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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

alle Augenblick’, als wenn eine Kanon’ losg’schossen wurd’, ich denk’, es ist gescheidter, wir bleiben auf dem Land …“

Bald hernach flog klingendes Schellengeläut die Straße nach dem Dorfe hin, in weitem Bogen das Seegestade umkreisend. Es ging auf Mitternacht; blauschwarze Finsterniß senkte sich wie ein undurchdringlicher Vorhang vom Himmel herab, kein Sternlein durchblitzte sie, das Schneelicht allein diente dazu, die Wege etwas zu erhellen; dagegen kamen von allen Seiten, die Höhen nieder und aus den Büschen hervor, helle feurige Punkte aufgetaucht, wie Irrlichter oder riesige Leuchtkäfer, es waren die Kienfackeln und Laternen, die den andächtigen Kirchfahrern leuchteten auf der Wanderung zu dem nächtlichen Gottesdienste. Das ist ein lieber, heilig gehaltener Brauch, und wen nicht Krankheit zu Hause hält oder Alter oder wer nicht die Hauswache hat, der unterläßt kaum denselben zu üben. Das gab manch’ wunderbares Bild, wenn hier und da eine Schaar aus dem Dunkel, aus Gebüsch oder Ebene auftauchte, roth beschienen von dem Fackelschein, der die wankenden Streiflichter über die Schneefläche breitete und an den Stämmen der Bäume hin; dann schritten sie Alle, tief verhüllt, bald ernst und schweigend, bald auch in lautem Wechselgebet vorüber, um nach einigen Augenblicken wieder im Dunkel zu verschwinden. Durch die erhabene Nacht und ihr Feier-Schweigen aber tönte das Glockengeläut wie ferner Gesang von unsichtbaren Lippen: ein Lobgesang voll gewaltiger Melodie, die Geburt dessen verkündend, mit dem das Heil in die Welt gekommen und die versöhnende Liebe.

Die Pfarrkirche vermochte kaum die Schaar der zudrängenden Beter aufzunehmen; wenn die Kirchenthür sich aufthat, flammte das Licht der Altäre hinaus in das doppelt nächtliche Dunkel umher, den Nahenden entgegen, wie das Thor der himmlischen Einigkeit aufspringen mag vor dem, der erwachend angewandelt kommt aus der Grabnacht der Erde.

Auch die schöne Köhlerin fehlte nicht; aber diesmal stand sie nicht wie beim Erntefest an dem kerzenflammenden Altar – unter dem Chore, hinter einer Säule hatte sie das dunkelste Plätzchen ausgesucht, um ihrem Gebete obliegen zu können, ungestört von Blick und Wort der Andern, die nicht immer Schick und Ort beachten, wo es gilt, dem Muthwillen Luft zu machen oder heimlicher Bosheit. In kindlicher Unbefangenheit legte sie sich, all’ ihr Leid und all’ ihre Sorge dem Himmel dar und betete um die Wiederkehr der arglosen Heiterkeit, die noch vor kurzer Zeit ihr so eigen gewesen war, wie dem Vogel der Flug und der Gesang. Es war ihr schwer im Herzen und unruhig im Sinn; der Besuch des alten Brunnhofer und was er ihr gesagt, war doch tiefer gedrungen, als sie zeigen mochte, auch fiel es ihr schwer, daß sie nach kaum ein paar Wochen Aufenthalt wieder fort sollte aus der Heimath, in der es ihr, sie wußte selber nicht warum, so gut zu gefallen anfing, wie noch nie, dann aber konnte sie’s wieder nicht verwinden, daß sie zum Spiel und Gespött gemacht worden; sie grollte dem, der ihr das angethan und sie abermals hinaustrieb in die Fremde, und doch konnte sie auch nicht vergessen, daß es ja nur auf sie ankam, immer zu bleiben, bei ihm zu bleiben und wenn auch der Verstand ihr immer zuflüsterte, daß es nur ein leeres Wort sei, dem sie nicht glauben dürfe … im Herzen klang es doch wieder und wieder nach, wie er vor ihr gestanden und sie so aufrichtig angeschaut und gesagt hatte … „Schau, ich hab’ Dich so viel gern …“

– – – Als das Hochamt mit der dreifachen Messe zu Ende und vom Chore herab das einfache Lied der Hirten verklungen war, wogte die Menge wieder in’s Freie; trotz der Eile aber entging es Manchem nicht, daß der Hirtengesang ist den frühern Jahren anders geklungen habe, als heuer. „Sonst, sagten und fragten sie untereinander, „ist der Muckel dabei gewesen und hat zu dem Gesang und zu der Orgel auf seinem Klankenett geblasen, daß es sich angehört hat, als wär’s eine Hirtenschalmei, und daß man geglaubt hat, man stehe wirklich mit den Hirten an der Krippe! Hat doch noch nie gefehlt, es muß was Besondres dazwischen gekommen sein, daß er heut’ nicht mit geblasen hat, der Muckel!“

