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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

roher Jägerei in unserem Inneren vor der Macht unserer besseren Einsicht, eine Pause der Ernüchterung tritt ein. Auf einen Wink Peter’s tritt die Mannschaft zurück, und wir stellen uns hinter den Einschlag, aufmerksam die Oeffnung der Röhre vor dem Kessel im Auge. Die Gewohnheit des in die Enge getriebenen Thieres, das Licht zu suchen und herauszufahren, läßt uns nicht lange vergeblich warten. Nach einer Weile streckt ein Dachs sichernd die Nase hervor und fährt im nächsten Augenblick aus der Röhre in den Einschlag. Ihm folgt ein zweiter. Mit einem Schuß auf den Kopf sind die Thiere erlegt und mit stillem Triumph hebt Peter unter der Beute auch einen Capitaldachs, einen alten Rüden, aus dem Einschlag empor. Er ist unverkennbar sein „Vergißmeinnicht“, das mit den beiden andern Dächsen, worunter noch ein schwächerer Rüde und eine Fee, nun die Stange ziert, welche die rüstige Rotte uns „vom Holz Ziehenden“ jubelnd vorausträgt.

Trotz strengster Waidmannsdisciplin im Jagdhundkreise widerfährt es doch wohl mitunter selbst wohlgeschulten Dachshunden, daß sie nach dem heißen Kampfe des Rachegefühls nicht sogleich Herr werden, sondern noch am todten Feind ihren Zorn auslassen, und eine solche Scene ist es, welche unser Künstler, der in Sachen des Jagd- und Waidmannswesens so kundige und erfahrene Maler Beckmann, uns vor Augen führt.

Der kühle Morgen, welcher hehr und sonnenklar über Wald und Feld heraufgezogen, giebt unserem Gemüthe wieder die harmonische Verfassung, und in dieser gestehen wir uns gern, daß, einen so großen abenteuerlichen Reiz eine Dachsjagd auch für ein Jägergemüth haben mag, doch dem Waidmann unserer Tage eine innere Stimme Mäßigung zuruft. Mäßigung, ja Schutz; denn eine neue Naturforschung weiß, daß der Dachs ein überwiegend nützliches Thier, daß er ein unablässiger Vertilger vieler Kerbthiere, namentlich der Engerlinge, sowie ferner der Schnecken und Regenwürmer, freilich in Gegenden des Weinbaues auch der Räuber vieler Trauben und der Zerstörer manches Rebstocks ist; daß er aber sonach in Waldgegenden besonders Schonung verdient, weil er dort auf Saat- und Pflanzstätten den gefährlichsten Feinden der Baumpflanzen, den Engerlingen und anderen Kerflarven, beharrlich nachstellt. Schonung dem geheimnißvollen Gnomen unserer Wälder muß auch der Forstmann unserer Tage als Wahlspruch auf seinen Jagdkalender schreiben, wenn sein Jägergemüth gleichwohl an den geheimsten Fäden in den höchsten Reiz der Jagdpoesie verführerisch gezogen wird. Ja, ein hoher, für den Laien unbegreiflicher Reiz liegt in jenen nächtlichen Jagden auf den Dachs, und jetzt nach dreißig Jahren unserer Waidmannspraxis stehen wir, obgleich nüchterner im Lichte unserer eigenen Beobachtungen über die Nützlichkeit des Dachses und menschlicher in einer wärmeren Regung für das Thier und seine Bedeutung im großen Haushalte der Natur, dennoch in lebhafter Erinnerung versunken in den unvergeßlichen Zauber, der die nächtlichen Abenteuer erlebter Dachsjagden umschließt, und der unseren Seelen die vorstehende Schilderung als ein getreues Bild eines Stücks Waldjagd zur Unterhaltung der Jagdfreunde entlockte.




Blätter und Blüthen.


