Seite:Die Gartenlaube (1868) 044.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

dem Festlande, verwünschte man das Joch del Carretto’s. Am 12. Januar, am Geburtstage des Königs, erhob sich Palermo. Neapel folgte bald darauf. Es erzwang am 25. Januar die Austreibung del Carretto’s, am. 28. Januar die Zusage einer Constitution und ließ sich Tags darauf die letztere, als sie wirklich verliehen worden war, auch noch durch einen feierlichen Rundritt des Königs bekräftigen. Aber schon am 13. März begann die Contrerevolution ihr Haupt zu erheben. Wenige Tage vorher waren die Jesuiten aus Neapel verjagt worden. Was Wunder, wenn Liguoristen, Dominicaner und andere dunkle Brüderschaften sich schon eines gleichen Schicksals versahen. Ihre Angst hatte sich den Fischverkäuferinnen der Marinella mitgetheilt. Die handfesten Vettern dieser guten Frauen, die Lazzaroni del Mercato, von jeher mit den ärmeren Klostergenossenschaften auf Du und Du, ließen sich zu lärmenden Umzügen bereden, und da ihr Parteiergreifen für die Mönche von einflußreichster Seite nachdrücklich unterstützt wurde, so kam es am 13. März unter den Rufen: „Viva il Re e la Madonna del Carmine!“ zu tumultuarischen Auftritten.

Nicht gar weit von dem königlichsten Palast liegt in der Hauptstraße Neapels, im volkreichen Toledo, das prächtig eingerichtete Café di Europa, damals der gewöhnliche Sammelpunkt der tonangebenden Liberalen. Hierher wendete sich ein Haupttrupp der tobenden und schreienden Klosterfreunde. Sie zertrümmerten die großen Scheiben, die Spiegel, die Marmortische, die Büffetvasen. Dann begann der Krieg gegen die Gäste. Die Bestgekleideten hatten sich zuerst zu vertheidigen. Bald meinten die Angreifer aber bestimmte, ihnen besonders verhaßte Persönlichkeiten zu erkennen, und endlich wurde ein junger römischer Flüchtling, der bei allen Umwälzungen der letzten Monate eine hervorragende Rolle gespielt hatte, der damals vielgenannte politische Pamphletist Gaetano P…, zum Zielpunkte der ganzen Rotte. Er war waffenlos wie alle übrigen Gäste des Café, setzte sich indessen mit seinem Stocke behende genug zur Wehr und wurde nach langem erbittertem Kampfe von seinen Freunden aus dem blutigen Handgemenge hinausgeschafft und in ein Hintergebäude hinüber gerettet, von wo der Herzog von San D. und der junge Principe di L. den Betäubten und der Sprache Beraubten in Sicherheit zu bringen unternahmen.

Wie das geschehen sollte, war freilich nicht leicht zu sagen. Man übersieht den Umfang solcher Volksbewegungen selten, während sie noch im Gange sind. Wie ein Nebel auf dem Meere hüllen sie die davon Ueberraschten plötzlich ein und Niemand weiß, wo ihre Grenze ist. So beriethen die beiden Edelleute denn auch lange vergebens, in welcher Weise Gaetano nach irgend einem Versteck zu transportiren sri. Vielleicht schon in demselben Augenblicke konnten ihre eigenen Häuser gestürmt und geplündert werden. Der gewöhnliche Zufluchtsort aller in Neapel Verfolgten, die Clausur eines der vielen Bettelklöster, war für diesen Verfolgten natürlich unzugänglich. Dennoch konnte Gaetano – das ließ sich bei der Heftigkeit des neapolitanischen Volkscharakters voraussetzen – wohl kaum in Jahr und Tag sich wieder in Neapel auf die Straße wagen.

Ein Mann, welcher dem Vater des Prinzen zu den großen Festen des Palazzo di L. die Wachskerzen zu liefern pflegte, half aus der Noth. In Neapel werden unglaublich schwere Lasten auf dem Kopfe getragen. Zerbrechliche Gegenstände, sie mögen noch so gewichtig sein, werden fast nie anders transportirt. Man sieht massiv gearbeitete Commoden, Secretaire, Schränke, ja ganze Claviere hoch in der Luft über die Köpfe des Toledo-Gedränges dahin schweben. Don Saverio, der biedere Lichtgießer, ließ daher den allmählich wieder zur Besinnung Gelangten in eine große Kirchenlichterkiste packen, adressirte das Frachtstück an seinen Schwager Don Nicola auf Capri, wies die beiden Edelleute an, in welcher Weise sie ihm, Saverio, die Bürde auf die rothe Wollenmütze heben sollten, und trug den eingeschachtelten Pamphletisten dann wohlbehalten nach dem Molo. Hier war bereits ein zuverlässiger Marinaro gedungen worden, und so schiffte sich der aus seiner engen Haft Erlöste unter der Obhut eines Dieners des Prinzen nach dem Eiland des Tiberius ein.