Beschleunigten Schrittes wanderten die Leute den Häusern zu, denn nach langer Fastenzeit winkte dort ein reichlicher Imbiß aus Fleisch bestehend, das außerdem nur zu den heiligen Zeiten auf dem Tische des Bauern erscheint. An diesem Tage aber hat jedes Haus, das es nur irgend vermag, seine Schüssel mit Braten oder Mettwurst, in den wohlhabenden wird ein lange für diesen Tag herangemästetes Schwein gestochen und in allen Formen verspeist. Auch im Wirthshause war es gedrängt voll; es gab genug des jungen ledigen Volks, das sich da zusammenfand, und auch mancher Hausvater fühlte sich bewogen einzutreten und sich mit Weib und Hausgenossen durch ein Glas wärmenden Kirschgeist oder kräftig-bittern Enzian zu stärken für die weite Heimwanderung in dem kalt anbrechenden Wintermorgen.

Der Ehren- und Eckplatz in der großen Gaststube war schon von Anfang besetzt. Da saß die Kramer-Waben im höchsten Staat, neben ihr der Vater, zwischen Beiden der Clarinetten-Muckel, und nun wußten die eintretenden Kirchgänger wohl, warum er heute zum ersten Male gefehlt bei dem Hirtengesang. Vor der Gesellschaft standen in unordentlicher Fülle Krüge und Flaschen, Gläser und Schüsseln durcheinander, und das fette Gesicht des Dicken glänzte wie die würfelartig eingeschnittene Schwarte des duftigen Schweinebratens vor ihm. Er ließ es sich weidlich schmecken und schien nichts dawider zu haben, daß seine Nachbarin zur Linken ihm geschäftig die besten und saftigsten Bissen auf den Teller legte, während der Nachbar zur Rechten ihm unermüdlich immer wieder das Glas füllte und, was leer geworden, um neuen Vorrath vertauschen ließ. Dennoch stahl sich in manchen Augenblicken, wo es unbemerkt möglich war, sein forschender Blick seitwärts, wie der eines Gefangenen, der nach einer Gelegenheit zu entwischen umherspäht; hatte er aber die Unmöglichkeit wahrgenommen, so kehrte er zu den Schüsseln zurück und machte sich darüber her mit dem Todesmuthe eines Verurtheilten, dem man zur Henkermahlzeit auftischt, was nur gut und theuer ist. Der alte Krämer, dessen Fröhlichkeit ein unwiderlegliches Zeugniß ablegte für das, was er schon geleistet, war in seinem rosenfarbensten Humor: er wollte offenbar seinen Reichthum zeigen und ergötzte sich an dem stummen Erstaunen der Bauern an den nächsten Tischen, wenn er immer nach dem Allerbesten rief, den gebrachten Wein mit Zunge und Gaumen schlürfend prüfte wie ein gewiegter Kenner, und endlich, um der Zecherei die Krone aufzusetzen, nicht ruhte, bis der Wirth im Kellerwinkel noch ein paar von der letzten Primiz oder Kirchweihe übrig gebliebene Flaschen mit blanken Blechhelmen herbeischleppte und die knallenden Stöpsel den verdutzten Zuschauern um die Köpfe flogen.

(Schluß folgt.)




Der Sänger des Ziska.


Es war im Frühling 1845. Man kann gerade nicht behaupten, daß damals die deutsche Lyrik in ihrer höchsten Blüthe stand, aber es erschienen doch eine Menge Gedichte, von denen mir ein bekannter Sortimentsbuchhändler stets ganze Stöße „zur gefälligen Ansicht und Auswahl“ zusandte. Was hätte ein junges Mädchen, wie ich in jenen Tagen war, auch lieber thun sollen, als neue Gedichtsammlungen zu durchblättern? –

Da fiel mir zwischen all’ den goldbedruckten Ausgaben ein unscheinbares Bändchen in die Hände: „Gedichte von Alfred Meißner“, bei welchem es nicht bei dem Durchblättern blieb. Ich versenkte mich hinein, ich las sie wieder und wieder, ich lernte sie auswendig! Es war, als hätte ich ein Zauberbuch aufgeschlagen, ich konnt’ es nicht wieder schließen, nicht von mir lassen. Der Hauch eines Genius wehte mich daraus an, ein Hauch, der bis in die innersten Tiefen der Seele sympathisch drang und dort die verwandte Saite erklingen ließ. Es war nicht der Wohlklang, der Rhythmus der Verse, die schöne Form allein, was mich so mächtig erregte und anzog: es war die darin flammende Begeisterung für meine eigenen Ideale. Dichter für Freiheit und Menschenrechte waren viele aufgestanden – Meißner war aber auch zugleich ein Dichter für das Frauenrecht. Gedichte wie „An die Frauen“ und „Georges Sand“ mußten in mir ein jubelndes Echo finden. Dergleichen Gefühle manifestiren sich gern in einem Liede. Ich schrieb ein solches, als Erwiderung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_068.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)