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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Dreher und Schweinauer, daran reihten sich allerlei Specialtänze, wie der Hans Adam, Hansel im Saustall und Gretel auf dem Mist. Zu diesen sinnigen Erfindungen hat dann die Neuzeit noch Française, Varsovienne, Mazurka und andere Tänze gebracht. Sobald sich die Musikanten unter der Linde aufgestellt haben, zieht der Platzmeister seinen Säbel und tanzt unter Absingung eines alten Liedes dreimal allein um die Linde. Dann erst beginnt der Tanz der Paare und wir haben Gelegenheit, die Rieser Mädchen in ihrer Schönheit und Gewandtheit zu beobachten. Noch erscheinen sie in ihrer kleidsamen Nationaltracht, aber bereits greift das französische Costum um sich und wirkt verändernd aus die Kleidung der Landleute ein, die vor noch nicht gar langer Zeit spöttisch auf die „langrocketen“ Städter herabschauten.

In der neuern Zeit hat das Ries in Melchior Meyr seinen eigenen Dichter gefunden; besser als er hat uns Niemand die Menschen darin geschildert; er hängt mit begreiflicher Liebe an diesem fruchtbaren Gau, denn er ist dort geboren und hat in ihm seine schönste Jugendzeit verlebt. Als Gymnasiast und Student lebte er das fröhliche Rieser Leben mit und nahm, wie er selbst sagt, mit nie versiechender Freude dessen Eigenthümlichkeiten in sich auf. Schon im Jahre 1835 beschrieb er uns in dem ländlichen Gedichte „Wilhelm und Rosine“ seine Heimath; dann erschien 1852 seine erste Erzählung aus dem Ries „Ludwig und Annemarie“, welche so viel Anklang fand, daß der Verfasser eine Anzahl anderer Dorfgeschichten aus dem Rieser Leben folgen ließ. Sie alle geben ein dichterisch-treues Abbild des Rieses und seiner Menschen, eines Völkchens von eigenthümlicher Art und Sitte, das, durch seinen Beschreiber aus der Dunkelheit herausgerissen, überall im deutschen Vaterlande durch ihn sich Freunde erworben hat. Unsere Abbildung, welche uns Bauer und Bäuerin des Riesgaues in ihrer kleidsamen Tracht mit photographischer Treue darstellt, veranschaulicht eine Scene aus einer dieser vortrefflichen Meyr’schen Erzählungen, aus seiner „Lehrersbraut“, in welcher der Verfasser ein liebendes Paar geschildert hat, das nach mancherlei Schicksalen doch endlich sich glücklich zusammenfindet. Die schöne Christine hatte die an ihrem Vetter Hans begangene Untreue dadurch abgebüßt, daß sie als Magd bei einem groben und rohen Bauer in Dienste trat. Dort flammte heimlich, aber mächtig, die alte Leidenschaft zu dem verstoßenen treuen Hans wieder in ihr auf, der unterdessen Christinens Mutter redlich die Wirthschaft führte. Als er erfuhr, wie das Mädchen ihm wieder zugethan sei, beschloß er, ohne der Alten etwas davon zu sagen, Christine als seine „Hochzeiterin“ heimzuholen und ihr Alles zu verzeihen. Eines Sonntags spannt er sein Wägelchen an und bringt unerwartet die Geliebte unter das mütterliche Dach zurück. Im Hofe angekommen steigt der Bursche ab, die Mutter eilt aus dem Hause ihn zu begrüßen. Sie hat auf dem „Gefährt“ bei einem flüchtigen Blick durch’s Fenster neben Hans ein Mädchen gesehen und angenommen, es sei die erwählte Braut, die er gleich zum Besuch mitbringe. Mit schwerem, zagendem Herzen schaut sie auf den Wagen – und erkennt ihre eigene Tochter!

Die Illustration ist übrigens nur ein Blatt aus einem ganzen Cyklus von fünfzehn Compositionen, mit welchen Carl von Enhuber Meyr’s Erzählungen aus dem Ries theils schon illustrirt hat, theils noch zu illustriren gedenkt. Dreizehn dieser Bilder waren bereits im letzten Frühjahre im Kunstverein zu München ausgestellt und hatten sich eines außerordentlichen Erfolgs zu erfreuen. Sie sind zum Zweck photographischer Vervielfältigung grau in Grau gemalt, und der Künstler hofft, die ganze Reihe in nicht zu langer Zeit vorlegen zu können. Bis jetzt sind nur die zu der „Lehrersbraut“ gehörenden drei Zeichnungen veröffentlicht.




Brief an eine Gläubige.

     Madame!

