Seite:Die Gartenlaube (1868) 042.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Ich correspondire mit Windischgrätz.

„Also das ist wirklich wahr?“

„Hörten Sie davon?“

„Ja, ja – öfters. Doch, Frau Gräfin, haben Sie auch nach der Katastrophe einen Brief von diesem – Manne?“

„Auch nach dem neunten November!“ sagte sie feierlich.

„Nun denn, Frau Gräfin – beantworten Sie mir die eine, die einzige Frage: Glauben Sie, wissen Sie, daß er noch lebt?“

„Ich kann Ihnen,“ antwortete die Gräfin mit einer eisigen Ruhe und Sicherheit, „nur die Antwort auf diese Frage geben: Der Diplomatie ist Alles möglich! Siegt Kossuth, so wird Blum frei!

Bei diesen Worten sank meine Mutter überwältigt aufs Kissen zurück, einen Augenblick umsonst nach Fassung ringend.

Aber dann war’s ihr, wie wenn mit einem Male von diesem undurchdringlichen Gesicht vor ihr eine verschönernde Maske gerissen würde, so grinsend höhnisch schien die Gräfin sie anzublicken, während dieselbe ihre Augen mit der Hand bedeckt hielt. Sie wollte sich von der Wahrheit dieses Anblickes überzeugen und fuhr rasch empor. Das Talglicht flackerte heftig – Doch als sie der Gräfin fest in’s Gesicht blickte, gewahrte sie einen so mütterlich besorgten Ausdruck, daß ihr ganzer Zorn wieder entwaffnet wurde und sie sicher annahm, sich getäuscht zu haben.

„Vergeben Sie mir,“ sprach die Gräfin leise, „wenn ich Sie wider Willen aufgeregt haben sollte – aber ich kann Ihnen nicht mehr sagen; lassen Sie mich also abbrechen und schlafen Sie recht wohl.“ Damit entfernte sie sich.

Meine arme Mutter war Anfangs zweifelhaft, ob sie nicht sogleich aufspringen und mit uns das Haus verlassen solle. Allein wozu konnte dieses Weib sich nicht möglicher Weise entschließen, wenn sie ahnte, daß meine Mutter argwöhnte? Es hätte dann leicht zu einer Scene kommen können, die bei der furchtbaren Aufregung meiner Mutter vielleicht tödtlich gewirkt. Sie entschloß sich daher zu bleiben – aber nie, nie wieder mit der Gräfin ein Wort über ihre Verhältnisse, ihren Verlust zu sprechen. Erst gegen Morgen fand sie ein Stündchen unruhigen Schlummers.




Wir standen spät auf. Unterdessen war die Reisetasche mit der Wäsche im Schlosse abgeliefert worden. Warum wir sie nicht am Abend erhielten, erfuhren wir nicht. Die Gräfin war merkwürdig einsilbig und übler Laune. Gegen Mittag endlich setzte sich die Gräfin einen ungeheuren Strohhut auf, an dem wir Jungen uns sichtlich erquickten; das war ihre ganze Toilette und nun wurde der Weg nach Dresden angetreten, natürlich, den Principien der Gräfin gemäß, zu Fuß. Wir Knaben schritten mit der Gräfin und der Reisetasche voran, die Mutter mit der Kleinen hinterdrein, und wenn uns Leute begegneten, sah die Mutter sie oft sich einander bedenklich anblicken und, auf die Gräfin deutend, fragen: „Wo will denn Die mit den Kindern hin?“ Obschon wir auf diesen Tag zu Bürgermeister Klinger eingeladen waren, beharrte die Gräfin auf ihrer Einladung für den Mittag. Wir sagten also bei Klingers ab und die Gräfin setzte es durch, daß Fräulein Bertha Klinger auch ihr Gast wurde. So kamen wir nach Stadt N…g. Als wir dort eintrafen, verließ ein vornehm aussehender Herr, mit Orden etc., gerade das Hotel, mit dem die Gräfin einige leise Worte wechselte. Später erfuhren wir, daß es der spanische Gesandte gewesen sei.

Es war ein unheimliches Diner, das wir dort in der zweiten Etage apart einnahmen: die Gräfin einsilbig, die Mutter gedrückt, das Fräulein schüchtern, wir Knaben übermüthig, Ida vom Marsche so schläfrig, daß sie nach dem zweiten Gang schon einnickte und die Mutter, als die Gräfin eben im Begriff war, einen edlen Magyaren zu entkorken, sie aus dem Zimmer führen mußte, um sie im Ankleidezimmer auf ein Sopha zu legen. Um dahin zu gelangen, mußte man an der Treppe vorüber. Vom Fuße derselben ließ sich ein Wortwechsel zwischen einem Manne in der Amtstracht der Diener der sächsischen Kammern und einem offenbar groben Kellner vernehmen, der verstummte, sobald die im höhern Stock geöffnete Thür wieder geschlossen und Stimmen laut wurden. Der Diener in der Amtstracht kam lebhaft die Treppe herauf, auf meine Mutter zu und fragte, nachdem er wahrscheinlich ihre Trauerkleidung gemustert hatte:

„Ich bitte um Vergebung – wenn ich nicht irre, so sind Sie Frau verwittwete Blum.“

„Ja, zu dienen.“

„Ich habe ein Billet an Sie,“ sagte er flüsternd, als von drinnen Stimmen laut wurden, „von Dr. –n.“

„Warten Sie auf Antwort?“

„Wenn’s Ihnen gefällig wäre.“

Sie erbrach das Siegel und las:

„Werthe Frau!