Auch ein Jahrestag. Der 17. September war ein Gedenktag, der wohl an den Meisten spurlos vorübergegangen sein dürfte, denn es ist keine Schlacht, kein großes oder welterschütterndes Ereigniß, an das er erinnert – nein, es war nur der Tag, an dem das stille häusliche Glück eines großen und berühmten Mannes begann, an dem der heimische Heerd eines Vorkämpfers der Wissenschaft begründet wurde, mit einem Worte: der einhundert achtundzwanzigste Jahrestag der Verheirathung Karl Linné’s, des großen Botanikers, mit Lena Moreus, die das Glück und den Sonnenschein für sein[WS 1] ganzes übriges Leben bildete. Die Geschichte dieser Heirath ist interessant genug, um sie hier wiederzuerzählen, wenn sie auch nichts Romanhaftes hat.

Obgleich Linné völlig unbemittelt war, so beschloß er dennoch, eine wissenschaftliche Reise nach Lappland zu unternehmen, und machte sich eines Tages allein und zu Fuße auf den Weg, indem er nichts mit sich nahm, als ein Ränzchen mit etwas Wäsche, einem Paar neuer Schuhe, Federn, Papier und einem Zollstab. Diese Reise war nicht ohne Gefahren, Linné war mehrmals nahe daran, sein Leben einzubüßen, allein er kehrte doch fröhlich und mit reicher wissenschaftlicher Ausbeute heim, indem er den Rückweg über Finnland nahm und sich schließlich einige Zeit in Fahlun aufhielt, wo er sich bei seinem Freunde, dem Baron Rentherholm, von den überstandenen Mühseligkeiten ausruhen wollte. Dort nahm er auch Rücksprache mit demselben über eine neue wissenschaftliche Expedition nach Dalekarlien, die er im folgenden Frühjahre ausführte. Beide Reisen erregten großes Aufsehen in Schweden und machten Linné’s Namen bekannt, so daß in Fahlun alle Welt wetteiferte, den jungen Gelehrten so gut als möglich aufzunehmen. Besonders freundlich erwies sich aber der Doctor Moreus, eine der Notabilitäten von Fahlun, gegen ihn; er lud Linné nicht allein sehr oft zu Tische ein, sondern stellte ihm auch seine reichhaltige, kostbare Bibliothek zur Verfügung. Moreus besaß zwei Töchter,[WS 2] die älteste, Sarah, trauerte um ihren Verlobten Anderson, der vor zwei Jahren in Stockholm gerade in dem Augenblicke gestorben war, als er seine Vorbereitungen zur Hochzeit mit der seit fünf Jahren Geliebten traf. Die jüngere Tochter, Lena, war kaum achtzehn Jahre alt und schien mit Vergnügen die Aufmerksamkeiten eines jungen Arztes, Namens Rosen, entgegenzunehmen.

Lena war eine reizende Blondine mit jenen den Schwedinnen eigenthümlichen leuchtend blauen Augen; sie leitete das Hauswesen ihres Vaters in trefflicher Weise, diente demselben als Secretär und Bibliothekar und fand dabei noch die Zeit, ihrer Schwester eifrig Gesellschaft zu leisten, die, durch unheilbaren Gram gebrochen, nicht einmal getröstet sein wollte.

Linné faßte bald eine schwärmerische Liebe für Lena, allein da er diese Liebe für gänzlich hoffnungslos hielt, weil er sich einbildete, Lena liebe Rosen, so entschloß er sich, Fahlun so bald als möglich zu verlassen, um durch eine Trennung für immer seiner Leidenschaft alle Nahrung zu rauben und so mit der Zeit vielleicht Heilung für sein Herz zu finden.

Er machte eines Abends seinen Abschiedsbesuch bei dem Doctor Moreus, fand aber nur die beiden Schwestern allein zu Hause, da der Doctor zu einem Patienten gerufen worden war. Als er den Mädchen erzählte, er müsse noch denselben Abend abreisen, erbleichte Lena und ihre Augen füllten sich mit Thränen.

„Wie, Karl,“ sagte sie mit zitternder Stimme, „Sie wollen fort von hier und Fahlun auf immer verlassen? Wird Ihnen denn das so leicht?“

„Es giebt ja Niemanden hier, der mich vermissen wird, Niemanden, der mich lieb hätte,“ erwiderte Linné mit abgewandtem Gesicht.

