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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

mit dem Zündnadelgewehr, Dreysse erhielt den Auftrag größtmöglichster Erweiterung und Ausdehnung seiner Fabrik und ebenso wurde mit ihm ein Abkommen geschlossen, demzufolge der Staat berechtigt sein sollte, mehrere Gewehrfabriken auf eigene Rechnung zu bauen und zu betreiben. Das Zündnadel- und Hinterladungssystem wurde weiter auf die Büchse, den Carabiner, die Pistole, ja selbst den Revolver ausgedehnt, und die Sömmerdaer Gewehrfabrik hat von dem Tage ihrer Gründung an bis heute etwa vierhunderttausend Stück Schießwaffen aller Art nach dem System Dreysse’s geliefert. Daß Preußen mit der neuen Bewaffnung nicht allein ein specifisch preußisches, sondern ein allgemein deutsches Interesse verfolgte, wird am besten durch die Thatsache bewiesen, daß es allen jetzt im norddeutschen Bunde vereinigten Staaten Deutschlands das Zündnadelgewehr noch vor Errichtung des Bundes in die Hand gedrückt hatte. Hannover, Kurhessen und Nassau, welche sich gegen die Annahme des vortrefflichen Gewehrs aus kleinlichen Motiven gewehrt hatten, sind nicht mehr; Sachsen und Hessen-Darmstadt werden sich derselben nicht länger widersetzen können; der norddeutsche Bund wird zugleich ein Zündnadelgewehr-Bund sein.

Wie Dreysse von dem König von Preußen ausgezeichnet wurde, ist Ihnen natürlich bekannt. Sie würden indeß irren, wenn Sie glauben sollten, daß nunmehr die Dreysse’schen Bestrebungen einen Abschluß erhalten hätten. Der unermüdliche Eifer, die nie rastende Thätigkeit, der Drang zu schaffen hat in dem jugendlichen Greise fortgewirkt; verschiedene wichtige Erfindungen Dreysse’s haben die Trefffähigkeit und Sicherheit des Gewehrs erhöht, die Tragweite der Geschosse vergrößert; die Erfindung der Explosions- und Brandgeschosse folgt der Herstellung des vortrefflichen Langbleis; die speciell für die Festungen und deren Vertheidigung construirten von hinten zu ladenden Wallbüchsen und sogenannten Amusetten warten noch immer ihrer Anwendung und Erprobung. Heute steht der im nächsten Monat neunundsiebenzigjährige Mann im Begriff, Preußen ein neues Gewehr zu übergeben, um damit die Anstrengungen der europäischen Mächte, die, erschreckt durch die Wirkungen seines Zündnadelgewehrs, in schlechtverhehlter Furcht und mit unüberlegter Hast die massenhafte Fabrikation von Hinterladungsgewehren decretiren, um ein gutes Stück wieder zu überholen; heute will Dreysse durch seine neue Zündnadel-Doppelkanone dieselbe Revolution in der Artillerie hervorrufen, zu welcher er die Infanterien sämmtlicher europäischer Staaten genöthigt hat. Ich kann Ihnen über die neuesten Schöpfungen Dreysse’s nicht viel erzählen, wenigstens nicht viel Zuverlässiges; wollen Sie sich aber einen Begriff von der neuen Waffe Dreysse’s verschaffen, so begeben Sie sich morgen Nachmittag in die Nähe des Dreysse’schen Schießplatzes, der gleich hinter der langen Brücke über die Unstrut beginnt und sich bis zu der Weißenburg ausdehnt. Sie werden von Weitem sehr gut dort soviel sehen und erfahren, daß Sie auch Anderen davon einen, wenn auch mehr äußerlichen Begriff davon verschaffen können. Ein Mehreres ist auch um der Sache willen und gegenüber der Aufmerksamkeit unserer offenen Feinde und zweifelhaften Freunde für’s Erste nicht nöthig.“

Mein freundlicher Erzähler hatte mich nicht falsch berichtet; am nächsten Nachmittage fand ich Gelegenheit, Dreysse’s Schießversuche mit seinen neuen Waffen beobachten zu können. Zur Seite des Dreysse’schen Schießplatzes stehen einzelne Bäume und Sträucher; hier faßte ich Posto. Die kleine Cavalcade kam bald nach mir an und nahm glücklicherweise mir ziemlich gegenüber Stand.

