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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Nachthimmel sein Himmelbett, wenn’s nicht regnet, so daß der Mann fröstelnd erwacht und sich als Insel wiederfindet, wie es uns fast vierzehn Tage ununterbrochen erging. Der Officier wickelt sich in seine wollene Decke, sonst ist sein Comfort derselbe.

Drüben in der Ferne, durch einen dunklen Raum von uns getrennt, in dem nur hin und wieder das kleine Feuer einer einsamen Feldwache wie ein Irrlicht aufflammt, ziehen sich im Halbkreise andere Feuer weithin, es sind die Wachtfeuer der Oesterreicher, an denen just dasselbe getrieben wird, was bei uns. Von Zeit zu Zeit verschwindet ein Feuer, um dann wieder aufzutauchen, ein Zeichen, daß die Mannschaften bei demselben zuweilen zwischen uns und ihrem Feuer stehen.

Anders geht es im Schlosse her. Vor demselben und auf seinen Höfen stehen die seltsamen Wagen des zahlreichen Trosses, welcher zum Ober-Commando der Armee gehört; die etwa dreihundert Pferde sind in Ställen oder Remisen untergebracht, aus denen die eleganten Carossen des Prinzen Rohan haben weichen müssen, um im Freien zu campiren. Sämmtliche Herde der Wirthschaftsbeamten sind von der Dienerschaft des Ober-Commandos, der Stabswache, von Reitknechten etc. in Beschlag genommen; wer dort nicht mehr ankommen kann, kocht ebenfalls im Freien. In der herrschaftlichen Küche brodelt und duftet es gar köstlich, der reiche Weinkeller des Schlosses sendet seine Spenden gezwungen an’s Tageslicht. Vor dem Balcone nach der Gartenseite stehen in langer Reihe eine Anzahl Sessel, auf denen der Prinz und seine Officiere sitzen; andere Herren stehen daneben oder wandeln im Gespräch umher. Der Prinz raucht, wie immer, seine Cigarre aus einer langen, dünnen Cigarrenspitze, er sieht, wie gewöhnlich, ernst aus und spricht kurz und selten. Kein Theil des Gesichtes bewegt sich dabei, als die Lippen: die Augen scheinen unbewegt und doch entgeht ihnen Nichts; die rechte Hand steckt in der Tasche des blauen Attila’s, die linke hält das Cigarrenrohr, den Kopf bekleidet die rothe, blaugerandete Husarenmütze, das Kinn umwölkt ein leichter, im Frieden unmilitärischer Bart. Dort, der hohe, braunbärtige General ist der General-Quartiermeister v. Stülpnagel, jener gemüthlich Dreinschauende der kluge Chef des Generalstabes, v. Voigts-Rheetz, hier der riesige Ulanenmajor ist der Commandant des Hauptquartiers v. Schack. Herr v. Radowitz, Neffe des Grafen Bismarck, Landwehrhusaren-Officier und sonst Attaché der Gesandtschaft in Paris, zeichnet sich durch seine elegante Erscheinung aus; er wird als Diplomat zu Parlamentär-Aufträgen verwandt. So stehen oder sitzen die Herren in Gruppen bei einander. In einiger Entfernung ist im Halbkreise aufgestellt das Musikcorps eines im Bivouak vor uns liegenden Regiments postirt, und läßt bald sanfte, bald feurige Weisen ertönen. Da sprengt plötzlich ein Ordonnanzofficier in den Garten; im Nu ist er vom Pferde herunter und nähert sich in streng militärischer Haltung, sein Pferd am Zügel nach sich führend, dem Prinzen. Dieser steht auf und geht dem Officier einige Schritte entgegen. Alle Gruppen ringsum sind versteinert, die Musik schweigt, kein Laut wird gehört, Jeder ist begierig auf die Botschaft. Der Prinz sagt jetzt etwas seinem Nachbar, dieser giebt es weiter und nun ist wieder Bewegung in dem bunten Kreise. Man tritt enger zusammen, man spricht lebhafter, bis es zum Nachtmahl geht, nachdem die Kerzen im Schlosse sich entflammt haben. Weithin in die Nacht leuchtet jetzt die stattliche Fronte des Gebäudes hinaus; endlich erlöschen auch hier die Lichter und der Schlaf beginnt seine Herrschaft auch hierher auszudehnen.

Doch nicht lange sollen wir uns seiner freuen. Plötzlich tönt das Horn des Signalisten durch den grauenden Morgen. Halb schlaftrunken noch richtet sich hier ein Kopf, dort ein Arm aus dem Getreide empor, das unsere Lagerstätte und Hütte war, bis wir uns Alle aus den Halmen herauswinden und in den dämmernden Tag hinaussehen. Was ist das für ein Grollen, welches uns an’s Ohr schlägt? Wahrhaftig es sind Gewehrschüsse, nein, ganze Gewehrsalven. Da muß ganz nahe ein nächtlicher Kampf wüthen! Rasch ist jetzt aller Schlaf aus den Augen, eilig sind wir auf den Füßen, der Boden zittert uns ordentlich unter ihnen. Wir brechen auf, und bald berühren wir den Ort, in dem kein Haus ganz geblieben ist, dessen Straße Verhaue begrenzen und durchschneiden, wo weit und breit Waffen und Tornister ausgestreut sind, wo frische Grabhügel dem Wanderer ein „Stehe still!“ zuwinken und von wo aus auch wir bald mitten in das Schlachtgetümmel einrücken.

