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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

ohne indeß bemerkenswerthe Fortschritte im ‚deutschen Styl‘ zu machen. Er selbst erkannte dies und erzählte später gern davon. „Ich fragte mich,“ sagte er, „bischt du denn nur zu dumm? Haschst trotz aller Lehrstunden keinen deutschen Styl gelernt! Aber, ich denke, es schadet nichts. Warum schreibt man denn? Um seine Gedanken deutlich und verständlich auszudrücken. Das kann ich; das thue ich. Wozu denn noch ein Styl?“ –

Haben die Leser jemals etwas von der thüringischen Helena gehört? Diese Helena war die von allen Seiten umworbene ungemein schöne Tochter des Gastwirths in Kötschau (halbwegs zwischen Weimar und Jena). Goethe’s Sohn August hatte sie entdeckt und seinen Vater auf die Schöne aufmerksam gemacht. Der Letztere ließ von da an, bei allen seinen Reisen nach und von Jena, in Kötschau halten, kehrte aus längere oder kürzere Zeit in dem Gasthause ein und nahm Speise und Trank zu sich. Das Mädchen nun, das sehr wohl wußte, der vornehme Herr, ‚der Herr Geheimderath‘, finde sie hübsch und kehre nur ihretwegen so oft in dem Gasthause ihres Vaters ein, eilte hinweg, sobald sie den Wagen Goethe’s anfahren sah. Sie wusch und putzte sich und kam dann, um persönlich den Herrn ‚Geheimderath‘ zu bedienen, weil er das sehr gern sah. (Frage an die Goethe-Gelehrten: Kam Goethe durch diese Helena auf die Idee, welche er in den vierundzwanzig prächtigen Stanzen seines ungedruckten und undruckbaren ‚Tagebuchs‘ behandelt hat? –

Als der bekannte russische Staatsrath von Struve in Weimar sich aufhielt, wurde er namentlich dem Personal der dortigen Bibliothek äußerst lästig, nicht nur weil er die Bücher, die er benutzen wollte, immer selbst suchte, sondern auch andere Ansprüche machte, die nicht wohl erfüllt werden konnten. Ueberdies brachte er alle Fremden, die er in Weimar auf der Straße traf, namentlich alle Russen, in die Bibliothek und führte sie daselbst überall umher. Entfernten sie sich dann und wollten den Bibliothekdienern ein Trinkgeld geben, so fuhr Struve mit dem Bemerken dazwischen, es sei hier weder nöthig noch üblich Geschenke zu geben. Ein Bibliothekdiener, der sich lange über dies Verfahren des vornehmen Russen geärgert hatte, verlor endlich die Geduld und bemerkte, als er wiederum Fremde hinderte, ein Trinkgeld zu geben: „Herr Staatsrath, das geht Ihnen nichts an. Wenn die Herren mir etwas schenken wollen, so dürfen Sie das nicht hindern.“ Der Staatsrath beschwerte sich darüber bei dem Bibliothekar Kräuter, der bekanntlich lange Goethe’s Secretair gewesen war und der entgegnete: Die Fremden hätten allerdings in der Bibliothek nichts zu zahlen, wenn sie aber freiwillig etwas geben wollten, so habe Niemand das Recht, sie daran zu hindern. Darauf hin drohete Struve, den diese Antwort mächtig verdroß, bei dem Chef der Bibliothek, dem Geheimrath von Goethe, Beschwerde zu führen. Kräuter aber kam ihm zuvor und theilte die Sache noch denselben Tag Goethe mit.

„Ja, ja,“ meinte dieser, „die Russen werden uns sehr bald auf die Hühneraugen (er brauchte einen anderen populären, noch viel stärkern Ausdruck) treten und dann noch verlangen, daß wir uns bedanken.“ –

Viele Jahre lang war in dem Hause Goethe’s ein verwachsener armer Mann, seines Handwerks ein Tapezierer, mit für ihn passenden leichten Arbeiten beschäftigt, und Goethe ließ ihm wöchentlich eine gewisse Summe, als Unterstützung, zahlen. Später konnte der arme Kleine nichts verrichten, als höchstens die Teppiche im Beginn des Winters legen und sie im Frühjahr wieder aus den Zimmern nehmen. Als ihm schließlich auch dies zu beschwerlich war, hatte er nur die eine Aufgabe, jeden Morgen zu einer bestimmten Stunde in das Zimmer Goethe’s einen großen Krug frischen Wassers zu bringen. – Dieser kleine verwachsene Tapezierer, Werner hieß er, hatte die Marotte, stets und überall in Knüttelversen, auch Goethe gegenüber, zu reden. In der Regel achtete Goethe nicht auf den seltsamen Schwätzer, bisweilen aber lächelte er über den wunderlichen Kauz. Einmal, nicht lange vor seinem Tode, wurde das läppische Versgeplauder dem alten Herrn zu arg, und er sagte, nachdem er dem Buckeligen eine ziemlich lange Zeit kopfschüttelnd zugehört hatte:

„Er ist ein Esel, lieber Werner!
Mein Ohr zu schonen endlich lern’ Er;
Das Reimgeklapper unterlass’ Er,
Sonst holt ein And’rer mir das Wasser.“

Der Kleine sah freudig erstaunt den hohen Herrn an und wollte eben seiner Freude über die Anrede laute gereimte Worte geben, aber Goethe winkte heftig nach der Thür zu. Werner ging überglücklich und erzählte dem ersten Bekannten auf der Straße: „Heute besauf’ ich mich. Der Herr Geheimderath hat mit mir in Versen gesprochen. Er war ganz ungewöhnlich gnädig und herablassend. Er hat mich einen Esel genannt. Ein solches Glück passirt Unsereinem nicht immer. Und reimen konnte er, beinahe besser wie ich. – Heute trinke ich mir einen an.“ Und der kleine Buckelige eilte in das erste beste Wirthshaus, um seinen Vorsatz auszuführen.




Die Nacht in Tirol.


In Tirol war es, aber ich werde mich hüten, der Geistlichkeit und der Gensd’armerie daselbst das Thal und den Berg zu verrathen, wo ich eine gar trostreiche heimliche Freude erlebte. Denn trostreich ist es gewiß, wenn in einem Lande, das man kaum anders, als mit Bedauern über die pfäffische und polizeiliche Verkümmerung des Volksgeistes nennt, ein fröhliches Beispiel uns zeigt, daß selbst in dieser Felsenburg finsterster Intoleranz das Volksgemüth seinen Zug nach der alten Lustbarkeit noch nicht ganz aufgegeben hat. Erfreulicher würde allerdings eine offene, männliche Opposition gegen das allzu strengväterliche Regiment gewesen sein; da aber in den Volkskreisen eine solche vor der Hand zu den Unmöglichkeiten gehört, so wollen wir einstweilen mit der „heimlichen Freude“ fürlieb nehmen.

Bekanntlich wurde die vom Papste Pius dem Neunten ausgesprochene Erklärung von der entschiedenen Unbeflecktheit der heiligen Jungfrau Maria vor etwa zwölf Jahren von der Geistlichkeit namentlich in Oesterreich zu einer Reihe von neuen kirchlichen Festlichkeiten, aber zugleich auch zur immer weiteren Befestigung des Priestereinflusses auf das Familien- und Gemeindeleben ausgenutzt. Wenn nun dies in allen, auch den sonst gern als die lichthelleren gepriesenen Kronländern geschehen konnte, was mußte da gar erst in Tirol möglich sein! Dort stopfte man, damals das letzte Loch zu, durch welches noch ein irdischer Zugwind in die dumpfige Schwüle hätte eindringen können, welche vom treuen Bund des Klerus und der Polizei dem Lande als das Dienlichste empfohlen und aufgezwungen worden war. Damals verbot man überhaupt alle Tanzmusik und damit Tanz und weltlichen Gesang. „In meinem Sprengel hört man außer der Kirche keinen Ton mehr!“ So rühmte sich der Pfarrer, dem wir trotzdem das Herzeleid bereiten müssen, die folgende Ausnahme von seiner Behauptung zu erzählen.

Im Sommer 1856 lebte ich mehrere Monate im Gebirge bei einem meiner Freunde, der dort als praktischer Arzt ansässig war. Eines Tages waren wir, um einen Krankenbesuch zu machen, über den Berg nach W. gewandert. In dem lieblichen Thalkessel hatten wir uns bei einem guten Glase Bier bis gegen Abend verweilt. Es war ein Sonntag und zugleich Kirchweihtag, d. h. stille Kirchweih, ohne Sang und Klang. Die Geistlichkeit hatte es eben durchgesetzt, daß angeblich zur Verhinderung der herkömmlichen Raufereien die Feier sämmtlicher Kirchweihen auf einen und denselben Tag gelegt und ein strenges Verbot irgend welcher Tanzmusik erlassen worden war. Mit Dunkelwerden machten wir uns auf den Heimweg. Es war vollständig Nacht geworden, als wir auf der Höhe des Berges ankamen. Alles war still in der Natur. Da hörten wir plötzlich merkwürdige Töne, wie von stampfenden Rossehufen, und ein dumpfes Gebrause. Nach ein paar Schritten konnten wir nicht mehr zweifelhaft sein, daß ein ganz nahe gelegener Holzschuppen uns Aufschluß über den Ursprung des Getöses geben könne, da überdies ein durch einen Spalt in der Breterwand dringender Lichtstrahl uns bereits verrathen hatte, daß dort etwas Geheimes begangen werde. Nichts natürlicher, als daß uns die Lust überkam, uns die Sache in der Nähe anzusehen. Wir traten dicht an den Schuppen heran. Aus dem untern dunkeln Raume trat uns Jemand entgegen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_787.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)