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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Die letzten Tage eines Agitators.
Von einem Augenzeugen.

Wohl auf wenige Männer der jüngsten Vergangenheit läßt sich das Wort des Dichters:[WS 1] „Von der Parteien Gunst und Haß entstellt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte!“ mit größerem Recht anwenden, als auf Ferdinand Lassalle. Von seinen Freunden und Anhängern wird er hochgepriesen, geliebt, oft fast abgöttisch verehrt, von seinen Gegnern gehaßt, verhetzt und verleumdet – es mag daher für das große Publicum sehr schwer sein, sich ein unbefangenes Urtheil über den Mann zu bilden, der wie über Nacht plötzlich am deutschen politischen Himmel emporstieg und ebenso plötzlich wieder verschwand. Wollten doch in dem Augenblick, als der Telegraph die Nachricht von seinem Tode nach Deutschland brachte, Viele die Richtigkeit dieser Nachricht bezweifeln und jetzt noch, nachdem der Frühling bereits drei Mal das stille Grab des stürmischen Agitators mit neuen Blumen bekränzte, steht der größte Theil des Volkes, stehen selbst die meisten seiner Anhänger vor jenem verhängnißvollen Duell und seinen Ursachen wie vor einem unlösbaren Räthsel. In der That ist es auch nicht so leicht, Allen eine volle Aufklärung darüber zu geben. Die Personen und Verhältnisse, welche bei jenem Ereigniß mitwirkten und es gewissermaßen zu einer Nothwendigkeit machten, sind so mannigfaltiger Natur, daß die einfachste Delicatesse und Rücksicht eine gewisse Zurückhaltung auferlegt. Wir bemühen uns, in nachfolgenden Zeilen eine möglichst objective, aber treu historische Darstellung zu geben, und hoffen dadurch zur Widerlegung weitverbreiteter Gerüchte und Irrthümer beizutragen. Eine vollständige, actenmäßige Darlegung des Sachverhalts ist schon seit dem Jahre 1864 von den näheren Freunden Lassalle’s projectirt, die Ausführung bis jetzt jedoch an ausgebrochenen Zwistigkeiten und anderen, nicht mittheilbaren Verhältnissen gescheitert und dürfte schwerlich für die nächste Zeit zu erwarten sein.

Als Ferdinand Lassalle im Sommer 1864 seine gewöhnliche Erholungsreise nach der Schweiz antrat, hatte seine Agitation ihren Höhepunkt erreicht, und nicht ohne Befürchtungen beobachtete die preußische Regierung diese Bewegung. In Preußen war der Verfassungsconflict damals in seiner schärfsten Gestaltung. Vereinigte sich die social-demokratische Partei unter Lassalle mit den Verfassungsbestrebungen der Fortschrittspartei, so war die Niederlage der Regierung zweifellos und der Kampf wäre höchst wahrscheinlich aus dem Parlamentssaal auf die Straßen und Barricaden verlegt worden, um dort ausgefochten zu werden.[1] Die Gründe, warum diese Vereinigung nicht stattfand und nicht stattfinden konnte, können hier nicht erörtert werden, genug die innerhalb der Liberalen und der Demokratie entstandene Spaltung und der Erfolg des schleswig-holsteinischen Krieges verschafften der Regierung thatsächlich den Sieg.

Der Ausgang der schleswig-holsteinischen Bewegung hatte Lassalle tief verstimmt und seine in jener Zeit gehaltenen Reden zeigen eine zunehmende Heftigkeit. Dazu kam, daß die Erwartungen, welche er auf die Arbeiterbewegung gesetzt hatte, nicht erfüllt worden waren. Er hatte auf Hunderttausend gerechnet und kaum Zehntausend waren seinem Ruf gefolgt. In den Briefen an seine engeren Freunde klagte er oft bitter darüber; er fühlte, daß die ganze Last der Agitation auf ihm ruhe, daß er mitten in seinen begeistertsten Anhängern allein stände, ohne auch nur einen Mann zu besitzen, der die Last mit ihm getheilt hätte; er mußte Alles selbst thun, selbst organisiren, selbst leiten, wo sein belebender Geist fehlte, geschah wenig oder nichts. Und da tauchten in der Brust des stürmischen Mannes, dessen großartige Lebenskraft unwillkürlich Jedem imponirte, dunkle Todesahnungen auf. Oft hatte er im engen Kreise scherzhaft geäußert: „Ich erlebe mein vierzigstes Jahr nicht!“ Dieser Gedanke stellte sich jetzt häufiger ein als je. In seiner letzten, am 22. Mai 1864 in Ronsdorf gehaltenen Rede sprach er es aus, wie es möglich sei, daß er persönlich in diesem Kampf zu Grunde gehen werde, aber wie er hoffe, daß aus seinen Gebeinen ihm ein Rächer erstehen werde. Es waren diese ahnungsvollen Worte die letzten, die er auf deutschem Boden an deutsche Arbeiter richtete.