Am selben Abend noch ward das Reiseziel erreicht. Don Nicola nahm den von seinem Schwager warm empfohlenen Patienten ehrerbietig auf, und sein Töchterchen Teresina, zumeist la Biondina genannt, sowie deren Stiefmutter, Donna Agata, beeilten sich, den der Pflege noch sehr Bedürftigen mit häuslichen Mitteln, Weihwasser und Amuletten auf’s Beste zu versorgen. Das Haus des Don Nicola war eines der höchstgelegenen in Anacapri, es bildete den letzten östlichen Ausläufer des Oertchens, steckte nicht, wie die andern, zwischen Nachbarhäusern, und begünstigte solcher Art das Unbeachtetbleiben Gaetano’s. Das hätte übrigens auch sonst kaum Schwierigkeiten gemacht. Man pflegt ja überall im Süden Krankheiten womöglich durch Luftwechsel zu curiren, und daß ein in dem schwülen Neapel Erkrankter auf dem windumstrichenen Capri Genesung suche, konnte nicht auffallen. Als ein Solcher hatte Don Saverio ihn aber seinem Schwager empfohlen.

So blieb nach dieser Seite denn für Gaetano nichts zu wünschen. Und auch die Hausgenossen wurden ihm, der sich rasch einzuleben pflegte, schon nach kurzer Zeit lieb und angenehm. Biondina, die Herzensgüte selbst, war trotz ihrer fünfzehn Jahre – in Italien etwas Seltenes – noch ganz Kind; dabei zwar ohne alles Schulwissen – kaum daß sie buchstabiren konnte – aber gewitzt und mit einem Anflug neckischer Laune, die den Patienten wohlthuend an eine ihm im gleichen Alter entrissene Schwester erinnerte. Die Stiefmutter, Don Nicola’s dritte oder vierte Frau, erst zwanzig und einige Jahre alt, immer zum Lachen aufgelegt, hübsch genug, vielleicht schon etwas zu robust, füllte ihren Platz im Haushalt so beiläufig und obenhin aus, als sei sie nur eben auf Besuch eingesprochen und habe daher keine rechte Arbeit zur Hand. Sie muthete Niemandem etwas zu, Alles ging, wie es eben gehen wollte, und da Jedermanns Bedürfnisse höchst geringfügig waren, so hatte das Leben in der sonnigen Casa di Nicola einen überaus sorglos vergnüglichen Anstrich. Der ältliche Hausherr selbst freilich, immer mit dem wohlgebürsteten Cylinder auf dem graugesprenkelten Kopfe, paßte in dieses Bild nicht hinein. Eigentliches Arbeiten war zwar nicht seine Liebhaberei, wohl aber liebte er arbeiten zu sehen. Zu Frau Agata’s Glück entschädigte ihn für das, was er in seinem Hause nach dieser Seite hin vermissen mochte, die emsige Rührigkeit seiner Bienen. Den halben Tag saß er denn auch in dem Cactusgarten, jenseits des Kirchleins Sta. Brigida, allwo er seine buntbemalten Bienenkörbe bei der ihm befreundeten Wirthschafterin des Pfarrers eingemiethet hatte. Er trieb einen ansehnlichen Wachshandel, bereiste als Käufer mehrere Male im Jahre alle wachsproducirenden Orte der Terra di Lavoro und nahm es für eine Artigkeit, wenn man ihn als Don Cera, zu Deutsch Herr Wachs, ansprach, unter welchem Namen die meisten seiner Lieferanten ihn sogar nur kannten. Uebrigens wäre dem durch ein behäbiges Daheim verwöhnten Gaetano denn doch Manches wohl im andern Lichte erschienen, hätte sich Sabino, der Diener des Prinzen, nicht als der unermüdliche Alleskönner erwiesen. Er besorgte die Küche, er buk Brod, er fing Vögel, er fing Fische und wußte jeder Minute irgend einen fröhlichen Ertrag abzugewinnen. Donna Agata wollte er in seiner Heimath Ischia schon als kleines Mädchen gekannt haben, und wenn sie selber auch von ihren seltenen Besuchen bei einem dortigen Pathen sich seiner durchaus nicht erinnern konnte, so ließ sie sich’s doch gern gefallen, daß der schelmische Bursche zwischen dem unansehnlichen Kinde von dazumal und der jetzigen Donna Agata „di Cera“ die artigsten Vergleiche anstellte.

Das Alles nahm sich anmuthig genug aus. Mit Gaetano selbst stand es aber dennoch nicht zum Besten. Er war durch seine Verbannung aus Neapel nicht nur jenem behäbigen Daheim entrissen worden, er hatte auch sie, die es ihm schaffen half, Donna Beata, sein liebes Weib, in Neapel zurückgelassen, eine Römerin, seine Landsmännin, sein Augapfel, sein Abgott, wenige Jahre jünger als er, der er selber erst eben zwanzig zählte. Als Gaetano, von dessen kleiner Hausfrau das Café di Europa nie etwas erfahren hatte, so unverhofft zur Flucht genöthigt worden war, hatte sich der junge Prinz di L. für Donna Beata’s Sicherheit zu sorgen erboten. Der Prinz war aber, trotz mancher vortrefflichen Eigenschaften, ein zweifelhafter Frauenbeschützer. Sobald Gaetano daher die Feder wieder führen konnte – in der ganzen Casa di Nicola verstand sich sonst Niemand auf diese Fertigkeit – gab er seiner Frau von allem Vorgefallenen selber Nachricht und entbot sie nach Capri. Aber es kam keine Antwort, und auch als er wieder und wieder schrieb und, um alle unklaren Verhältnisse kurz abzuschneiden, Anordnungen wegen einer gemeinsamen Rückkehr nach Rom zu treffen versuchte, blieb jedes Lebenszeichen von Donna Beata aus.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_044.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)