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Eine Reise hatte mich in den ersten vierziger Jahren nach Gera geführt; es war an einem prachtvollen Herbsttag und ich trat eben, um mir die Umgebung zu besehen, aus dem Thor des Gasthofs „zum silbernen Roß“, auf dem schönen Hauptmarkte Gera’s gelegen, als ich Generalmarsch schlagen hörte.

„Feuer, Feuer …!“ riefen einige Straßenbuben. „Rebellion!“ rief ein Dritter. Soldaten rennen in Sack und Pack an mir vorüber. Ein Menschenhaufe sammelt sich, aber man sieht weder etwas von einem Feuer, noch gar von einer Rebellion. Ich folge der Menge und erfahre endlich, daß Durchlaucht von Ebersdorf, welcher eben in der Stadt anwesend war, um die Garnison auf die Probe zu stellen, an die Hauptwache herangeritten war und dem Tambour befohlen hatte, in den Straßen Alarm zum Sammeln zu schlagen. Die Truppe, vielleicht etwas über hundert Mann, war eben angetreten, als Durchlaucht vor der Fronte erschien. Es wurde „Gewehr auf“ und „Marsch“ commandirt. Ich hatte nichts Besseres zu thun und folgte der Colonne, an deren Spitze der Fürst ritt. Auf einem großen Anger, weit außerhalb der Stadt, wurde „Halt“ gemacht. In bescheidener Ferne blickte ich dem Exerciren zu. Die Uebung dauerte nicht lange. Schon nach einer halben Stunde wurde der Rückweg angetreten.

In dem Augenblicke, da der Fürst an mir, der ich ehrfurchtsvoll grüßend am Wege stand, vorüberritt, hörte ich ihn mit seiner eigenthümlich gedehnten und etwas quäkend klingenden Stimme zum Compagniechef sagen: „Aber, Hauptmann, lassen Sie die Leute doch das Nationallied singen …“ „Das Nationallied?“ dachte ich und erwartete nichts Anderes, als Arndt’s: „Was ist des Deutschen Vaterland?“, nicht wenig im Stillen mich wundernd über den nationalen Sinn dieses Reußenfürsten, den man allgemein für einen der größten Demagogenhasser hielt. Ich bat dem Fürsten heimlich das an ihm begangene Unrecht ab. Aber wie erstaunte ich, als aus den Kehlen dieser braven Krieger ein Lied hervorbrauste, dessen Melodie nur durch den Text an Merkwürdigkeit übertroffen wurde. Ich schrieb mir den Text dieser reußischen Nationalhymne, der übrigens nur aus einem Vers bestand, was das einzig Gute an ihr war, auf. Er lautete:

„Es leb’ das reußische Haus
Und Alle, die daraus
Fürst Reußen nennen sich.
Absonderlich Reuß Heinrich, Hurrah!
Absonderlich Reuß Heinrich, Hurrah!
Der Lobenstein führt
Und Ebersdorf ziert –
Zu aller Reußen Lust!“

Schade, daß ich nie den Namen des reußischen Tyrtäus, des Dichters dieser Hymne, erfahren konnte. Mir wurde nur versichert, daß sie auf allerhöchsten Befehl gedichtet und componirt worden sei. Im März des Jahres 1848 hörte ich sie zum letzten Male. Seit dieser Zeit ist sie auch auf immer verstummt.

Die Reiselust des Fürsten habe ich schon erwähnt. Aber eine Episode aus seiner ersten italienischen Reise verdient noch besonders hervorgehoben zu werden. Es war in Neapel. König Bomba, welcher damals regierte, hatte zu Ehren Heinrich’s des Zweiundsiebenzigsten eine Fête veranstaltet. Damals war es beim Hofe von Neapel Sitte, Sammetröcke zu tragen. Heinrich der Zweiundsiebenzigste wußte dies und erschien in einem grünen, sehr elegant gearbeiteten Sammetrocke, welcher die Aufmerksamkeit des Prinzen von Capua erregte.

„Der Rock kleidet Ew. Durchlaucht vortrefflich,“ meinte der geistreiche Bourbonenprinz.

„Ich habe einen in Ebersdorf, der mir noch besser gefällt,“ entgegnete der Fürst. Damit endete die Unterhaltung.

Zehn bis zwölf Tage später kommt ein Courier Serenissimi mit einem allerhöchsten Handschreiben an den Archivsecretär v. W. in Ebersdorf an. Der Secretär, der, nebenbei bemerkt, ein einfacher Bürgerlicher war, wundert sich ebenso sehr über seine Standeserhöhung, wie über das allerhöchste Handschreiben, das er mit ehrfurchtsvoller Miene betrachtet, bevor er das Siegel löst … Und was stand in dem Schreiben, das der Courier aus Neapel gebracht? Der Secretär möge ihm, Serenissimo, sofort den grünen Sammetrock, den er neulich aus Paris erhalten, schicken! Acht Tage darauf kommt der Courier wieder in Neapel an – und mit ihm der Sammetrock! Am nächsten Tag erschien Durchlaucht in dem Rocke und bewies dem Prinzen von Capua, daß dieser ihn in der That noch besser kleide, eine Genugthuung, gegen welche die zweihundert Thaler, die ihm der Courier gekostet, nicht in Betracht kamen …

