Seite:Die Gartenlaube (1867) 778.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

heran, die vornehmen Gäste versammelten sich, man erwartete in ungewöhnlicher Spannung das Emporrauschen des Vorhangs. Wenzel Müller erfuhr kopfschüttelnd endlich vom Fürsten selbst die ihm zugedachte Ueberraschung, die Aufführung des Donauweibchens. Die kleine vorsichtige Therese hatte ihm aber neckisch eine Rose in’s Knopfloch gesteckt, sie wußte, dem Duft und Glanz einer Rose, in welcher Gestalt sie ihm auch erscheinen mochte, hatte der Papa noch nie widerstanden, und da saß er denn auch wirklich mit heitererer Stirn, als man seit langer Zeit an ihm gesehen, und wartete, was man wohl aus seinem Werke machen werde, das zum ersten Mal vor seinen Augen ein Anderer dirigirte. Und der junge Dirigent trat so sicher und ruhig an sein Pult; ein Wink von der schlanken Hand, und das Orchester stimmte den ersten Accord an – der Vorhang rollte auf – das Zauberspiel nahm seinen Anfang. Nixen und Wassergeister, gute und böse Ritter erschienen, das Donauweibchen aber sang mit den süßesten Tönen:

„In meinem Schlößchen ist’s gar fein –
Komm, lieber Ritter, nur herein!“

Und als „Hulda“ erschien, die Reizende, da starrte der Leopoldstädter Capellmeister wie im Traum auf sie hin. War das nicht Nannerl, die Unvergeßliche, Davongelaufene?! Freilich viel, viel schöner, viel jünger, viel zarter, aber dennoch das Nannerl, in Costüm, Haltung, Bewegung, Lächeln und Blick, die reizendste aller Copien. Aber die Füßchen, nein, solche Aristokratenfüßchen hatte doch das Nannerl nie gehabt! Die war allezeit derb aufgetreten und ihre Doppelgängerin schwebte einher, als könnte sie kein Gräschen zertreten. Und er ließ sie nicht aus den Augen, diese liebliche Gestalt, er hörte nichts als sie; wie verzaubert kam er sich vor, es war ihm, als ob es Nannerl sei, die da sang, und doch klang’s wieder zuweilen ganz anders. Hier und da wurde eine kleine Verzierung, ein Triller, ein Mordant eingeschoben, wie sie jene andere Hulda doch nie über die Lippen gebracht. Das Herz Wenzel Müller’s schmolz in Rührung und Erinnerung, er vergab jenem treulosen Quälgeist in Wien in diesem Augenblick Alles, selbst das Davonlaufen. Er merkte nicht, daß ihm die hellen Thränen aus den Augen stürzten, wohl aber, daß der kleine Capellmeister dort oben seine Oper meisterhaft dirigirte, daß die Sänger Wunder thaten und die Aufführung eine tadellose war. Weit, weit fort schwammen die Gedanken auf den weichen Wellen der Töne, zurück zu jenem Abend, wo er sein Donauweibchen zum ersten Male vor der jubelnden Menge in Wien dirigirt, sechs Jahre nach Mozart’s Tode, und Joseph Haydn damals in der kleinen Seitenloge saß, mit seinem heitern Kindergesicht herüberwinkte und lächelte und der kleinen sechsjährigen Therese, die wie eine Elfe auf der Bühne umhergaukelte, eine Kußhand zuwarf.

Und während all’ dieser Träumereien erklangen jene schlichten Weisen, die Jeder schon einmal gehört zu haben meinte, aber Keiner wußte wo, Melodien, die Allen an’s Herz gingen und wunderliche Empfindungen brachten: Erinnerungen an die frohe Jugendzeit, an die Lieder der Mutter, an den ersten Kuß der Geliebten, man lachte und doch schimmerten viele Augen feucht.

Endlich rief man den Namen des Leopoldstädter Capellmeisters in heller Begeisterung, als der Vorhang gefallen und das Märchen ausgespielt war, wieder und wieder klatschte man in die Hände. Es war, als wäre man im Leopoldstädter Theater in Wien, so jubelte und lärmte Alles! Wenzel Müller aber taumelte, wie ein Nachtfalter vom hellen Lichte berauscht, empor, und war mit einem Satz hinter den Coulissen. Da stand das Nannerl – ihm geradezu mundrecht im Wege – wie er meinte, und da hatte er sie in seine Arme gefaßt, ehe er’s selber noch recht wußte, und – hatte einen gewaltig herzhaften Kuß auf die rosige feine Wange gedrückt. „Ich habe ja immer gesagt,“ rief er mit bebender Stimme, „nur ein Wiener Kind kann diese meine Weisen richtig singen!“

Und seine Halsschleife saß auf der rechten und seine Perrücke saß auf der linken Seite, und Therese zupfte ihn wieder einmal halb lachend und halb ängstlich am Aermel wie so manches Mal und rief: „O Papa, besinne Dich doch – es ist ja nicht das Nannerl!“