Die Vorrichtungen zu den Schießversuchen, wie die vorbereitenden Unterredungen nahmen eine geraume Zeit in Anspruch; mir wurde dieselbe nicht lang. Mich fesselte die eigenthümliche Form und Gestalt der Waffen, unter denen ich deutlich zwei Gattungen von Handfeuerwaffen und zwei Gattungen von Kanonen unterschied, und mit der größten Spannung haftete mein Auge an der Person des mir bereits bekannten alten Herrn von Dreysse. In der Entfernung von tausend Schritt (wie ich nach Beendigung der Schießversuche erfuhr) wurde eine Scheibe postirt; ein noch jung aussehender Mann nahm eines jener wunderlichen Werkzeuge, von dem nur das Rohr eine entfernte Aehnlichkeit mit einer Schießwaffe verrieth, und bald sah ich den ersten Blitz, hörte den ersten Knall; zehn Schuß fielen schnell hintereinander. Bald stand, bald saß, bald lag, bald kniete der Schütze; sein linker Arm handhabte das Gewehr, der rechte Ellenbogen stützte dasselbe, die linke Schulter hielt die Waffe. Nach zehn Schüssen eine Pause; der alte Herr nickte zufrieden, der Schütze hatte in allen möglichen Stellungen auf tausend Schritt eine Scheibe von acht Fuß Breite und sechs. Fuß Höhe mit zehn Schuß zehn Mal getroffen; das Experiment wiederholte sich mehrere Male, jedesmal mit demselben Erfolg. Zuletzt mußte der Schütze Befehl zum Schnellfeuern erhalten haben, zehn Schüsse fielen rasch hintereinander und der Erfolg ergab acht Treffer; ich beobachtete die nächsten zehn Schüsse nach meiner Uhr, sie erforderten nicht mehr als einundeinviertel Minute. Das Gewehr wurde bei Seite gelegt, ein ähnliches, an dem ich nur ein stärkeres Rohr wahrnehmen konnte, wurde vorgenommen, die Scheibe gleichzeitig um etwa fünfhundert Schritt hinausgerückt. Das Schießen begann von Neuem; es mußten Explosions-Geschosse sein, mit denen geschossen wurde, denn nach jedem Schuß ertönte von der Scheibe her, die mir fast völlig unsichtbar war, ein eigenthümliches, starkes, einer Explosion ähnliches Geräusch.

Das war das neue Zündnadelgewehr Dreysse’s ohne Schaft und Kolben, ganz von Eisen, drei Pfund leichter und zwei bis drei Thaler billiger, das in der Minute acht Mal abgeschossen werden kann und auf tausend Schritt seinen Mann nicht fehlt; das war ferner die neue Zündnadelbüchse Dreysse’s, welche auf eintausendfünfhundert Schritt noch Geschütze zu demoliren, Munitionswagen in die Luft zu senden und mit einem in acht Theile sich theilenden Geschoß möglicherweise acht Mann kampfunfähig zu machen vermag. Statt Schaft und Kolben hat das Gewehr in gewundener Form einen Stoßstempel, dessen Schulterstück eine ähnliche, aber viel praktischere Form wie die Schweizer Hakenkappe hat, vermöge welcher das Gewehr fest an der Schulter des Schützen sitzt; dadurch ist das beschwerlichere und unsichere Schießen aus freier Hand beseitigt. Die rechte Hand des Schützen wird völlig frei und kann mit Leichtigkeit und größter Schnelligkeit von der Patrontasche zur Kammer, von der Kammer zum Drücker, vom Drücker wiederum zur Kammer wandern. Beim Laden wird das Gewehr nicht von der Schulter gebracht. Auch der Vorwurf leichten Verbrennens der Nadel, der zuweilen dem Zündnadelgewehr gemacht worden, ist bei der neuen Waffe unmöglich geworden, da der Mechanismus der Abzugsfeder ein fast gleichzeitiges Vor- und Rückspringen der Nadel bewirkt, so daß diese dem, wenn gleich von ihr selbst bewirkten, Explosionsproceß stets fern bleibt. Ueberdies ist das ganze Gewehr bis auf das Bajonnet und die Ladungseinrichtung der bequemen Handhabung wegen mit Leder überzogen.

Wieder wurde die Scheibe noch weiter hinausgerückt, die kleinste der Kanonen wurde vorgefahren; zu meiner Verwunderung erblickte ich jetzt zwei Rohre in einem Geschütz zusammen nebeneinander vereinigt. Zwischen den Rohren befindet sich eine Lafette, welche den Munitionskasten hält, zwischen der Lafette und den Rädern rechts und links je ein Rohr, hinter jedem Rohr nimmt nur je ein Mann sitzend Platz. Auf einen Griff und Ruck öffnet sich der hintere Theil des Rohrs, der Bedienungsmann greift je nach seinem Sitz mit der rechten Hand nach links oder mit der linken Hand nach rechts, wo eine Cartouche bereit liegt; so wie dieselbe weggenommen wird, rollt bereits längs der Lafette aus dem Munitionskasten eine Ersatz-Cartouche von selbst nach. Der Schütze rüstet das Kanonenrohr, er handhabt dasselbe wie ein Handgewehr nach rechts und links, nach oben und unten, die Rohre haben Circularbewegung. Der Kanonier legt sich immer fester in die seine Brust stützende, auf einem Stoßstempel befestigte Gabel, die wie sein Sitz mit Leder überzogen; ein Ruck, das Rohr steht fest, einen Augenblick darauf rollt der Schuß dahin, der Schütze ist unverändert auf seinem Platze sitzen geblieben, ein Rückstoß ist kaum wahrzunehmen gewesen. Gleich darauf ertönt vom zweiten Rohre der zweite Schuß und nun beginnt sich von dem einen Geschütz ein völliges Geschützfeuer zu entwickeln; die Schüsse folgen rascher und rascher, ich zähle endlich in der Minute acht Schuß, je vier auf jedes Rohr. Pausen treten nun ein, um die Resultate der Schüsse festzustellen und hier und da die Scheibe noch weiter hinauszusetzen; das ist Dreysse’s Zündnadel-Doppelkanone. Ein zweites Geschütz wird angefahren, dieselbe Construction, dieselbe Gestalt, dieselbe Handhabung; die Rohre des erstern waren ihrem Caliber nach den Dreipfündern, die des zweiten Geschützes den Sechspfündern ähnlich. Nach dem dritten Schuß allgemeiner Jubel. Ich blicke nach der Seite hin, wo das Ziel sich befinden muß, und entdecke Feuerschein. Ein aus einem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 642. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_642.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)