Als Sie mich vor Kurzem fragten, weshalb ich die Kirche, diesen Zufluchtsort der wahren Frömmigkeit, so wenig besuche, antwortete ich Ihnen einfach: Gottes schöne Natur sei meine Kirche und der Gesang der Vögel meine Kirchenmusik. Ihre rosigen Lippen verzogen sich, Sie warfen einen frommen Blick gen Himmel und einen zweiten mitleidigen auf mich, als bedauerten Sie in mir eine Seele, die rettungslos verloren ihrem Untergange zustürme. Und als ich auf Ihre zweite Frage, wie lange ich nicht zur Beichte gegangen, ebenso offen entgegnete: Seit meiner Aufnahme in den Christenbund, und wie ich nicht gehen würde, so lange die menschliche Vernunft mir noch sage, daß kein Mensch, und trete er im geweihten Kleide des Priesters auf, das Recht habe, die Sünden zu vergeben, da wichen Sie abwehrend von mir zurück und nannten mich einen Ungläubigen, einen – Gotteslästerer!

Madame, Sie sind schön, sehr schön, Sie haben fromme, große Madonnenaugen und zu Zeiten auch lichte Augenblicke, wo Sie gut sein können. Ich habe Sie bewundert, als Sie vor wenigen Wochen auf dem Balle des Bankier F. mit fromm-demüthiger Miene, – Sie, die schöne überall gefeierte Frau – um ein Almosen für einen neu zu begründenden Jünglingsverein bettelten, und lernte Sie achten, als ich Sie in Ihrer Häuslichkeit als Mutter sah. Sie haben ein Herz, ohne es zu wissen. Aber, Madame, Sie haben um Ihr Herz eine Rinde gelegt, eine Rinde, so fest und sicher, daß kein Athemzug Menschlichkeit, kein Körnlein Gemüth hinein kann, selbst wenn das Herz oft darnach lechzte. Und diese Rinde heißt der – kirchliche Glaube.

Sie werden mitleidig lächeln und wieder abwehrend Schweigen winken. Und doch ist’s wahr, was ich sage, und ist Alles so einfach gekommen. Ich könnte Ihnen erzählen, wie sich diese Rinde gebildet, wie Sie anfangs im Ringen der Seele nach dem Höhern nur geistigen Halt und Erbauung gesucht und wie Sie, damals mit dem freien Sinn für alles Gute und Schöne, in die Hände eines Mannes fielen, dessen höchste Lust es war, diesen so warmen Drang, diese noch unbestimmte jugendlich-weiche Sehnsucht nach Klarheit und religiöser Gemüthsbefriedigung mit diabolischem Geschick so zu lenken, daß Sie allmählich im engen Fahrwasser kirchlichen Formelwesens sich befanden und die Fesseln einer strengen und finstern Dogmatik als das einzig erstrebenswerthe Gut eines menschlichen Daseins betrachteten. Statt Klarheit und Wissen, die Sie suchten, statt der gewiß echt religiösen Seelenweihe, nach der Sie verlangten, ward Ihnen der Glaube, anstatt eines freien geistigen Haltes jene wundergläubige, nebelhafte Kirchlichkeit, die Sie nun den alleinseligmachenden wahren Glauben nennen. Nicht jener Glaube ist Ihr Eigenthum, den jeder Mensch in sich trägt, jener Glaube an das Ewig-Wahre, Ewig-Göttliche, nein, nur der starre todte Glaube an einzelne Aufstellungen und Behauptungen, an Mythen und Legenden einer verschollenen Märchenzeit, welche die Herzen der Menschen weder gut noch fromm machen. Und dieser Glaube ist jetzt Ihre Tugend, Ihre Frömmigkeit.

Sie sind nicht fromm, Madame, sondern nur eine Fromme! Das heißt mit andern Worten: Ihr Beten, Singen und Himmelanrufen kommt nicht aus dem innersten Triebe Ihres Gemüths, nicht aus den geheimsten Tiefen Ihres Herzens, nein, Ihre Frömmigkeit geht nur aus der knechtischen Furcht vor den Ihrer Phantasie vorgespiegelten Strafen des Jenseits, oder aus egoistischen Hoffnungen auf Belohnung hervor. Nicht weil das Gute gut ist, würden Sie gut handeln, nein lediglich deshalb, weil das Gute Ihnen eine Stufe in den Himmel baut. Ihre Frömmigkeit ist keine That der Freiheit, kein Ergebniß des eigenen Willens, sondern nur die sclavische That eines künstlich in Ihnen erzeugten und gewaltsam von Ihnen festgehaltenen Knechtssinns, der willenlose unfreie Gehorsam, den Sie nicht der Religion, sondern der verderblichen, alle Selbstthätigkeit, alles eigene Urtheil, allen frischen Aufschwung des Geistes herabdrückenden Richtung einer herrschsüchtigen Priester-Partei entgegenbringen.

Es mag hart erscheinen, was ich sage, aber es ist so. Und bliebe es nur bei der Umdüsterung des Blickes, bei der Niedertretung des Verstandes allein! Aber wie giftiger Mehlthau hat sich der umstrickende Bann auch auf die herrlichsten Regungen, die duftigsten Blüthen Ihres Gemüths gelegt, daß Sie dieser Frömmelei Alles unterordnen, was Sie im Leben so lieb und so herzig machen könnte! Niemals werde ich jene Stunde vergessen, in der Sie am Sarge Ihres kleinen Neffen standen und der Vater – nach Ihrer Meinung auch ein Ungläubiger – schmerzgebeugt am

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 655. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_655.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)