„Sie irren sich,“ antwortete Lena, „ich habe Sie lieb!“

„Sie, Lena, Sie?“

„Haben Sie denn das nicht längst bemerkt?“

„Nein, nein, und überdies scheidet mich ja Alles von Ihnen, erstens Rosen’s Liebe und dann meine Armuth!“

„Rosen liebt mich vielleicht, das ist möglich, aber ich habe diese Neigung nie ermuthigt. Und Ihre Armuth kann uns nicht trennen – ich werde warten, bis Sie sich einen Namen erworben haben, den ich mit Stolz tragen werde.“

„Gott segne Sie für diese Worte!“ rief Linné, die Hand der Geliebten mit Inbrunst küssend.

„Und möge Gott Euch vor dem Schmerz bewahren, der mich zu Boden drückt!“ sprach Sarah, die beiden Liebenden umarmend.

„Ich war scharfsichtiger als Du, Freund Karl, ich wußte längst, daß Lena Dich liebt,“ sagte lächelnd der Vater Moreus, dessen Eintreten die jungen Leute in ihrer Aufregung gar nicht bemerkt hatten. „Suche nun mein Kleinod zu verdienen, und ich will es Dir in drei Jahren geben, wenn Du als Doctor der Medicin wiederkommst.“

So reiste Linné überglücklich nach acht Tagen voll Seligkeit mit dem Verlobungsring am Finger ab und kehrte drei Jahre darauf als Doctor, Mitglied der Akademie der Wissenschaften von Stockholm und Verfasser eines Werkes über die Insecten zurück, welch letzteres die gesammte Gelehrtenwelt in Aufruhr versetzte.

„Karl, mein Karl, wie stolz und glücklich bin ich über Deine Liebe!“ rief Lena ihm freudestrahlend entgegen.

„Sei willkommen, mein geliebter Sohn,“ sagte der alte Moreus, ihn herzlich umarmend.

„Habe Dank, Herr, daß Du sie vereinigt hast,“ murmelte Sarah, „Du hast mir kein solches Glück beschieden, aber Dein Wille geschehe!“

Wenige Wochen darauf, am 17. September 1739, feierte Linné seine Hochzeit mit Lena, welche von da an die liebevolle und intelligente Gefährtin seines arbeitsvollen Lebens wurde. Sie leitete nicht allein voll Ordnung und Sparsamkeit den sehr bescheidenen Haushalt ihres mehr berühmten als vermögenden Gatten, sondern sie half ihm auch voll Verständniß nach Kräften bei seinen Arbeiten, ordnete seine Sammlungen, schrieb was er dictirte, stand ihm bei seinen Beobachtungen und Versuchen bei und begleitete ihn auf den meisten seiner Reisen, während Sarah die zwei lieblichen kleinen Neffen unter ihre Obhut nahm, in deren Gesellschaft sie sich wieder aufleben fühlte.




Die vornehmen Ehen der Künstlerinnen. Die Rangerhöhungen durch Heirath, welche seit einiger Zeit das Ziel unserer Künstlerinnen zu sein scheinen, haben viel seltener, als man denkt, das Glück und die Liebe im Gefolge, sie sind sogar sehr oft nur aus Eigennutz geschlossen von Seiten der vornehmen Männerwelt. Das Gold, welches unsere Primadonnen zu ernten pflegen, hat mehr Anziehungskraft als ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit, wenigstens sind fast alle die Herren arm und sogar sehr stark verschuldet gewesen, die sich dazu drängten, den Rang von Künstlerinnen durch Adelstitel zu erhöhen. Nicht selten ist es, daß auch noch nach der Heirath die verschwenderische Lebensweise fortgesetzt wurde und es nothwendig machte, die vornehmen Gattinnen wieder zum Betrieb ihrer früheren Erwerbsquellen in die Oeffentlichkeit zurücktreten zu lassen. So hat Henriette Sontag, die einst so liebliche, hochgefeierte Sängerin, als Gräfin Rossi wieder die Bühne betreten müssen, um ihren Gemahl vor dem pecuniären Ruin zu schützen. Wie hart muß es für die feinfühlende Frau

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: sei
  2. Vorlage: Tochter
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_687.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)