Sie sind in fürchterlichen Händen! Kommen Sie sogleich mit Ihren Kindern und Bertha K. in meine Wohnung. –n.“

„Ist der Herr Doctor noch in der Kammer?“

„Jetzt wird sie geschlossen sein. Ich soll ihm die Antwort nach Hause bringen.“

„So sagen Sie, ich würde in einer Viertelstunde dort sein.“

Der unterzeichnete Name war so bedeutend, das Gewicht seiner Meinung so bestimmend, daß die Mutter, von allen Höflichkeitsrücksichten absehend, sofort aufbrechen zu müssen meinte.

Wir Knaben waren nicht wenig verwundert, als wir einem hoffnungsvollen Dessert durch die Nachricht entrissen wurden, daß wir Alle sofort aufbrechen müßten, da eine sehr dringende ernste Nachricht eingelaufen wäre. Die Gräfin dagegen nahm diese Botschaft mit großer Ruhe auf, als etwas längst Erwartetes. Der Abschied war sehr kühl auf beiden Seiten. Fräulein Klinger verließ das Speisezimmer etwas nach uns. Wir glaubten zu bemerken, daß die Gräfin sie etwas zurückhielt und sie zusammen flüsterten.

Auf der Straße angekommen, sah das Fräulein scheu zurück und sagte dann zu unserer Mutter:

„Das muß eine sehr, sehr böse Frau sein!“

„Warum denn, mein Kind?“

„Sie sagte mir, wenn Sie etwas über sie, ihre Verhältnisse und Reden sagen würden, so solle man Ihnen nicht glauben, denn es wäre hier oben nicht richtig mit Ihnen. Dabei legte die Gräfin den Finger an die Stirn.“

Ich verstand den Sinn dieser Worte nicht ganz, aber der Ernst in meiner Mutter Zügen, wie sie die Lippen an einander preßte und in langen Zügen athmete bei dieser Mittheilung, ließ mich ahnen, daß sie sich tief und ernst gekränkt fühle. –

Bei Dr. –n fanden wir viele Freunde des Vaters versammelt.

Man gab uns sogleich warme Milch zu trinken, unnützerweise, denn vergiftet waren wir natürlich nicht. Nachdem wir Alles erzählt, was uns begegnet war, und zahllose Hypothesen über die Absichten der Gräfin mit uns aufgestellt worden, ging ein von den anwesenden Freunden unterzeichneter Brief nach Plauen ab, worin die Gräfin gewarnt wurde, jemals wieder sich um uns zu bekümmern, widrigenfalls alte dunkle Geschichten wieder hervorgesucht werden würden, die Wohl zu ihrem eigenen Besten besser begraben blieben, – und wir haben auch nie mehr direct oder indirect ein Lebenszeichen von ihr erhalten. –

Ich würde den Boden der reinen Wahrheit verlassen und mich auf das schlüpfrige Gebiet der Hypothese begeben, wollte ich meinen Lesern sagen, welcher Art denn die vollen Absichten der Gräfin mit uns und welcher Art jene alten dunkeln Geschichten waren. Bis zu einem bestimmten Grade freilich liegt diese Absicht so klar zu Tage, daß ich keine Hypothese, sondern einen einfachen Schluß aus wahren Thatsachen ausspreche, wenn ich sage, daß die Gräfin die bestimmte, vollbewußte Absicht hatte, meine Mutter durch den Glauben, daß unser Vater noch lebe, geistig zu verwirren, mindestens ihre durch die Leiden der letzten Monate tief erschütterte Seelenruhe von Neuem wieder in der ungeheuerlichsten, grausamsten Weise zu stören.

Daß die Gräfin diese Absicht mit voller Klarheit und mit Vorbedacht auszuführen versuchte, das schließe ich aus folgender einfachen Thatsache. Die Gräfin behauptete, daß sie mit Windischgrätz correspondire, und suchte aus dieser Behauptung meiner Mutter den schlagendsten Beweis zu liefern, daß sie über meines Vaters wahres Schicksal auch am besten orientirt sein müsse. Diese Behauptung war nun entweder eine Lüge, und in diesem Falle liegt ihre Arglist auf der Hand, oder aber – wovon ich fest überzeugt bin – die Gräfin correspondirte wirklich mit Windischgrätz. Ich bin deshalb dieser Ueberzeugung, weil ich einmal keinen vernünftigen Grund kenne, eine Behauptung ohne Weiteres für eine Lüge zu erklären, und sodann weil die Gräfin Kielmansegge mit der zu Prag in den czechischen Unruhen erschossenen Gattin des Fürsten Windischgrätz eng befreundet gewesen ist. Ich will auch

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_042.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)