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Prolog zu Wallensteins Lager

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Friedrich Schiller
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Titel: Prolog zu Wallensteins Lager
Untertitel:
aus: Friedrich Schiller:
Musen-Almanach für das Jahr 1799, S. 241 – 247
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1798
Erscheinungsdatum: 1799
Verlag: J. G. Cotta
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Erscheinungsort: Tübingen
Übersetzer:
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Quelle: HAAB Weimar, Kopie auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[241]
Prolog

zu Wallensteins Lager.

Gesprochen bei Wiedereröfnung der Schaubühne in
Weimar im October 1798.


Der scherzenden, der ernsten Maske Spiel
Dem ihr so oft ein willig Ohr und Auge
Geliehn, die weiche Seele hingegeben,
Vereinigt uns aufs neu in diesem Saal –

5
Und sieh! er hat sich neu verjüngt, ihn hat

Die Kunst zum heitern Tempel ausgeschmückt
Und ein harmonisch hoher Geist spricht uns
Aus dieser edeln Säulenordnung an,
Und regt den Sinn zu festlichen Gefühlen.

10
      Und doch ist dieß der alte Schauplatz noch,

Die Wiege mancher jugendlichen Kräfte,
Die Laufbahn manches wachsenden Talents.
Wir sind die Alten noch, die sich vor euch,
Mit warmem Trieb und Eifer ausgebildet.

15
Ein edler Meister stand auf diesem Platz,

Euch in die heitern Höhen seiner Kunst
Durch seinen Schöpfergenius entzückend.

[242]

O! möge dieses Raumes neue Würde
Die Würdigsten in unsre Mitte ziehn,

20
Und eine Hoffnung, die wir lang gehegt,

Sich uns in glänzender Erfüllung zeigen.
Ein großes Muster weckt Nacheiferung
Und giebt dem Urtheil höhere Gesetze.
So stehe dieser Kreis die neue Bühne

25
Als Zeugen des vollendeten Talents.

Wo möcht es auch die Kräfte lieber prüfen,
Den alten Ruhm erfrischen und verjüngen,
Als hier vor einem auserles’nen Kreis,
Der rührbar jedem Zauberschlag der Kunst

30
Mit leisbeweglichem Gefühl den Geist

In seiner flüchtigsten Erscheinung hascht?

     Denn schnell und spurlos geht des Mimen Kunst
Die wunderbare, an dem Sinn vorüber,
Wenn das Gebild des Meisels, der Gesang

35
Des Dichters nach Jahrtausenden noch leben,

Hier stirbt der Zauber mit dem Künstler ab,
Und wie der Klang verhallet in dem Ohr,
Verrauscht des Augenblicks geschwinde Schöpfung,
Und ihren Ruhm bewahrt kein daurend Werk.

[243]
40
Schwer ist die Kunst, vergänglich ist ihr Preiß,

Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze,
Drum muß er geitzen mit der Gegenwart,
Den Augenblick, der sein ist, ganz erfüllen,
Muß seiner Mitwelt mächtig sich versichern,

45
Und im Gefühl der würdigsten und besten

Ein lebend Denkmal sich erbaun – So nimmt er
Sich seines Nahmens Ewigkeit voraus,
Denn wer den Besten seiner Zeit genug
Gethan, der hat gelebt für alle Zeiten.

50
     Die neue Aera, die der Kunst Thaliens

Auf dieser Bühne heut beginnt, macht auch
Den Dichter kühn, die alte Bahn verlassend,
Euch aus des Bürgerlebens engem Kreis,
Auf einen höhern Schauplatz zu versetzen,

55
Nicht unwerth des erhabenen Moments

Der Zeit, in dem wir strebend uns bewegen.
Denn nur der große Gegenstand vermag
Den tiefen Grund der Menschheit aufzuregen,
Im engen Kreis verengert sich der Sinn,

60
Es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken.
[244]

     Und jetzt an des Jahrhunderts ernstem Ende
Wo selbst die Wirklichkeit zur Dichtung wird,
Wo wir den Kampf gewaltiger Naturen
Und ein bedeutend Ziel vor Augen sehn,

65
Und um der Menschheit große Gegenstände

Um Herrschaft und um Freiheit wird gerungen,
Jetzt darf die Kunst auf ihrer Schattenbühne
Auch höhern Flug versuchen, ja sie muß,
Soll nicht des Lebens Bühne sie beschämen.

