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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

runzlige Gesicht in Lebensgröße am Thor und fragte mürrisch nach unserem Begehr. Meine Mutter nannte den Namen, worauf wir etwas freundlicher eingelassen wurden. Die Dienerin, anscheinend der Inbegriff aller gräflichen Hausmacht, führte uns über die mit Unkraut und Gras überwachsenen Pflastersteine des Hofes nach der Rückseite des Hauses, wo sie uns in einer feuchtkalten, mit Stein belegten offenen Vorhalle stehen ließ, um mit ein paar unverständlichen Worten wieder zu verschwinden. Hier lagen Tische und Bänke und Stühle unordentlich übereinander. Der Garten und seine Geräthschaften mußten wohl noch lange warten, bis der Frühling einzog in dies frostige Haus und die winterlichen Herzen seiner Bewohner!

Ich werde den Eindruck nie vergessen, den das Erscheinen der Gräfin, die uns eben hier zuerst empfing, auf mich machte. Ich habe nie wieder eine so aristokratische Gestalt in so schmutzig-plebejischem Aufzuge oder, um mit den Aesthetikern zu reden, nie wieder eine so vollendete Idee in so widersprechender Form gesehen. Die Gräfin Kielmansegge war damals schon eine greise Frau – aber ungebrochen hatte dieser stolze Nacken die Stürme überdauert, die Europa seit mehr als zwei Menschenaltern durchzogen und auch sie oftmals gewaltig erfaßt hatten. Eine Säule von ehedem stand sie da, hoch und schlank, in dem sichern Bewußtsein eines tadellos aristokratischen savoir vivre. Ihre feinen, regelmäßigen Züge verriethen meiner prüfenden Mutter schnell die letzten Spuren jener gefeierten Schönheit, auf welche einst der erste Napoleon bewundernd geblickt haben soll. Und konnten diese gemüthslosen, kalten, blauen Augen, diese harten, marmornen Züge wirklich jenes innere Feuer verbergen, das in den Briefen an meine Mutter lebendig hervortrat, dann hatte sie entweder eine außerordentliche Gewalt über den Spiegel ihrer Seele, oder sie war einer der selbst unter Männern seltenen Charaktere, bei denen jede Geberde, jedes Wort, jede That den Stempel einer innern Nothwendigkeit trägt, an denen jeder Zoll ein Wille, ein Charakter ist und die darum dem gewöhnlichen Sterblichen mit undurchdringlicher Kälte und Herzlosigkeit behaftet erscheinen. Wenn aber einmal – was nur selten geschah – das schlafende Feuer seine Hülle zersprengte, dann bot ihr Antlitz den erschreckendsten Ausdruck dar. Wie ein heimlicher Krater plötzlich eine friedliche Landschaft mit Lavaströmen tränkt, wenn seine verhaltene Lohe emporschießt, so flog alsdann über diese sonst regungslosen Muskeln ein jähes, dämonisches Feuer, ein Zucken und Wühlen und Arbeiten, das plötzlich wieder zu einem souverainen Lächeln erstarrte.

Im grellsten Widerspruch mit diesem imponirenden Aeußern stand die Gewandung, in der sie erschien. Ihre hohe Stirn war fast vollkommen bedeckt durch eine große Haube mit breiter enganliegender Spitze. Ein Ueberrock vom ordinärsten baumwollnen Stoff, grau und schwarz gewürfelt, umgab schmucklos die ganze Gestalt und reichte kaum bis zum Knöchel. Alles dies rief unwillkürlich den Gedanken an ein klösterlich büßendes Wesen hervor, ein Gedanke, den die einsiedlerische Lage dieser Behausung, die Dürftigkeit der ganzen fahrenden Habe und der äußerst einfache Apparat der gräflichen Bedienung wahrlich nicht Lügen strafte. Spleen, Weltüberdruß oder Geiz konnten nicht die Ursachen der außerordentlichen Verwahrlosung des Gutes und deren Eigentümerin sein; denn Spleen und Weltüberdruß paßten schlecht zu der allgemein bekannten Thatsache, daß die Gräfin sehr oft zu Hofe ging, und zwar in ihrem oben geschilderten Aufzuge, und an ihrer Freigebigkeit durften wenigstens wir nicht zweifeln. Eine geheimnißvolle starke Macht, stark genug für eine so stolze und früher so weltliche Dame, mußte also gebieterisch über ihr schweben und ihr als Buße für weiß Gott welche Vergehen diese eigenthümliche Tracht und Abgelegenheit des Wohnsitzes auferlegen. In wessen Händen ruhte solche Macht? Und was war die Veranlassung zu solcher Kasteiung? Die Gräfin hat uns die Antwort darauf nie gegeben.

Die ersten Worte des Willkommens waren nicht so herzlich, wie wir nach der Gräfin Briefen hätten erwarten dürfen, aber immerhin warm genug für eine Greisin von solchem Aussehen. Es schien eine unmuthige Laune sich ihrer augenblicklich bemächtigt zu haben. Sie schritt uns wortlos voran und öffnete auf der rechten Seite der Vorhalle eine Thür, durch die sie uns eintreten hieß. Wir befanden uns nun in einem kleinen Zimmer mit gelb getünchten Wänden und höchst ärmlichem Meublement.

