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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Und von Allen die Schönste: jenes herrliche junge Mädchen mit der junonischen Büste und den Feueraugen!

Eine größere Pause folgt dem Tanz und dafür wird zur Abwechselung ein gemüthliches Spielchen arrangirt. An der Seile der schönen Amanda pointirt Herr v. L., gewinnt erst, verliert dann, läßt Amanda spielen, die diesen Abend auch unglücklich setzt, und verläßt endlich mit etwas wüstem Kopfe die Gesellschaft.

Am andern Morgen war Herr v. L. kahl wie eine Kirchenmaus. Kaum hatte er seinen Rausch verschlafen, so stellen sich die Herren, die merkwürdiger Weise seine heimathlichen Verhältnisse jetzt ganz genau kennen, lärmend ein, beklagen seinen Verlust und machen ihm schalkhafte Vorwürfe darüber, daß er im Begriff stehe, die schönste Blume ihres Kreises, die herrliche Amanda, ihnen zu entführen; denn nach den gestrigen Vorgängen sei Jeder

Offene Wintertafel

von einer tiefen gegenseitigen Liebe überzeugt u. s. w. Herr v. L. ist in diesem Gedanken völlig berauscht; er umarmt seine Freunde und fragt schüchtern, ob ein Präsent wohl nicht zu gewagt sei.

„Wenn es ein gediegenes Kunstwerk, zum Beispiel ein vollständiger, kunstvoll gearbeiteter Schmuck ist,“ erwidert der Freund, „mögen Sie es wagen, und ich will Sie zu meinem eigenen, sehr geschickten Goldschmied führen.“

„Ein herrlicher Gedanke,“ ruft Herr v. L., „aber, mein Gott, ich habe kein Geld!“

„Ich will Ihnen meinen Agenten schicken, der vielleicht einen Sichtwechsel placiren kann, dann können Sie heute Abend mit Ihrem Fräulein Braut – so darf ich wohl sagen – in die Oper fahren.“

„Herrlich, herrlich!“ ruft Herr v. L.; „nur schnell!“

Bald darauf erscheint ein Agent (Commissionair); Herr v. L. in völligem Sinnenrausch schreibt einen Sichtwechsel von fünfzehnhundert Thalern und einen Auftragschein, nach dessen Wortlaut der Wechsel für „angemessene“ Valuta verkauft werden darf.

Nach zwei Stunden erscheint der Agent abermals; er bringt, da der Herr es so eilig habe, „vorläufig“ fünfhundert Thaler, deren Empfang er sich quittiren läßt, und der glückliche v. L. läßt sich von seinem Freunde zu dem „reellen“ Goldarbeiter führen, wo er nach dem Rathe seines Freundes für Amanda einen Schmuck im Preise von vierhundert Thalern kauft. Welch’ Glück! mit Amanda in der Oper! Dann gemüthliches Souper im Kreise der Freunde, kleines Spiel, freilich wieder Alles verloren: – je nun, morgen giebt’s ja mehr Geld und dann Amanda!

Ein Wechselproceß gegen Fremde ist schnell erledigt, und der Gläubiger sofort berechtigt, den Fremden zur Haft zu bringen.

Herr v. L. lag in süßen Träumereien zur Mittagsstunde auf dem Sopha, als ein gänzlich unbekannter Mann mit dem Sichtwechsel in der Hand eintrat.

„Ah,“ sagt Herr v. L., „Sie bringen das Geld; geben Sie schnell.“ – „Ich bringe kein Geld,“ erwiderte der unbekannte Mann (ein Eintreiber), „ich will nur meine fünfzehnhundert Thaler haben.“ –

„Wie! Sie wollen Geld haben? ich habe ja noch zu fordern “

„Mir sehr gleichgültig, ich will meine fünfzehnhundert Thaler haben, oder Sie kommen zum Schuldarrest!“

Dabei tritt der Executor und mit ihm der entsetzte Hotelwirth mit seiner Rechnung ein. Der Scandal beginnt. Herr v. L. ist auf das Aeußerste bestürzt, er weiß sich durchaus nicht zu fassen; der Eintreiber läßt ihm kaum so viel Zeit, seine Effecten zu verschließen, die der Wirth als Pfand behält, und mitten durch das schadenfrohe, höhnende Hotelpersonal, mitten durch das neugierige angesammelte Straßenpublicum wird Herr v. L., der vor Scham in die Erde sinken möchte, Herr v. L., der in seiner Heimath ein hochangesehener Mann ist, zwischen Executor und Eintreiber fort zum Schuldarrest geführt. Und zum Berliner Schuldarrest! – das will etwas ganz Anderes sagen als sonst wo – dort werden Herrn v. L. zunächst Uhr, Uhrkette, Ringe, Brieftasche, sonstige Preciosen und Papiere abgenommen zu Gunsten seines Gläubigers, und nur zufällig behielt er in der Westentasche einen Papierthaler zurück, den er zu einer Depesche in seine Heimath benutzen konnte. Während eines fürchterlichen Tages und einer noch entsetzlicheren Nacht findet Herr v. L. Zeit, von seinen Träumen zu erwachen; er überzeugt sich, daß eine Gesellschaft von Bauernfängern, Louis, Eintreibern und Grisetten ihn, und noch zwei andere Freunde gründlich „genommen“ habe, und beschließt, polizeiliche Hülfe anzurufen. Am nächsten Tage erhält er aus seiner Heimath zweitausend Thaler, er erkauft sich seine Freiheit und verfügt sich zunächst zur Polizei, welche sich alle Personen recht speciell beschreiben läßt und ihn bittet, noch einige Tage in Berlin zu verweilen. Dann eilt er nach dem Hotel, wo der beschämte Wirth ihn tausendfach um Verzeihung bittet, löst seine Sachen aus und bezieht einen anderen Gasthof.

Nach zwei Tagen erhält er eine Vorladung zur Polizei und weiß sein Erstaunen kaum zu mäßigen, als er nicht allein alle Personen der Komödie, nebst Amanda, dem galonnirten Diener und dem Eintreiber, in polizeilichem Gewahrsam findet, sondern sie auch Alle in derselben glänzenden Toilette jenes Festabends bewundern kann. Seine Leidenschaft für Amanda war freilich gänzlich erloschen, und es kam ihm nur darauf an, die Betrüger zur Strafe zu ziehen, wo möglich zu seiner Entschädigung zu gelangen. Allein welches Verbrechen lag vor? – Hatte Herr v. L. nicht freiwillig die Einladung zum Balle angenommen, freiwillig splendide Bewirthung sich gefallen lassen, freiwillig ein Spielchen gemacht? Hatte er nicht freiwillig den Sicht-Wechsel mit dem sogar schriftlichen Auftrage fortgegeben, denselben zu „angemessenem“ Preise zu verkaufen? – „Angemessen“ aber heißt ja, was der Commissionär dafür hält, und hat Herr v. L. nicht Valuta erhalten? – Der Wechsel befand sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_125.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)