Die schöne Doppelgängerin der Davongelaufenen aber befreite sich aus dem umschlingenden Capellmeisterarm, legte, über und über erglühend, die zierlichen Finger auf die Lippen des Mädchens und flüsterte: „Still, still, Kleine! Ich bin selber schuld daran. Er hat Recht, das Donauweibchen klingt doch am besten im Leopoldstädter Theater in Wien. Wir müssen eiligst das wirkliche Nannerl für ihn einfangen und ihn wieder in die schöne Heimath zurücksenden. Ich bin eine ungeschickte Gärtnerin gewesen; nicht alle Bäume vertragen eine Verpflanzung. Ein ‚braver Mann‘ bleibt er aber doch, der Leopoldstädter Capellmeister,“ setzte sie mit einem zauberischen Lächeln hinzu, „Du weißt ja, Therese, wie es in jenem Liede heißt, das er dem Grafen N. vor die Füße geworfen! Er hat heut’ nun seinen kleinen ‚Rausch‘ gehabt, und solch’ einen ‚Rausch‘, das sage ich Dir in’s Ohr, Kleine, verzeihen wir am allerleichtesten.“

Welche Lippen diese kleine Geschichte weiter geplaudert, – wer weiß es?

Thatsache ist, daß Wenzel Müller bald nachher seinen vornehmen Posten in Prag niederlegte und wieder Capellmeister an der Leopoldstadt wurde, – auch das wirkliche Nannerl fand sich ein, – allein nirgend steht geschrieben, daß sie ihn bei den zahllosen Aufführungen des Donauweibchens jemals wieder so berauscht, wie ihre reizende Doppelgängerin im Gartensalon des Fürsten L. –

Eine Zeitlang beherrschten die lustigen Singspiele und Zauberopern Wenzel Müller’s noch die Bühne, und manches Herz wurde leicht und froh bei seiner leichten frohen Musik. Man sagte auch, daß er es verstanden, einem Königskinde, das sonst nie lachte, ein Lächeln abzuzwingen: der junge, schwermüthige Herzog von Reichstadt bestellte zuweilen eine Oper Wenzel Müller’s.

Dann wurden allmählich die Menschen und die Zeiten ernst und immer ernster und wollten keine Zauberpossen mehr sehen und hören, und da legte der alte Capellmeister den Tactstock nieder, den er so viele Jahre geschwungen, und betrat das Leopoldstädter Theater nur, wenn man eine Weber’sche Oper gab. Dann aber fehlte Wenzel Müller gewiß nie unter den Zuschauern; er lauschte fast mit der Aufmerksamkeit eines Kindes, schlug den Tact, und über sein runzelvolles Gesicht flogen helle Freudenlichter. Wenn am Schlusse ein Sturm des Jubels durch das Haus brauste, äußerte er seinen alten Freunden gegenüber: „Das hat er von mir gelernt, er singt eben Lieder für’s Volk. Ich hab’ mir gleich gedacht, daß etwas Ordentliches aus ihm werden würde, als er in Prag mein Donauweibchen dirigirte, und es war klug von den Leuten, daß sie ihn damals dort zu meinem Nachfolger machten.“

Einsam, recht einsam lebte aber der alte Capellmeister. Aus der kleinen reizenden Therese Müller war mittlerweile eine glückliche Frau und berühmte Sängerin geworden, allein Madame Grünbaum lebte in Berlin, fern vom geliebten Vater. Man trug sie auf Händen in der Fremde wie damals in Wien und Prag, und wenn ihre zärtlichen Briefe kamen, in denen sie von den Triumphen redete, welche sie als Agathe, Rezia, Preciosa und Euryanthe feierte, da lächelte Wenzel Müller und gedachte immer und immer jenes Abends in Prag, wo Carl Maria von Weber den Tactstock schwang und das Donauweibchen lockte:

„In meinem Schlößchen ist’s gar fein,
Komm, lieber Ritter, nur herein!“

Zuweilen, wenn er durch die Straßen Wiens schlenderte, blieb er wohl lauschend stehen, denn hier und da tönten ihm bekannte Laute entgegen: man sang seine alten Lieder. Wenn er aber näher trat und schalkhaft lachend fragte, wer jenes ‚hübsche Ding‘ wohl gemacht, da sah man ihn verwundert an – den Namen des Componisten wußte Niemand mehr, doch den Liedern selbst fehlte keine Note. – Eines Tages ließ ihm aber doch die Sehnsucht nach dem fernen Kinde keine Ruhe mehr, und so faßte Wenzel Müller endlich den kühnen Entschluß, seinen Liebling in Berlin zu besuchen. Als er nach anstrengender Reise in der preußischen Residenz ankam und in der Wohnung Theresens nach Madame Grünbaum fragte, wies man ihn in’s Theater; „sie singt heut’ die Marcelline und die große Milder den Fidelio,“ berichtete man ihm. Der Leopoldstädter Capellmeister schwankte einen Augenblick. Er hatte bis zur Stunde Beethoven’s Fidelio noch nie gehört und – nie hören wollen. „Was sie für ein Geschrei machen von einem Componisten, der nur eine einzige Oper erfunden hat,“ sagte er oft unwillig, „während man mich, der ich doch mehr als hundert Mal so viel schrieb und dazu noch ganze Ballen für die Kirche liegen habe, bei lebendigem Leibe begräbt.“ Und so hätte er auch in Berlin den Fidelio nicht

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_778.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)