ihr Herr der Menge allerlei Possen und Schwänke, bis auch er auf das eigentliche Capitel kommt, seine Salbenbüchsen und Medicinflaschen offerirt und den Einen und den Andern beredet, davon zu kaufen.

Wieder an einer andern Ecke tritt mit Trommeln und Pfeifen ein großer, bunter Herr auf die Bühne, daß alle Welt zusammenströmt, zuhören, was er zu sagen hat. Er unterhält sich mit seinem Knecht im Stil unserer heutigen Kasperle-Theater. Der Herr erklärt dem Knecht, wie er ihn liebe, dieser aber macht allerlei Grimassen, renommirt, daß er sich für den guten Herrn Doctor todtschlagen lassen will, kriecht aber, als andere Schauspieler, die als Feinde des Doctors auftreten, auf dem Gerüste erscheinen, zitternd unter die Bank und schreit, daß der ganze Markt herbeiläuft, worauf auch für den Herrn Wunderdoctor und Theriakskrämer dieser Ecke die Zeit gekommen ist, merken zu lassen, woran ihm gelegen ist, nämlich mit seiner kostbaren Arzenei allen Beladenen zu dienen und zunächst die, welche an ihrem Gelde zu schwer zu tragen, von solchem Ungemach zu erlösen.

Bisweilen kommt auch ein Herr Magister So und So mit seiner Apotheke für allerlei Gebrest angezogen, von deren wunderbaren Tincturen und Mixturen er eine Weile tapfer lügt, bis die Bauern ihren Säckel ziehen. Will sich das nicht machen – es ist gar zu viel Concurrenz – so bestellt er ein paar gute Freunde, die sich herzudrängen und ihm abkaufen. Sie geben dann in der Regel vor, schon früher seinen unübertrefflichen Theriak oder seine Alles heilende Wundsalbe gebraucht zu haben und ihm weit nachgereist zu sein, um sie sich wieder zu verschaffen. Mit lauter Stimme und vor Freude weinend, den verehrten Wohlthäter der Menschheit endlich wiedergetroffen zu haben, preisen sie die Güte seiner Waaren. Die Umstehenden lassen sich das natürlich gesagt sein. Sie kaufen, was sie vermögen, und der gute alte Herr ist noch so liberal, daß er jedem der Kunden noch ein Dütchen mit Wurmsamen für die Kinderlein zu Hause oder sonst etwas für das Fieber, für Zahnschmerzen, für das Ohrensausen und dergleichen verehrt, „was allein schon das Geld werth ist, und wo gar Mancher viel darum gäbe, daß er es nur sehen möchte“.

Endlich erschien auf Messen und Jahrmärkten noch ein ganz besonderer Stamm der medicinischen Marktschreier, die „Söhne des heiligen Paulus“. Sie zogen, wie in Matthäus Merian’s „Allgemeiner Schauplatz aller Künste, Professionen und Handwerke“ erzählt wird, mit einer großen, fliegenden Fahne auf, deren eine Seite der Stammvater ihres Geschlechts, Sanct Paulus mit seinem Schwert, schmückte, während die andere einen Haufen Schlangen zeigte, „welche also gemalet sind, daß man sich fürchtet, von ihnen gebissen zu werden.“ Sobald sie aufmarschirt sind, fängt Einer von Ihnen an, den Ursprung ihres Geschlechts zu erzählen, wie der Apostel der Heiden auf der Insel Melite von einer Otter gebissen worden, aber ohne Schaden, und wie dieselbe Gnade nachher sich auf seine Nachkommen (Paulus war bekanntlich unverheirathet) fortgepflanzt habe. Der Redner versichert, man habe dies vielfach probirt, vielfach Anfechtung erlitten, aber allezeit die Oberhand behalten, wie mit Brief und Siegel zu beweisen sei. Endlich ergreift er die auf dem Tische oder der Bank stehenden Schachteln und langt aus der einen – gräulich anzusehen! – einen zwei Ellen langen und armsdicken Molch, aus der andern eine große Schlange. Bei einem jeden der garstigen Reptilien erzählt er, wie die Brüderschaft ihn gefangen, als die Bauern beim Kornschneiden gewesen, die deshalb in großer Gefahr gestanden hätten. Darüber erschrecken die Landleute dermaßen, daß sie nicht wieder nach Hause gehen zu dürfen meinen, sie hätten denn zuvor eins von den Pulvern eingenommen, welche der Nachkomme des heiligen Paulus ihnen jetzt anbietet und welche vor allem Biß giftiger Creaturen schützen. Und je mehr sie kaufen, desto mehr Schachteln werden geöffnet: in der einen liegt eine rauhe Otter, in der anderen ein todter Basilisk, in einer dritten eine Tarantel aus Campanien, wieder in einer andern ein junges Krokodil aus Aegypten oder eine indianische Eidechse. Daß einige dieser schrecklichen Thiere gar nicht, andere nicht bei uns existiren, weiß die Einfalt vom Lande nicht, und so zieht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_392.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)