70
     Zerfallen sehen wir in diesen Tagen

Die alte feste Form, die einst vor hundert
Und funfzig Jahren ein willkommner Friede
Europens Reichen gab, die theure Frucht
Von dreißig jammervollen Kriegesjahren.

75
Noch einmal laßt des Dichters Phantasie

Die düstre Zeit an euch vorüberführen,
Und blicket froher in die Gegenwart
Und in der Zukunft hoffnungsreiche Ferne.

     In jenes Krieges Mitte stellt euch jetzt

80
Der Dichter. Sechzehn Jahre der Verwüstung,

Des Raubs, des Elends sind dahingeflohn,

[245]

In trüben Massen gähret noch die Welt,
Und keine Friedenshofnung strahlt von fern.
Ein Tummelplatz von Waffen ist das Reich,

85
Verödet sind die Städte, Magdeburg

Ist Schutt, Gewerb und Kunstfleiß liegen nieder,
Der Bürger gilt nichts mehr, der Krieger alles,
Straflose Frechheit spricht den Sitten Hohn,
Und rohe Horden lagern sich, verwildert

100
Im langen Krieg, auf dem verheerten Boden.

     Auf diesem finstern Zeitgrund mahlet sich
Ein Unternehmen kühnen Uebermuths
Und ein verwegener Charakter ab.
Ihr kennet ihn – den Schöpfer kühner Heere,

105
Des Lagers Abgott, und der Länder Geissel,

Die Stütze und den Schrecken seines Kaisers,
Des Glückes abentheuerlichen Sohn,
Der von der Zeiten Gunst emporgetragen,
Da Ehre höchste Staffeln rasch erstieg,

110
Und ungesättigt immer weiter strebend,

Der unbezähmten Ehrsucht Opfer fiel.
Von der Partheyen Gunst und Haß verwirrt
Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte,
Doch euren Augen soll ihn jetzt die Kunst,

115
Auch eurem Herzen, menschlich näher bringen.
[246]

Denn jedes Aeußerste führt sie, die alles
Begrenzt und bindet, zur Natur zurück,
Sie sieht den Menschen in des Lebens Drang
Und wälzt die größre Hälfte seiner Schuld

120
Den unglückseligen Gestirnen zu.

      Nicht Er ists, der auf dieser Bühne heut
Erscheinen wird. Doch in den kühnen Schaaren,
Die sein Befehl gewaltig lenkt, sein Geist
Beseelt, wird euch sein Schattenbild begegnen,

125
Bis ihn die scheue Muse selbst vor euch

Zu stellen wagt in lebender Gestalt,
Denn seine Macht ist’s, die sein Herz verführt,
Sein Lager nur erkläret sein Verbrechen.
     Darum verzeiht dem Dichter, wenn er euch

130
Nicht raschen Schritts mit Einem mal ans Ziel

Der Handlung reißt, den großen Gegenstand
In einer Reihe von Gemählden nur
Vor euren Augen abzurollen wagt.
Das heutge Spiel gewinne euer Ohr

135
Und euer Herz den ungewohnten Tönen,

In jenen Zeitraum führ es euch zurück,
Auf jene fremde kriegerische Bühne,
Die unser Held mit seinen Thaten bald
Erfüllen wird.

[247]
140
     Und wenn die Muse heut,

Des Tanzes freie Göttinn und Gesangs
Ihr altes deutsches Recht, des Reimes Spiel,
Bescheiden wieder fodert – tadelts nicht!
Ja danket ihr’s, daß sie das düstre Bild

145
Der Wahrheit in das heitre Reich der Kunst

Hinüberspielt, die Täuschung, die sie schafft,
Aufrichtig selbst zerstört und ihren Schein
Der Wahrheit nicht betrüglich unterschiebt,
Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst.

SCHILLER.