So verflossen in Glanz und Herrlichkeit die Tage dieses deutschen Souverains, bis endlich auch sein Verhängniß sich erfüllen sollte … Wenn den Fürsten nicht Schmeichler und Heuchler der gemeinsten Art umgeben hätten, so hatte er schon vor dem März 1848 es wissen können, daß trotz aller Schweifwedeleien in den officiellen Blättern seines Ländchens und der gemachten Loyalitätsbezeigungen, die der Mann in unbegreiflicher Selbsttäuschung für echt hielt, daß trotz alledem er auf einem unterhöhlten Boden stand. Eine schrankenlose Bureaukratie lastete auf der Bevölkerung. Der Fürst behandelte zwar, wenn es ihm eben einfiel, seine Beamten in der rücksichtslosesten Weise, aber diese rächten sich dafür, wie das immer der Fall, an den Unterthanen. Es war nur eine der vielen Selbsttäuschungen dieses Mannes, wenn er in seinen späteren Abdankungserlässen davon sprach, daß er den Beamtendruck vernichtet habe … Es war eine grenzenlose Selbsttäuschung, wenn er von der Liebe seines Volkes sprach. Die Bauernschaft im Lobenstein-Ebersdorf’schen seufzte unter Feudallasten und einem übermäßigen Wildstand … In den großen Waldungen des Fürsten gab es viele Hunderte von Hirschen, die oft in einer Nacht die Ernte des Landmannes vernichteten. Der Kampf der Jäger und des zum Forstschutz commandirten Militärs mit den Wildschützen war in dieser Gegend ein Krieg auf Tod und Leben. Die nahe baierische Grenze bot den Wildschützen immer eine sichere Rückzugslinie. Es verging kaum ein Jahr, in welchem nicht Wilddiebe oder Jäger und Soldaten in diesem Kriege blieben … Dazu kamen die natürlichen Folgen solcher Kleinstaaterei. Der Staatssinn war todt in der Bevölkerung. Wo der Staat mehr einem großen Rittergut gleicht, wo die staatlichen Einrichtungen der Kleinheit der Verhältnisse wegen leicht zu Zerrbildern werden – eine Erscheinung, die ja heute noch in vielen deutschen Kleinstaaten sich zeigt – da fällt der Nimbus der Souverainetät vor dem leisesten Sturmeswehen.

Es ist charakteristisch für diese kleinstaatlichen Verhältnisse, daß es eine Anzahl junger Studenten und Candidaten war, welche die alte Ordnung in den reußischen „Staaten“ über den Haufen warfen … Studenten, die in den Ferien waren, und Candidaten der Gottesgelehrsamkeit und Rechtswissenschaft, bei denen die Tinte der Censuren, die sie in der Staatsprüfung erhalten, noch nicht trocken war! … Sie tippten mit den Fingern an das morsche „Staatsgebäude“ und es fiel ein – und Heinrich der Zweiundsiebenzigste mit ihm!

Es liegt nicht in meiner Absicht, eine Geschichte der reußischen Märzrevolution von 1848 zu schreiben, nur das Abtreten Heinrich’s des Zweiundsiebenzigsten vom öffentlichen Schauplatze will ich erzählen.

Heinrich der Zweiundsiebenzigste glaubte durch Proclamationen den Sturm beschwören zu können. Die Bevölkerung, deren Führer, wie schon erwähnt, meistens Studenten und Candidaten waren, erhob sich überall. Das Wild wurde massenhaft unter den Augen des Fürsten todtgeschossen. Außer sich floh er nach Gera. Eine Sturmpetition vertrieb ihn auch von da. Er eilte in die Lausitz, wo seine jüngste Schwester ein Gut besaß. Von hier aus erließ er sein „Letztes Wort an sein Volk“, datirt Guteborn, Juli 1848.

„Meine Aufrufe vom 12. und 22. März,“ heißt es darin, „fußen auf dem Glück, wie Ich Mich damals ausdrückte, so gute, brave Landsleute in den Landleuten zu besitzen. In jenen Aufrufen, in allen Maßregeln seitdem ist allen Anforderungen die äußerste Rechnung getragen und sonach in Hinblick auf jenes glückliche Verhältniß der Grundsatz an die Spitze gestellt, daß wir Hand in Hand in die Umgestaltung treten wollten. Mein ganzes Leben übrigens giebt Bürgschaft, daß Volkeswohl und Fortschritt Mir nicht blos leere Worte sind. Die Verhältnisse haben sich geändert. Auf das Frechste ist jedes Band zwischen uns zerrissen. Der schändlichste Undank auf Mein, Ich darf es sagen, unschuldiges Haupt (siehe Schlacht von Harra?) gehäuft, auf einen Regenten, der treu zu seinem Volke stand und blos in dessen Wohl sein Glück fand, ein Glück, das Thaten beweisen …“ Nachdem er seine angeblichen Verdienste um das Land und die ihm angethanen Beschimpfungen

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