Im Juli 1864 ging er nach der Schweiz, nach dem Rigi-Kulm. Mannigfache Entwürfe beschäftigten ihn lebhaft. Die veränderten politischen Verhältnisse, die damals bereits vollendete gänzliche Niederlage der preußischen Fortschrittspartei, die dadurch und durch den schleswig-holsteinischen Krieg vermehrte Macht der Krone bedingten eine Aenderung seiner Taktik. Er entwarf einen Agitationsplan, den er nach Berlin sandte, damit er von dort aus an die einzelnen Gemeinden geschickt werde. Vielfach beschäftigten ihn auch seine zahlreichen politischen Processe. Mehrere Gefängnißstrafen waren gegen ihn bereits in den unteren Instanzen ausgesprochen und seine Verurtheilung in letzter Instanz war mit Bestimmtheit zu erwarten. Er wurde dadurch auf Monate, vielleicht noch länger, der Agitation entzogen. Der Gedanke, für immer in der Schweiz zu bleiben, stieg deshalb wiederholt in ihm auf, aber sein Charakter sträubte sich dagegen; es war ihm unmöglich, einen Entschluß zu fassen, der ihm als Act politischer Feigheit erschien. Und mitten in diesen aufregenden Gefühlen trat ihm der Dämon nahe, der seinen Tod verschuldet.

Lassalle vereinigte in sich den Charakter eines Faust und den eines Don Juan. Jung, wohlgebildet, geistreich, in glänzenden finanziellen Verhältnissen, hatte er von seinem ersten Jünglingsalter an dem weiblichen Geschlecht stark gehuldigt und stets Erfolg bei der Damenwelt gehabt. Besaß er in hohem Grade die Macht, selbst solche Männer für sich zu gewinnen, die mit ausgesprochenen Vorurtheilen in seine Nähe kamen, so gelang es ihm in noch viel ausgedehnterem Maße, die Frauen zu fesseln, freilich ohne daß er selbst gefesselt wurde. Beständigkeit in der Liebe kannte er nicht, sein unruhiger Geist ließ ihm jedes dauernde Liebesverhältniß als eine drückende Fessel erscheinen, und so sog er als Schmetterling den Duft aus allen Blumen, mit denen er in Berührung kam. Vor längerer Zeit hatte er in Berlin durch Vermittelung seines Freundes, des Rechtsanwalt Holthof, Helene, die älteste Tochter des baierschen Legationsraths von Dönniges, kennen gelernt und ihr in seiner stürmischen Weise den Hof gemacht. Fräulein Helene nahm seine Huldigungen freundlich auf, der junge, elegante, geistreiche, damals bereits (sein Werk über Herakleitos und sein „System der erworbenen Rechte“ waren schon erschienen) gefeierte Gelehrte machte einen tiefen Eindruck auf sie, allein Lassalle unterließ es, sich ihr ernsthaft zu nähern, und bald darauf verlobte sie sich mit dem jungen walachischen Bojaren Janko von Rackowicz, der die Universität in Berlin besuchte. Trotzdem bewahrte Helene ihm ein treues Andenken; sie verfolgte mit lebhaftem Interesse seine Agitation und sprach oft und gern von ihm, ohne ihre Zuneigung zu ihm irgend zu verhehlen.

Helene von Dönniges stand 1864 in ihrem fünfundzwanzigsten Jahre. Ohne jeden Zweifel gehört sie zu den interessantesten Frauen der Gegenwart. Mehr pikant als schön, eine vollendete Meisterin in den Künsten der Toilette, geistreich und mit einer über die Sphäre des Weibes hinausgehenden Bildung versehen, besitzt sie einen etwas excentrischen, dem Ungewöhnlichen und Abenteuerlichen zugeneigten Charakter und jenes interessante Maß von Koketterie, welches anzieht, ohne das feinere Gefühl zu verletzen. Sie ist in vielen Seiten ihres Wesens Lassalle sehr ähnlich, und nicht ohne Grund rieth Holthof seinem Freunde, Helene zu heirathen, da er niemals eine mehr zu ihm passende Frau finden würde. Bald nach Lassalle’s Ankunft auf dem Rigi erfuhr Helene seine Anwesenheit dort. Alle Erinnerungen an ihn erwachten mit erneuerter Stärke. Unter dem Vorwande, eine befreundete Familie in Wabern bei Bern zu besuchen, verließ sie Genf, wo ihr Vater als bairischer Gesandter bei der schweizerischen Eidgenossenschaft wohnte, und erschien plötzlich bei Lassalle auf dem Rigi. Und nunmehr begann sich eines jener Dramen zu entwickeln, welche immer wieder den Beweis liefern, wie sehr die Wirklichkeit oft die Phantasie des Dichters und Romanschreibers übertrifft.

In Lassalle’s damaliger trüber Gemüthsstimmung mußte das Erscheinen des liebeglühenden Mädchens einen tiefen Eindruck auf ihn machen. Er fühlte wieder seine unbändige Lebenskraft und seinen ungebeugten Muth, und zum ersten Male vielleicht in seinem Leben ahnte er, daß es noch ein anderes Glück gebe, als vorübergehende Triumphe bei schönen Weibern, als das Beifalljauchzen

  1. Wie Lasalle selbst es that, überschätzten auch seine Anhänger sehr die Tragweite dieser Bewegung.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_376.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)