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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

derselben Weise neu erbaut und unter riesige Glaskuppeln gebracht werden.[1] Die dafür concessionirte Gesellschaft, unter Direction des genialen Architekts Giuseppe Mengoni in Bologna, von dem der ganze Plan ist, hat ihren Sitz in London, ihre Baubureau’s in Mailand, und den Titel: „City of Milan Improvements Company limited.“ Der Bau der Galerie, so weit sie jetzt vollendet ist, hat dreißig Monate gedauert, und, nach dem Arbeiterpersonal berechnet, eine Million Arbeitstage in Anspruch genommen. Am 4. März 1865 wurde der Grundstein vom König Victor Emanuel gelegt, und am 15. September 1867 wohnte er, umgeben von all seinen Ministern und einer zahllosen Volksmenge, der Eröffnung des Prachtbaues bei.

Derselbe wird von zwei Gängen gebildet, die sich rechtwinkelig kreuzen. Den Mittelpunkt bildet eine ungeheure Rotunde. Die Gänge haben eine Länge von ungefähr zweihundert Meter. An den beiden Seiten derselben befindet sich eine Anzahl glänzend ausgestatteter Magazine, deren Vorderfronte aus einer einzigen riesigen Spiegelscheibe von venetianischem Glase besteht und die durch reiche dorische Säulen getrennt sind. Ueber diesen sind die Fenster des Entresols, theils durch reiche Basreliefs verziert, theils sind zwischen denselben vortrefflich ausgeführte Marmorstatuen von der Höhe der ersten Etage angebracht, die berühmtesten Männer Italiens vorstellend: Michel Angelo, Dante, Volta, Galileo Galilei, Raphael, Savonarola etc. etc. Um das ganze innere Gebäude läuft ein Balcon in zierlichster Form von reichvergoldetem Eisenguß, zwischen demselben hundert Reliefmedaillons, welche, auf rothem Grund vergoldet, die Wappen der bedeutenden italienischen Städte – Rom fehlt leider noch in dieser Sammlung – vorstellen. Die im besten Geschmacke verzierten Fenster der übrigen Etagen sind durch gewaltige marmorne Tragepfeiler getrennt und in einer Höhe von sechsunddreißig Metern über dem letzten Stockwerk mit sechsundzwanzig eisernen Bogen überspannt, die, in kühner Wölbung mit Glas gedeckt, den freien Blick in den Himmelsraum über der Kuppel gewähren. Namentlich bei Beleuchtung dieser Kuppeln, die in wahrhaft genialer Weise durch eine Unzahl von am Tage fast nicht bemerkbaren Apparaten in Sonnenform bewirkt wird, ist der Eindruck dieses ungeheuren Glasgewölbes ein märchenhafter. Die sehr ausgiebige Ventilation wird durch diesen Apparat ebenfalls bewirkt. Der Boden ist theilweise mit Lava, theilweise mit Metall in Mosaikarbeit gepflastert, deren Mittelpunkt die riesigen Wappenschilder Englands und der Stadt Mailand bilden. Unter diesem Boden befinden sich, durch dicke Krystalle mit Licht versehen, die Souterrains für die Beleuchtung, die fließenden Wasser, die Brunnen etc. etc. Auf eisernen spiralförmigen Treppen sind diese unterirdischen Räume zugänglich.

Nebst den oben erwähnten Sonnen, die am Tage durch die sehr geschickte Vorrichtung den Blicken des Beschauers fast ganz entgehen, um Abends einen um so blendenderen Glanz und Schimmer zu verbreiten, werden die Galerien durch zweitausend in eleganten, matt geschliffenen Glasgloben brennende Flammen und der Fuß der Kuppel durch eine Guirlande von dreihundert Lichtern, ferner durch eine dreifache Guirlande von je zweihundertundachtzig Brennern erleuchtet. Vier riesige vergoldete Candelaber von äußerst malerischer Form ergießen ihren Antheil in dieses Meer von Licht und Glanz. Das Eisen ist in diese ungeheueren Glasflächen durch äußerst geschickte Vorrichtungen fast unsichtbar eingefügt, so daß die krystallne Kuppel fast aus einer einzigen Fläche gebildet scheint, indem die Flammen die verbindenden Eisenbogen decken. Unter der kühnen und doch überaus anmuthigen Kuppel sind wieder sechszehn Kolossalstatuen angebracht, die beiden Winkel der Wölbung der vier Schiffe derselben scheint je ein ungeheuerer Greif mit ausgespannten Flügeln stützen zu wollen, der in seinen Fängen das Wappen von Savoyen und Mailand hält. In den Wölbungen unter der Kuppel befinden sich vier Fresken, die vier Welttheile darstellend – Australien scheint für Italien noch nicht zu existiren – in vollendeter Schönheit der Ausführung. Die Breite dieser wunderbar schönen Bilder ist ungefähr fünfzehn, die Höhe gegen acht Meter. Die Beleuchtung der Rotunde gießt ihr blendendes Licht auf das reiche Colorit dieser Prachtgemälde. Eben solche Bilder, Poesie, Handel, Malerei und Mechanik vorstellend, zieren die Wölbungen der Eingangshallen. Die reichen Arabeskenverzierungen sind in Marmor gravirt und in dunkler Farbe emailartig fest gehalten, eine neue Erfindung, deren Zierlichkeit mit ihrer Dauerhaftigkeit wetteifert.