„Dieses Zimmer,“ begann die Gräfin, „wird von meiner Nichte bewohnt, wenn sie mich besucht. Indessen, bitte, nehmen Sie Platz. Ich bedaure außerordentlich, Sie nicht schon heute Morgen am Bahnhofe getroffen zu haben.“

„Sie waren so freundlich uns abholen zu wollen, Frau Gräfin. Wir konnten leider nicht früher abreisen,“ sagte meine Mutter. „Vielleicht ließen Sie unsertwegen Ihre Equipage umsonst nach Dresden fahren?“

„Equipage?“ fragte die Gräfin verwundert, und der Unmuth von vorhin machte einem flüchtigen Lächeln Platz. „Equipage?“ fuhr sie fort, ohne eine Frage meiner erstaunten Mutter abzuwarten. „Glauben Sie, daß ich meine Wege nach der Stadt zu Wagen mache? Ich gehe immer zu Fuß. Nun, betrüben Sie sich nicht. Ich habe meinen Aufenthalt in Dresden benützt, den jungen Herren hier ein kleines Andenken für die Schweiz zu besorgen.“

Später kam nicht mehr die Rede auf dies Andenken.

„Wo gedenken Sie sich in Dresden aufzuhalten?“

„Im Hotel L…g.“

„Also sind Sie da eingekehrt?“

„Ja, ich war dort durch, einen neuen Wirth unangenehm überrascht.“

„Also gefällt es Ihnen nicht? Nun, ich weiß nicht, ob Sie und Ihre Kinder Anspruch machen; – oben habe ich zwar Raum und Betten genug, aber zum Empfang für Gäste nicht geordnet. – Wenn Sie mit Ihrem Töchterchen Platz genug in diesem Bette finden und die beiden jungen Herren in einem Bett in der anstoßenden Kammer, so bleiben Sie bei mir über Nacht.“

„Da wir jedenfalls morgen wieder nach Leipzig zurück müssen, werden wir kaum auf so kurze Zeit die Ordnung Ihres Hauses stören dürfen.“

„Fühlen Sie sich doch hier zu Hause, werthe Frau; andern Tags begleite ich Sie nach Dresden, vor Ihrer Abreise thun Sie mir den Gefallen mit mir in Stadt N…g, meinem Absteigequartier, zu speisen, und heute Abend wollen wir in Plauen, also ganz in der Nähe, soupiren.“

Nachdem noch die Gräfin versprochen, aus dem Gasthof in Plauen Jemand zur Besorgung unserer Wäsche nach unserem Hotel abzusenden, bot sie uns eine Erfrischung. Wir baten um ein Glas Milch und ergingen uns dann längere Zeit in dem höchst unheimlichen Park der Gräfin, an dessen Grenze das düstere Wasser der Weißeritz vorüberrauschte.

Unterdessen war die Dunkelheit vollständig hereingebrochen und die Gräfin, wie sie ging und stand, geleitete uns, nachdem unser Schwesterchen schlafen gegangen war, nach dem Gasthof in Plauen. Gleich am Eingang desselben stießen wir in der Person des Wirthes auf ein bekanntes Gesicht. Es war der meiner Mutter durch frühere Besuche in Dresden bekannte Besitzer des Hotel L…g in Dresden, unserem Absteigequartier. Allein der Ausdruck des beiderseitigen Wiedersehens war ein sehr verschiedener. Während meine Mutter ihre Freude nicht verhehlte, konnte der Wirth die höchste Bestürzung nicht verbergen, als er sah, daß wir die ihm angemeldeten Gäste der Gräfin Kielmansegge seien, und als die Gräfin uns Jungen die Treppe hinaufführte und uns fragte, ob wir den Herrn kännten, hatte der Wirth selbst Zeit genug, der Mutter aufs Eindringlichste zu bedeuten, daß er dafür sorgen werde, noch diesen Abend in Betreff der Gräfin mit ihr zu sprechen. Als der Wirth die Suppe servirte, bat ihn die Gräfin, sogleich Jemand wegen unserer Wäsche in die Stadt zu senden.

Der Wirth kam, als er den ersten Gang auftrug, wieder herauf und meldete, daß er für den Weg allerdings Jemand aus dem Dorfe gefunden habe, der Bursche aber etwas schwer von Begriffen sei und die Gräfin daher gestatten möge, daß Frau Blum, theils wegen seiner Instruction, theils wegen der Ausfertigung seiner Legitimation, sich einen Augenblick hinunter bemühe.

Wenn der arme Bursche gewußt hätte, was droben über ihn behauptet wurde, er würde ohne Zweifel den Wirth wegen Injurie verklagt haben, denn ein paar Secunden reichten aus ihn vollständig für seinen Gang auszurüsten. Kaum war aber der Wirth mit der Mutter allein, als er ausrief: „Vor Allem, wie kommen Sie mit der Frau zusammen?“

Meine Mutter erzählte es ihm.

„Das ist Alles ein feinangelegtes, raffinirtes Spiel!“ setzte er in großer Aufregung hinzu. „Zuerst sendet sie Ihnen hundert

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_023.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)