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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 8.   1868.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



In sengender Gluth.

Von F. L. Reimar.
(Schluß.)

Das Wort des Mädchens brachte Alfred zu sich selbst zurück und erinnerte ihn an die, welche gebrochen auf ihre Kniee gesunken war. „Helene, vergieb auch Du mir,“ sagte er weich und trat zu ihr heran, „ich konnte nicht anders!“

Sie war nicht fähig zu sprechen und winkte nur flehend mit der Hand, daß er sie allein lasse.

Am andern Tage empfing Rosalie auf ihrer Villa den Besuch des Bankiers, der in Geschäftssachen mit ihr zu reden hatte. Als dieselben erledigt waren, frug sie den Bankier in nachlässigem Ton nach den Neuigkeiten der Residenz.

„Hm, das Neueste vom Neuen möchte sein,“ antwortete Melsing, „daß es zwischen Lossau und seiner Braut zu einem entschiedenen Zerwürfniß gekommen sein soll. Ich erfuhr heute Morgen, daß sie plötzlich die Residenz verlassen hat und zu ihrer verheiratheten Schwester gereist ist und daß man an einem völligen Bruch des Verhältnisses nicht zweifelt.“

Er konnte es nicht lassen, sie bei seinen Worten scharf zu beobachten, aber keine Miene des schönen Gesichts verrieth Freude oder gar Triumph; nicht einmal die geringste Ueberraschung spiegelte sich darauf ab; es war, als ob die Nachricht sie vollkommen unberührt lasse.

„Nun ja, da hat die Welt allerdings Stoff zur Verwunderung und zur Krittelei!“ warf sie nur in ruhigem Ton hin. – „Und was haben Sie Weiteres zu erzählen, Herr Melsing?“

Der Bankier war im Innern außer sich vor Erstaunen. Er hatte einen Kitzel darin gefunden, der Erste zu sein, welcher der Baronin den Eclat berichtete, an dem sie, wie er gleich der ganzen Stadt wußte, schuld war, und den Eindruck auf sie zu beobachten – und nun begegnete er dieser gänzlichen Gleichgültigkeit! Ihm ward nahezu unbehaglich in ihrer Nähe, und sie erschien ihm fast wie eine schöne, aber unheimliche Sphinx.

Auch als der Bankier sie verlassen hatte, gab Rosalie sich durchaus keinem Ausbruch der Empfindungen hin; nur um ihren Mund zuckte ein leises, aber beinahe dämonisches Lächeln, als sie die Worte sprach: „Ich wußte es ja, daß es so kommen mußte!“

Dann gab sie ihrer Dienerschaft Befehl, daß an dem heutigen Tage Niemand zu ihr gelassen werden sollte, als der Legationsrath von Lossau, den sie erwarte.

Von ihrem Boudoir aus konnte sie den Weg übersehen, welcher von der Residenz hierher führte, und am Fenster sitzend spähte sie aus, bis sie in der Ferne einen Reiter entdeckte, in welchem ihr scharfer Blick sofort Alfred erkannte. Sie erhob sich von ihrem Sitz und richtete ihre glühenden Augen nach oben: „Ich danke Dir, mein Gott,“ murmelte sie, „daß Du diese Stunde der Rache hast kommen lassen!“ Dann trat sie auf den Balcon hinaus.

Der Reiter kam näher und näher; sie erkannte, wie Alfred’s Gesicht vor Freude und Entzücken leuchtete, als er ihrer ansichtig ward; sie sah, wie er aus der Ferne grüßte, und neigte selbst ihr Haupt, um ihn willkommen zu heißen. Noch ein Augenblick – und er sprengte in den Hof.

Rosalie hatte sich gewandt, um in ihr Zimmer zurückzutreten und ihn dort zu empfangen; bei der raschen Bewegung aber glitt das Tuch, welches sie um ihre Schultern geworfen hatte, herab und flatterte über den Rand des Balcons. Das Pferd, dadurch erschreckt, sprang auf die Seite und Alfred, der im Begriff gewesen war, es anzuhalten, griff unwillkürlich heftig in die Zügel. In demselben Augenblick bäumte das Thier sich hoch auf, machte einen furchtbaren Satz und schleuderte den unglücklichen Reiter auf das Pflaster des Hofes. Rosalie, die Zeuge der ganzen schrecklichen Scene gewesen war, stieß einen markerschütternden Schrei aus und stürzte dann, ihrer eigenen Sinne kaum mächtig, zu dem Verunglückten hinunter. Auch die Diener eilten herbei, und in der nächsten Minute schon war Alfred aufgehoben, in’s Haus und nach dem mit halberstickter Stimme ausgesprochenen Befehl der Baronin auf deren Zimmer getragen, wo man ihn auf ein Ruhebett legte.

Das Bewußtsein war noch nicht zurückgekehrt, indessen keine Verletzung wahrzunehmen, und ein älterer unter den Dienern, welcher den Schrecken und die Angst der Herrin sah, bemühte sich ihr Trost einzusprechen: „Er ist sicher nur von dem Fall betäubt, gnädige Frau,“ sagte er, „und wird bald aus seiner Ohnmacht erwachen!“

Sie blickte den einfachen Mann an, als hätte er ihr eine himmlische Verheißung gebracht, und es war, als sei von diesem Augenblick ihre frühere Zuversicht zurückgekehrt. Sie ließ Alle hinausgehen, denn sie wollte allein mit Alfred, allein Zeuge seines Erwachens sein.

Es währte auch nicht lange, da kehrte mit einem tiefen Athemzuge das Leben in seine Brust zurück; er seufzte noch ein paar Mal, griff mit der Hand nach der Stirn und schlug dann die Augen auf.

„Alfred!“ drang es über ihre Lippen mit weichem, innigem und doch wieder jubelndem Tone, „Alfred!“

Wie ein elektrischer Schlag fuhr es durch seinen Körper; er schloß noch einmal die Augen, öffnete sie dann wieder und begegnete den Blicken Rosaliens, die sich über ihn beugte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_113.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)