Aus dem Geschilderten geht wohl selbst hervor, in welch’ überschwänglich reicher Weise die Stuck- und Marmorarbeiten, die Säulengänge, Vergoldungen und übrigen Verzierungen dieses Wunderbaues ausgeführt sind. Nun denke man sich diese Räume bevölkert von allen Schichten der Gesellschaft, die theils promenirend, theils vor und in den Räumen der eleganten Cafés sich erfrischend, den Klängen der rauschenden Musikchöre lauscht, theils in lebhafter Conversation sich ergeht, das bunte Gemisch der Nationaltrachten neben den eleganten Costümen der Modewelt, die Lebhaftigkeit der Südländer bei solchen Gelegenheiten, und man macht sich ein Bild von diesem wunderbaren Märchenbau, welches freilich von der Wirklichkeit weit übertroffen wird. Es ist ein Palast, wie keine zweite Nation einen ähnlichen aufzuweisen hat, der Eindruck ist ein unbeschreiblich bewältigender, und die Wunder der Pariser Ausstellung, die mich noch ganz umfangen hielten, schmälerten nicht im Geringsten mein Entzücken beim Anblick dieser größten Merkwürdigkeit: „der permanenten Weltausstellung des neuen Italiens“.

Franz Wallner.




Blätter und Blüthen.


Aus der Mappe eines deutschen Staatsanwalts. II.[2] Verehrte Leser, die Ihr in den westlichen Provinzen des preußischen Staates oder in der Mitte von Deutschland wohnt, es wird Euch, wenn Ihr den Schwurgerichten in Eurer Heimath, sei es als Geschworne, sei es als Zuschauer, beigewohnt habt, nur selten der Fall der Bigamie, des Verbrechens der Doppelehe, vorgekommen sein. Die Seltenheit dieses Verbrechens bei Euch rührt einmal daher, daß bei Euch die Ehe heiliger gehalten wird, als in andern minder cultivirten Ländern, sodann aber ist die Entdeckung eines solchen Verbrechens bei Euch viel wahrscheinlicher, als beispielsweise an der preußisch-russisch-polnischen Grenze. In diesen Grenzdistricten passirt es häufig, daß ein preußischer verheiratheter Unterthan über die Grenze nach Polen oder Rußland geht, um bessere Arbeit zu suchen. Findet er sie, so bleibt er dort, er vergißt, zumal er nicht schreiben kann, leider nur zu oft und zu bald Frau und Kind. Er gilt in seinem neuen Vaterlande als unverheirathet, der Geistliche kennt ihn nur als solchen, bald findet sich eine Liebschaft – eine wilde Ehe wird nicht geduldet –, der Geistliche traut, und das Verbrechen der Bigamie ist vollendet. Die Zeit macht ihn dreist. Er kehrt vielleicht in Geschäften über die Grenze zurück, der Zufall spielt, er wird erkannt, sein Sündenregister kommt an den Tag, das Zuchthaus öffnet seine Thore, und zwei Familien hat er an den Bettelstab gebracht.

In der preußischen Dorfschaft N. an der russischen Grenze lebte ein Arbeiter Jaschinski mit seiner Frau und fünf Kindern. Mann und Frau stammten aus Polen und waren im Jahre 1846 nach Preußen verzogen. Der Verdienst wurde schlechter, und der Mann begab sich im Jahre 1856 nach Polen zurück, um bessere Arbeit zu suchen und seine Familie dann nachzuholen. Aber er kam nicht wieder. Es vergingen sieben Jahre und seine Frau hielt ihn für todt.

Ich war im Jahre 1863 Staatsanwalt in jenem Grenzdistricte, in welchem Frau Jaschinska wohnte. Eines Tages kam sie athemlos zu mir und erzählte, daß sie Tages zuvor auf dem Pferdemarkte in S. gewesen und hier ihren Mann wiedergesehen habe. Sie habe ihn auf das Genaueste erkannt, da sie ja elf Jahre mit ihm gelebt habe. Ihr Mann sei jetzt Knecht bei einem polnischen Pferdejuden und sie habe durch letzteren erfahren, daß ihr Mann seit sieben Jahren im russischen Dorfe A. wohne und dort seit vier Jahren verheirathet und Vater zweier Kinder sei.

Bei der ganz bestimmten Aussage der Frau wurde der Mann verhaftet und die Voruntersuchung begann. Frau Jaschinska beschwor, daß der ihr vorgeführte Angeschuldigte ihr entlaufener Ehemann sei. Ihr ältester Sohn, der beim Weggange des Vaters zehn Jahre alt gewesen war und jetzt siebenzehn Jahre zählte, bekundete, daß er sich seines Vaters genau erinnere und daß der Angeschuldigte sein Vater sei. Es wurden Zeugen aus dem Dorfe N., wo die Jaschinski’schen Eheleute zehn Jahre gelebt, vernommen. Sie sagten übereinstimmend aus, daß sie den Jaschinski zwar nur selten gesehen, weil er meist auswärts auf Arbeit gewesen sei, auch weit entfernt vom Dorfe gewohnt habe, daß aber der Angeschuldigte an Größe, Gestalt und Gesichtsbildung mit Jaschinski die größte Aehnlichkeit habe und sie die Identität nicht bezweifelten. Endlich wurde die russische Behörde requirirt, und diese gab die Auskunft, daß der Angeschuldigte unter dem Namen Murowski im Jahre 1856 in das Dorf eingewandert sei und sich im Jahre 1859 dort verheirathet habe.


  1. Die Stadt Mailand hat alle diesen Stadttheil einschließenden Häuser aus ihren Mitteln angekauft und der Gesellschaft zur Ausführung des Planes unentgeltlich abgetreten.
  2. Auch die in Nr. 41 gebrachte kleine Erzählung „Ungerecht und doch gerecht“ ist aus der Mappe dieses Staatsanwalts.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_734.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)