J. B.




Aus dem Harz.
Wanderblätter von Rudolf Gottschall.
I.

Frische Wald- und Bergluft zu athmen trieb es uns fort in den Harz; Lorbeeren, Blut und Wunden, Ruhm und Elend der Menschheit bestürmten in den Telegrammen und Nachrichten der Zeitungen Herz und Sinn. Wer eine regsame Phantasie hat, wenn er auch zu thatenloser Ruhe verdammt ist, der schlägt endlich alle Schlachten mit und steht mehr im Feuer, als ein starknerviges Naturell, das nur immer den Eindrücken des Augenblicks folgt. Alle Kugeln gehen gleichsam durch seine Brust und wenn er im Geist über die Schlachtfelder wandelt, so faßt ihn der Menschheit ganzer Jammer an! Er stimmt ein in die Sieges- und Triumphrufe, er fühlt das bedrückende Gefühl der Niederlage mit. Wir leben in einer großen Zeit, doch auch von einer solchen muß man sich erholen, denn ihr Joch ist nicht sanft und ihre Last nicht leicht.

Nur auf großen Umwegen kann man aus Mitteldeutschland den Harz erreichen. Wir fuhren über Magdeburg, zu dessen Merkwürdigkeiten außer dem Dom auch der Bahnhof gehört, eine Art von Centralbahnhof ohne Centrum, wie Gummi Elasticum in die Länge gestreckt, so daß auf dem Perron bequem Meusel seine Schnellläufe veranstalten kann, während gewöhnliche Menschenkinder sich außer Athem laufen, und dabei von einer spartanischen Einfachheit, die jede Eleganz verschmäht. Zwischen Magdeburg und dem Harz kann man einen Cursus deutscher Literaturgeschichte aus dem vorigen Jahrhundert absolviren. Die ehemalige fette Pfründenstadt Halberstadt erinnert uns an den Kanonicus Gleim, der ein so friedliebender Mann war und dabei so hübsche Kriegslieder sang; der so recht con amore mit dem Schwert an die Leier schlug und sich als Dichter die preußische Grenadiermütze aufstülpte, während er als Mensch ein ehrwürdiges Sammtkäppchen trug; der ein offenes Herz hatte und einen offenen Beutel für alle armen Poeten, für alle im Irrgarten der Musen umhertaumelnden Cavaliere der Feder. Friede seiner Asche! Der eine Mann war eine ganze Schillerstiftung für das achtzehnte Säculum und sein Bild verdient eine Stelle im Musensaal dieser Stiftung, welche gegenwärtig durch die Ironie des Schicksals aus Deutschland hinaus verschlagen ist, seitdem die Eschenheimer Gasse in Frankfurt sich in eine große deutsche Sackgasse verwandelt hat.

In Quedlinburg aber, der Geburtsstadt Klopstock’s, gedenkt man des Sängers der Messiade, um den sich die raschlebige Gegenwart wenig mehr kümmert. Es ist ein Glück für den Sänger, daß er mehr als eine „Specialität“ hatte und außer für den Messias auch für das Schlittschuhlaufen begeistert war. Der Messias ist oft gefeiert worden, das Schlittschuhlaufen aber so selten, daß Klopstock’s Ode mehr Aussicht hat auf Unsterblichkeit, als sein Heldengedicht, denn jeder nimmt von den Musen, was ihm gefällt, und bleibt ihnen sehr dankbar, wenn sie einmal sein Steckenpferd streicheln. Die Schlittschuhe – das ist ein realistischer Kothurn – den läßt man sich auch in einer Zeit gefallen, in der man die gefallenen Engel nicht mehr in den Gesängen der Messiade, sondern in dem Jardin Mabile und der Closerie des Lilas sucht.

Welche Fortschritte diese Zeit gemacht, das lernt man in Thale schätzen, wenn das Dampfroß hält gegenüber den Granitfelsen des Bodethals. Wer da zweifeln wollte, daß wir auch in Deutschland uns allmählich zu pennsylvanischer Gediegenheit aufschwingen, den würde das Hotel Zehnpfund in Thale eines Bessern belehren. Dies Hotel ist nach dem Muster der nordamerikanischen Massenhotels eingerichtet und hat in deutschen Landen nicht seines Gleichen. Da steht dies argusäugige Ungeheuer von einem Gasthof mit seinen im Sonnenschein blitzenden zahllosen Fenstern, seiner mächtigen Façade, seinen zwei nicht minder gewaltigen Flügeln, denen sich noch ein rückwärts angebautes Mittelstück

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_543.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)